Zwei jüdische Dissidentinnen

Claudia Christophersen über Hannah Arendts Rahel-Biographie

Von Sabine ScholzRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sabine Scholz

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In ihrem Buch über Rahel Varnhagen (1771-1833) definiert die bedeutende jüdische Philosophin Hannah Arendt (1906-1975) die Juden als "Parias", als Außenseiter der Gesellschaft, die in Gefahr sind, vom "Jüdischen Parvenu" und von den eigenen hochvermögenden Brüdern unterdrückt zu werden. Dagegen müssten die "Parias" rebellieren: Jeder Paria, der kein Rebell würde, wäre mitverantwortlich für seine eigene Unterdrückung, und damit mitverantwortlich für die Schändung der Menschheit in ihm. Solche und ähnliche Äußerungen haben dazu beigetragen, dass man Hannah Arendt als "jüdische Dissidentin" bezeichnete. In ihrem berühmten Report über den Eichmann-Prozess (1961) hat sie den Begriff von der "Banalität des Bösen" geprägt: Eichmann sei kein Monster gewesen, sondern habe als braver Beamter seine Befehle ausgeführt.

Die Germanistin Claudia Christophersen setzt sich in ihrer gewissenhaft recherchierten Dissertation mit der langwierigen Buch- und Verlagsgeschichte von Hannah Arendts Rahelbiographie auseinander, in deren Zentrum die Frage nach den Bedingungen der sozialen Anpassung von Juden aus existenzphilosophischer Sicht steht. Der Leser erhält ein umfassendes Bild über ein Werk, von dessen Entstehungszeit bis zu seiner deutschen Veröffentlichung ganze 26 Jahre vergingen. Arendt hat es mehrmals umarbeiten müssen. Wie kam es dazu?

Bei der Suche nach einer Finanzierung ihres Projektes über Rahel Varnhagen stieß die jüdische Philosophin Hannah Arendt, die bei Heidegger, Husserl und Jaspers studiert hatte, auf unüberwindliche Schwierigkeiten, die sich nicht allein aus der Situation im nationalsozialistischen Deutschland und ihrer jüdischen Abstammung ergaben. Es verwundert zu erfahren, dass sogar die "Akademie für die Wissenschaft des Judentums in Berlin" nicht bereit war, ihre wissenschaftliche Arbeit finanziell zu unterstützen. Trotz dieser Schwierigkeiten gelang es Hannah Arendt, das Manuskript bereits 1933 größtenteils fertigzustellen. Es hätte also wenigstens nach dem Krieg veröffentlicht werden können, was jedoch nicht geschah. Hannah Arendt musste warten, bis es schließlich 1959 nach langen Verhandlungen im Piper Verlag erscheinen konnte. Als sie dann - wie viele ihrer männlichen Kollegen - eine Wiedergutmachung beantragte und beabsichtigte, ihre Rahel-Monographie nachträglich als Habilitationsschrift anerkennen zu lassen, wurde ihr Antrag abgelehnt, obwohl sie Gutachten namhafter Wissenschaftler vorzuweisen hatte: Karl Jaspers bezeichnete ihre Arbeit als "Meisterwerk", hielt aber eine Veröffentlichung trotzdem für ein Wagnis, "da das Buch keiner im Publikum Deutschlands damals lebendigen Tendenz entspräche."

Man warf Arendt vor, dass sie ihre Arbeit nie formell als Habilitationsschrift an einer deutschen Universität eingereicht hat. Wie hätte sie das auch tun können, war sie doch von der Gestapo verhaftet worden und 1933 aus dem nationalsozialistischen Deutschland geflohen.

Im zweiten Teil ihres Buches befasst sich Claudia Christophersen mit der komplizierten Editions-, Rezeptions- und Wirkungsgeschichte von Rahel Varnhagen. Was hat Hannah Arendt an Rahel Varnhagen so fasziniert, und inwiefern war deren Existenz repräsentativ? Rahels Salon, wo die "geistige Neutralisation" der Geschlechter stattfand, war Treffpunkt vieler Romantiker und der Anhänger des "Jungen Deutschland". Rahel wurde zu einer bürgerlichen Vorkämpferin des Feminismus. Ihr Briefwechsel und ihre Aufzeichnungen gehören zu den wichtigsten Dokumenten der ausgehenden Romantik. Man sagte ihr ein "gestörtes Verhältnis zum Judentum" nach, das sie als Unglück empfand. In diesem Zusammenhang ist auch ihre Konversion zum Christentum zu sehen, die ihr von Seiten der orthodoxen Juden herbe Kritik einbrachte. Sie fühlte sich als Frau und Jüdin in ihren Möglichkeiten unterdrückt. Erst Goethe wird für sie zum entscheidenden Vehikel der Emanzipation. "Weil sie Goethe versteht und erst von ihm aus sich versteht, kann er ihr fast die Tradition ersetzen." Mit dieser Rezeptionshaltung hat Rahel das Grundmuster eines spezifisch jüdischen Verhältnisses zu Goethe vorgelebt, ein Verhaltensmuster, das nicht nur bei Heine, der ihr "Erbe" wird, sondern bei der breiten jüdischen Verehrergemeinde, die der Dichter in der Folgezeit gefunden hat, wiederkehrt.

Käte Hamburger, eine renommierte jüdische Literaturwissenschaftlerin, kommt jedoch in ihrem Aufsatz "Rahel und Goethe" (1968) zu einem äußerst negativen Urteil: Hannah Arendt habe ein "Rahel durchweg diffamierendes Buch geschrieben". Dennoch hält sie, wie Hannah Arendt, die Geschichte des deutschen Judentums mit dem Nationalsozialismus für beendet.

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Claudia Christophersen: "....es ist mit dem Leben etwas gemeint". Hannah Arendt über Rahel Varnhagen.
Ulrike Helmer Verlag, Königstein 2002.
328 Seiten, 24,80 EUR.
ISBN-10: 3897411121

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