Zwischen Idyllen und Katastrophen

Jochen Klepper zum 100. Geburtstag

Von Ursula HomannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ursula Homann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Zu allen, von allem kann ich frei reden: nur nicht zur Judenfrage. Hier seh ich, daß die Propaganda ihr volles Werk geleistet hat. Doch wüßte ich, daß ich durch das Erzählen von Einzelschicksalen die Augen und die Herzen öffnen könnte."

Neben Ernst Wiechert, Reinhold Schneider und Gertrud von Le Fort war Jochen Klepper einer der herausragendsten Vertreter der sogenannten "inneren Emigration" während der NS-Zeit. Kategorisch hat Klepper allen Lockungen und Drohungen, sich von seiner jüdischen Frau und ihren beiden Töchtern zu trennen, widerstanden, obwohl ihm auch der Kleppersche Familienverband die Solidarität versagt hatte, weil man fürchtete, Kleppers 'nichtarische' Frau und deren Nachkommen könnten die Verwandten in staatlichen Funktionen und Parteistellen in eine bedenkliche Lage bringen.

Geboren wurde Jochen Klepper am 22. März 1903 in Beuthen an der Oder als Sohn eines evangelischen Pfarrers. Seine Beziehung zu den Eltern könnte man mit den Stichworten umschreiben: überschwengliche Liebe zur Mutter, heftige Konflikte mit dem Vater. Der Vater war deutsch-national, lebensfreudig, gutem Essen, der Jagd und der Marschmusik zugetan, übermächtig und den Widerspruch des Sohnes herausfordernd. Als Pastor genoss der Vater hohes Ansehen, jedoch war er nicht in der Lage, die in Katechese und Glaubenslehre vermittelten Inhalte seiner eigenen Familie vorzuleben. Diese Widersprüchlichkeit löste bei dem heranwachsenden Jochen Klepper eine schwere Krise aus. 1934 schreibt Jochen Klepper in sein Tagebuch kurz vor dem Tod des Vaters: "Vater und ich sind uns ja eine der schwersten Prüfungen gewesen, die Gott uns auferlegt hat, und was Sünde und Gnade, Führung Gottes ist, haben wir in großen Erregungen und Leiden aneinander erfahren. Es ist das einzige Mal, dass ich im Leben die Bitte des Vaterunsers ganz begriffen habe, im jahrelangen Prozess: 'Und vergib uns unsere Schuld, wie wir vergeben unseren Schuldigern'."

Der Konflikt zwischen Vater und Sohn verschärfte sich, als Klepper am 28. März 1931 standesamtlich die verwitwete Jüdin Johanna Gerstel-Stein heiratete, die dreizehn Jahre älter war als er und zwei Töchter, Renate (Reni) und Brigitte, damals sieben und neun Jahre alt, mit in die Ehe brachte.

Nach dem Abitur hatte Klepper zunächst Theologie studiert, um in die Fußstapfen seines Vater zu treten und Theologe zu werden; dann jedoch entdeckte er sein schriftstellerisches Talent und verlegte sich aufs Schreiben. Er verfasste Kurzgeschichten, Gedichte und Kritiken. Um Geld zu verdienen, arbeitete Klepper zunächst im Evangelischen Preßverband, dem späteren Presseverband, und wurde Presseredakteur. Stolz schrieb er am 24. April 1928 an seinen Mentor, den Theologieprofessor Rudolf Hermann, dass er "schon über hundert Manuskripte veröffentlicht" habe. Außer Zeitschriften habe er als ständiges Absatzgebiet Zeitungen in Berlin, Essen, Nürnberg, Hamburg und in Breslau. Es gelang Klepper in der Tat, in allen großen Zeitungen anzukommen und viele namhafte Zeitschriften als feste Abnehmer zu finden. Wenig bekannt ist dagegen Kleppers Tätigkeit am Rundfunk, zuerst am Breslauer, später am Berliner Rundfunk.

Mit kleineren literarischen Veröffentlichungen wollte sich Jochen Klepper den Weg zum Beruf des freien Schriftstellers ebnen. Sein erster Roman fand allerdings keinen Verleger. Dann aber schienen der Erfolg seines 1933 veröffentlichten Romans "Der Kahn der fröhlichen Leute" und eine Festanstellung beim Berliner Rundfunk im Herbst 1932 ihm eine sichere Existenz zu garantieren. Doch im 'Dritten Reich', als sich Klepper weigerte, sich scheiden zu lassen, wurde er wegen seiner "jüdischen Familie" und als früherer Mitarbeiter beim "Vorwärts" am 7. Juni 1933 entlassen. Bereits fertig gestellte Hörfolgen, ganze Zyklen, die im Grunde Kleppers geistiges Eigentum waren, wurden unter anderem Namen ausgestrahlt. Eine Zeitlang wurde Klepper noch anonym beschäftigt.

