"Let me be a fucking dreamer!”

Kreuzberger Türke zwischen Mauerfall und Erwachsenwerden

Von Julia SchusterRSS-Newsfeed neuer Artikel von Julia Schuster

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Ich kam aus Istanbul, und vor mir stand ein Berlin im Umbruch. Ich wollte es erobern."

Hasan Kazan ist neunzehn. Als Sohn eines türkischen Intellektuellen verbringt er seine Kindheit in Westberlin, zieht als Dreizehnjähriger jedoch mit Mutter und Bruder zurück nach Istanbul, um dort die deutsche Schule zu besuchen. Die Eltern fürchten, er könnte in Berlin zum "Kiffer, Hippie oder Homo" werden. Der Vater bleibt in Deutschland. Seitdem pendelt Hasan zwischen Mutter und Vater, zwischen seinen zwei Heimatstädten an Bosporus und Spree. Eines Tages im November 1989 geschieht das Unglaubliche: die Berliner Mauer fällt. Hasan fasst einen Entschluss - er will Istanbul den Rücken kehren und wieder nach Berlin ziehen, das neue, aufregende Berlin, um dort zu studieren. "Ich war ein Kreuzberger, der sich voller Neugier und Saft im Sack auf das Leben stürzte" erzählt Hasan, dem nach dem Abitur die ganze Welt offen zu stehen scheint. Doch nach der Ankunft in der Großstadt kommt alles ganz anders. Er verliebt sich Hals über Kopf in die schöne Cora und bekommt einen Job in der Filmbranche. Der Mauerfall bringt für Hasans Familie jedoch nicht nur Gutes mit sich, denn jetzt kommt heraus, dass Hasans Vater all die Jahre eine Geliebte in Ostberlin hatte - und einen weiteren Sohn. Der Weg, den Hasan eingeschlagen hat, hat nicht nur Höhen, sondern auch Tiefen.

"Selam Berlin" ("Sei gegrüßt, Berlin") ist in erster Linie ein Roman über das Erwachsenwerden: über Liebeskummer, über Freundschaft und über die Abnabelung von der Familie. Es ist aber auch ein Berlinroman, in dem mit Klischees von Ossis und Wessis, Deutschen und Türken gespielt wird, ohne sie zu überstrapazieren. Dies ist sicherlich die Stärke des Romans, der nicht versucht, das Problem der "zwei aufeinanderprallenden Kulturen" zu klären, sondern Hasan eben Türke und Deutscher zugleich sein lässt. Der junge Kosmopolit beobachtet genau, durch ihn erzählt Kara, dass deutsche und türkische Gegenwart sich nicht voneinander trennen lassen, aber auch, dass Türken in Berlin türkischer sind als in Istanbul. Er nimmt die Berliner genau unter die Lupe: die "hippen" Leute vom Film genauso wie die "Cafeteria-Revolutionäre" und die Germanistikstudentinnen aus der Provinz, die in Altbau-WGs politische Küchentischseminare abhalten und sich dabei so berlinerisch vorkommen. "Selam Berlin" will kein Geschichtsbuch sein, und doch wird aus der Perspektive der Familie Kazan, die wie die Deutschen jahrzehntelang mit der Mauer lebten, ein eindrucksvolles Stimmungsbild über die Zeit kurz nach der Öffnung der "ins Fleisch gewachsenen" Berliner Mauer gezeichnet.

Trotz allem vermögen die Charaktere den Leser leider nicht wirklich zu begeistern. Sie bleiben merkwürdig blasse Erscheinungen in der an sich anrührenden Geschichte. Viele Szenen wiederholen sich: zu oft "versinkt" jemand in jemandens Blickes, ungefähr zwei Mal pro Seite zündet sich Hasan "eine Gitanes" an. Dramatische Ereignisse wirken aufgesetzt, wenn Eindringlichkeit durch in die Länge gezogene Vokale erzeugt werden soll ("Ich habe das nicht verdiiiiiiiiiiiieeeeeeeeennt!"). Literarische Vergleiche hinken, Formulierungen holpern (wie kauft man den halben Warschauer Pakt ein?). Die tragikomischen Erlebnisse des Protagonisten verlieren dadurch unweigerlich an Intensität.

Der Klappentext zu Yadé Karas Debütroman "Selam Berlin" klingt vielversprechend: "Ein urbanes, kosmopolitisches Buch, das Fenster und Türen aufstößt, das Klischees aufzeigt und zerstört" sollte den Leser erwarten. Schade, dass die Erwartungen auf Grund inhaltlicher und stilistischer Schwächen nicht ganz erfüllt werden können.

Kein Bild

Yadé Kara: Selam Berlin. Roman.
Diogenes Verlag, Zürich 2003.
382 Seiten, 21,90 EUR.
ISBN-10: 3257860935

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