Einigermaßen plemplem

Verständigungsversuche zwischen traditionellem und dekonstruktivem Feminismus

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Mit Erstaunen nimmt man zur Kenntnis, dass die Herausgeberin eines Buches, dessen Beiträge als "Verständigungsversuche" zwischen traditionellem und dekonstruktivem Feminismus angekündigt werden, im Vorwort bekennt, sie finde letzteren "einigermaßen plemplem". Man vermutet, dass dies eine denkbar schlechte Voraussetzung für ein Gelingen des Unternehmens ist, und darf sich durch die beiden von Koppert selbst verfassten Beiträge bald bestätigt fühlen, substituieren polemische Ausfälle doch weithin die inhaltliche Auseinandersetzung. So etwa, wenn die Autorin ihrer Abneigung gegenüber den "Befreiungsdelirien à la Judith Butler" freien Lauf lässt, oder wenn sie mitteilt, dass "B." (vermutlich Kopperts Mitautorin Birgit Lindberg) Butler für ein "formidables Placebo gegen Leere und Lähmung" hält. Auch inhaltlich bleibt Koppert wenig überzeugend. So versucht sie etwa, ihre Behauptung, Butler strebe keine Veränderung der Verhältnisse an, denn sie gehe davon aus, "dass an dem in ihren Augen entscheidenden Punkt, dem System der Zweigeschlechtlichkeit, der binären Ordnung, nicht viel zu machen" sei, anhand eines offenbar missverstandenen Zitates zu belegen: "Die Tatsache, dass die Machtsysteme des Heterosexismus und Phallogozentrismus sich durch eine stete Wiederholung ihrer Logik, Metaphysik und naturalisierten Ontologien selbst zu erweitern versuchen, beinhaltet nicht, dass der Wiederholung als solcher Einhalt geboten werden sollte - als wäre das überhaupt möglich." Butler sagt hier allerdings nur, dass Wiederholung unvermeidbar ist, nicht aber, dass Wiederholung unvermeidbar heterosexistisch und phallogozentrisch ist, und auch nicht, dass in der notwendig wiederholende Zitation die bisherige Bedeutung einer normativen Äußerung nicht subversiv umgedeutet und verschoben werden könne. Eine Möglichkeit, die laut Butler gerade zum Wesen der Wiederholung gehört, da sie das Wiederholte nie völlig exakt abbilden kann.

Beate Selders, die zweite Herausgeberin des Bandes, möchte die "Konfliktlinien" der Auseinandersetzung zwischen traditionellem und dekonstruktivem Feminismus "nachzeichnen" und die einander widerstreitenden Argumente "kritisch beleuchten". Das klingt nun zwar eher nach Verständigung, doch ist auch Selders wenig Erfolg beschieden, da sie einem "materialistische[n] Feminismus" anhängt, dessen Positionen allzu sehr dem Feminismus der 70er Jahre verhaftet bleiben. Erklärt Koppert den dekonstruktiven Feminismus aus den kapitalistischen Verhältnissen, so psychologisiert Selders ihn. Hinter seinen "verblüffend naiv[en]" Gedankengängen, so meint sie, verberge sich "die Sehnsucht nach einer eindeutigen Position in uneindeutigen Verhältnissen", was dazu führe, dass die Erkenntnisse des traditionellen Feminismus "vollständig verdrängt" würden. Derlei Behauptungen werden nicht etwa anhand von Texten des dekonstruktiven Feminismus belegt, sondern stützen sich auf persönliche Diskussionen der Autorin und die Erfahrungen, die sie in ihrem Bekanntenkreis machte. Das entspricht der Konzeption des Bandes, denn wie die Herausgeberinnen betonen, sollen in ihrem Buch keine wissenschaftlichen Ausarbeitungen vorgelegt, sondern von den "eigene[n] politische[n] Erfahrungen" ausgegangen werden. Doch belässt es Selders nicht bei Persönlichem. Vielmehr stellt sie sich den "theoretischen Höhenflügen" des dekonstruktiven Feminismus, wobei für ihr argumentatives Vorgehen allerdings bezeichnend ist, dass aus der Butler ohne Belegstelle zugeschriebenen Auffassung, "was der Geschlechtskörper außerhalb der Bezeichnung sei, darüber könne man nichts sagen", flugs die grundlegend andere wird, "es gäbe keine von der Wahrnehmung unabhängige Wirklichkeit", und diese als widersprüchlich angeprangert wird. Die Feststellung, über etwas nichts sagen zu können, ist jedoch eine grundsätzlich andere als diejenige, dieses Etwas gäbe es gar nicht.

Doch kommen nicht nur die Verfechterinnen des traditionellen Feminismus zu Wort. Patricia Purtschert und Maja Ruef vertreten die Seite des an Butler orientierten (Post-)Feminismus, wobei sich die ruhige Unaufgeregtheit ihrer Beiträge wohltuend von Kopperts und Selders' Polemik unterscheidet und vor allem Purtschert ein weit besseres Verständnis von Butlers Theorien erkennen lässt. Zunächst berichtet sie, was es für eine junge Frau im vergangenen Jahrzehnt hieß, Feministin zu werden und welche Rolle Judith Butlers Buch "Gender Trouble" dabei spielte. Die dekonstruktiven Theorien, so erzählt Purtschert, erwiesen sich in ihren persönlichen und politischen Auseinadersetzungen als "hilfreich und befreiend", und ermöglichten es ihr, eine Feministin zu werden, "ohne den Zweifel an der Pforte ablegen zu müssen". Sodann wendet sie sich der Theorie feministischer Dekonstruktion zu. Sie sei "vielleicht weniger handlich und eindeutig" als andere Theorien, doch genau aus diesem Grunde sei ihre Annäherung an die "komplexen, verschränkten und nicht selten paradoxen Realitäten" erfolgreich. Auch stehe sie zu Unrecht in dem Ruf, nichts weiter als "akademische Kopfakrobatik" zu sein. Angesichts einiger Fragen, die der dekonstruktive Feminismus offen lässt überlegt Purtschert am Ende ihres Beitrags, ob möglicherweise "eine (post-)marxistische Wende des Feminismus" anstehe: "eine kapitalismuskritische, dekonstruktive, offene und zugleich verbindliche Analyse", welche die "Verschränkung von Geschlecht, globaler Ungleichheit und Kapital" untersuche.

Die letzte der Autorinnen, María do Castro Varela, interessiert sich weniger für die heftig geführte Kontroverse über die diskursive Konstruiertheit des 'natürlichen' Geschlechts, sondern fragt, "welche Form feministischer Widerstand annehmen soll oder kann"; sie plädiert dafür, "die antiessentialistischen Theoriefragmente mit der politischen Strategie des utopischen Denkens und Handelns zu verknüpfen". Auch wenn man ihr nicht in allem zustimmen mag, kann man ihren Beitrag mit Gewinn lesen. Ein Text, der zu Recht als Verständigungsversuch firmiert.

Titelbild

Claudia Koppert / Beate Selders (Hg.): Hand aufs dekonstruierte Herz. Verständigungsversuche in Zeiten der politisch-theoretischen Selbstabschaffung von Frauen.
Ulrike Helmer Verlag, Königstein 2003.
160 Seiten, 12,95 EUR.
ISBN-10: 3897411202

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