"Dreißig Wochen voller Freude, Verbitterung und maßloser Arbeit - alles reißt jäh ab... es ist hart, denn mein Erfolg war gut, und meine Arbeit hatte einen Plan und Gehalt." Fünf Wochen später, am 27. Juli 1933, fand Klepper eine Anstellung im Ullstein-Haus bei der Funkzeitung "Sieben Tage". Auch diese dauerte nur zwei Jahre - bis September 1935. 1937 wurde Klepper von der Reichsschrifttumskammer, in die er noch 1934 aufgenommen worden war, ausgeschlossen.

Journalistisches Publizieren schien nun nicht mehr möglich sein. Aber mit einem Bescheid im Monat Juni 1937 wurde ihm mitgeteilt, dass die Ausschlussverfügung einstweilig ausgesetzt sei und er bis zur endgültigen Entscheidung durch den Herrn Präsidenten der Reichskulturkammer in der Ausübung der kammerpflichtigen Tätigkeit nicht behindert sei. Denn "in dem fatalen Institut", schreibt Kurt Ihlenfeld, gab es mindestens einen Beamten (mit Namen Dr. Koch), "der den 'Fall Klepper' mit eben so viel Noblesse wie Kühnheit behandelte und dem armen gejagten Autor jahrelang [...] zur Seite stand" bis am 18.2.1942 an seine Stelle ein SS-Mann kam, der mit dem 'milden Geiste' in Kochs Ressort aufräumen sollte.

Seine literarische Laufbahn setzte Klepper bis zu seinem Tod fort, wenn auch mit vielen Unterbrechungen wegen der sich zuspitzenden innenpolitischen Lage, die die Seinen und ihn immer mehr in Bedrängnis brachte. Immerhin galten Kleppers Ambitionen der Arbeit eines freien Schriftstellers. Kurt Ihlenfeld schreibt in "Freundschaft mit Jochen Klepper": "Er war ein Dichter - und sein Werk wäre darum der erste und wichtigste Weg, den wir einzuschlagen haben, wenn wir wissen wollen, wer er war. Es verteilt sich auf die drei Erscheinungsjahre 1933, 1937, 1938. Rechnen wir noch das wohl 1942 abgeschlossene Katharina-Fragment hinzu, so ergibt sich ein Zeitraum von einem Jahrzehnt, während dessen Kleppers Werk entstand."

Nach dem schon erwähnten, 1933 veröffentlichten heiteren Roman "Der Kahn der fröhlichen Leute", in dem Klepper die Flussschifffahrt und das Leben auf den Oderkähnen schilderte und damit seiner schlesischen Heimat ein Denkmal setzte, schrieb Klepper den groß angelegten Roman über den Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. mit dem Titel "Der Vater". Dieser erschien 1937. Ein Jahr später gab Klepper noch zwei Ergänzungsschriften zum "Vater" heraus: "In tormentis pinxit" mit Briefen und Bildern des Soldatenkönigs und "Der Soldatenkönig und die Stillen im Lande".

Klepper machte weitere Pläne. Von dem beabsichtigten Luther-Roman "Das ewige Haus" - er war noch breiter angelegt als " Der Vater" - wurde indessen nur der erste Teil fertig: "Die Flucht der Katharina von Bora." Offensichtlich wollte Klepper auch ein großes Buch über Voltaire schreiben. Außerdem soll er sich, nach Aussage seines Freundes Ihlenfeld, mit dem Plan eines Paul-Gerhardt-Romans getragen haben.

Werden Kleppers Bücher in der Literatur einen bleibenden Platz einnehmen? Sein Tagebuch "Unter dem Schatten deiner Flügel" (1956) als Dokument eines Schicksals im 'Dritten Reich' und zugleich Zeugnis seines Lebens "aus Glauben", sicherlich. Gehört es doch neben den Büchern von Sebastian Haffner und Victor Klemperer sowie Gertrud Kolmars Briefen, zu den erschütterndsten autobiografischen Zeugnissen der Zeit. Es gibt Aufschluss über Kleppers seelische Lage in den Jahren von 1932 bis 1942 und lässt auch den schmerzlichen Werdegang des Romans "Der Vater" erkennen. Aus Kleppers Tagebuch erfährt man zudem aus erster Hand sehr viel Authentisches über den Alltag im Nazi-Reich, über das Verhalten nichtjüdischer Deutschen gegenüber Juden - "Die menschliche Härte feiert heute Orgien", notierte Klepper einmal in sein Tagebuch. Auch das Anbiedern der offiziellen Kirche an die braunen Machthaber erfasste er genau und erzählte vom mehr oder weniger versteckten Widerstand und Aufbegehren einzelner Menschen.

Kleppers Lyrik, vor allem seine "Geistlichen Lieder", die unter dem Titel "Kyrie" im Eckart-Verlag 1938 veröffentlicht wurden und wesentlich zur Erneuerung des evangelischen Kirchenliedes aus dem Geist der Heiligen Schrift beigetragen haben, dürfte ebenfalls von Bestand sein.

Wie jedoch haben Jochen Klepper und die seinen die letzten Jahre erlebt? Nach der Reichspogromnacht 1938 war die Gefährdung der Familie von Monat zu Monat gewachsen, bis sich schließlich das Jahr 1942 zu einem Wettlauf mit dem Tod gestaltete. Die ältere Tochter hatte noch 1939 nach England emigrieren können; der jüngeren, der von Klepper innig geliebten "Renerl", gelang dies nicht mehr. Das Todesurteil über Renate Stein sprach Adolf Eichmann am 10. Dezember 1942 aus, als er ihre Ausreise nicht gestattete. Die Familie fühlte: Das ist das Ende - und ging gemeinsam in den Tod.

Klepper schreibt seine letzten Sätze am 10. Dezember 1942 in das Tagebuch: "Nachmittags die Verhandlung auf dem Sicherheitsdienst. Wir sterben nun - ach, auch das steht bei Gott - Wir gehen heute nacht gemeinsam in den Tod. Über uns steht in den letzten Stunden das Bild des Segnenden Christus, der um uns ringt. In diesem Anblick endet unser Leben."

Kleppers Schwester Hilde, die am letzten Abend bei der Familie war und diese voll böser Vorahnung verlassen hatte, wurde am nächsten Morgen dringend nach Nikolassee in das Kleppersche Haus Teutonenweg 23 gerufen: "Ich kann mich noch entsinnen, wie ich weinend durch die Straßen lief und die Leute mich ansahen. Als ich ankam, hatte man die drei Leichen in Jochens Arbeitszimmer gelegt. Drei Männer in Uniform waren da, der eine bemerkte, ,das sind nicht die ersten. Wir haben heute schon ein junges Mädchen in Wannsee abgeholt'."

Jochen Klepper war alles andere eine Kämpfernatur, und nichts hatte zu Beginn seiner literarischen Laufbahn auf das dramatische Ende hingedeutet. Klepper war auch kein Widerstandskämpfer. Er war ein "Stiller im Lande", dessen christliches Bekenntnis vielen Menschen in den Jahren der Unmenschlichkeit Trost gegeben hat und vielleicht auch heute noch gibt, sechzig Jahre nach seinem Tod in unserer kirchenfernen Zeit, in der Religion und religiöse Strömungen so beliebig geworden sind.

Zwei Nachspiele sind noch zu vermelden: Als 1961 der ehemalige Leiter des Judenreferats im Reichssicherhauptamt, Adolf Eichmann, in Jerusalem danach befragt wurde, ob er sich an den "Fall Klepper" erinnere, antwortete er - wie zu erwarten war: "Nein, ich erinnere mich nicht."

In den siebziger Jahre sollte in einer norddeutschen Kleinstadt das neue evangelische Gemeindezentrum einen Namen bekommen. Zur Wahl standen "Martin-Luther-King-Haus" und "Jochen-Klepper-Haus". Aber beide Namen stießen auf Widerstand. Die einen nahmen Anstoß am politisch engagierten "Negerpfarrer", die anderen wollten das Gemeindezentrum nicht nach einem Mann benannt wissen, der mit Frau und Tochter freiwillig aus dem Leben geschieden war. Schließlich fand sich eine knappe Mehrheit für den Namen "Jochen-Klepper-Haus" - auf jeden Fall sei er wenigstens ein deutscher Dichter gewesen, und sogar das Gesangbuch enthalte ja einige Lieder von ihm.

Titelbild

Rita Thalmann: Jochen Klepper. Ein Leben zwischen Idyllen und Katastrophen.
Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2003.
404 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-10: 3579051172

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