Ohne Fahrplan

Peter Webers enttäuschende "Bahnhofsprosa"

Von Klaus HübnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Klaus Hübner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Zehn Jahre ist es her, dass ein damals 25-jähriger Jungschriftsteller aus Wattwil seinen ersten Roman veröffentlichte. Das Kritikerecho auf "Der Wettermacher" (1993) war weit über die Schweiz hinaus positiv bis enthusiastisch, und skeptische Einwände, wie sie zum Beispiel Sibylle Cramer äusserte, blieben marginal. Auch die Leser waren angetan. Dann wurde es ruhiger um Peter Weber. Er ließ sich Zeit mit seinem zweiten Buch und wurde erst einmal ein für Literaturfestivals gern angeforderter Musik-Text-Performance-Künstler. Endlich erschien 1999 "Silber und Salbader", und diesmal reagierten Kritik und Leser eher verhalten, oft sogar verstört und enttäuscht. Drei Jahre später nun beglückt der 34-Jährige Expo-Literaturnächte und andere Events rund um das Buch mit Kostproben aus seiner neuen "Bahnhofsprosa". Plötzlich ist wieder vom "Unerhörten dieser Poesie" die Rede, und der Verlag wirbt mit Michael Brauns Behauptung, hier liege ein "Wunderwerk an synästhetischer Weltbeobachtung" vor. Das ist kühn. Denn synästhetisch hin oder her - Peter Webers neue Prosa ist sicherlich kein Wunderwerk, irgendeine konkretere Weltbeobachtung ist hier kaum auszumachen, und nur hartgesottene Geduldsleser werden allen Windungen dieser oft hochtrabend ins Pseudo-Artifizielle gedrechselten Wortkaskaden Satz für Satz folgen wollen. Mag das Leben ein großer Bahnhof sein - diese "Bahnhofsprosa" enttäuscht.

Wer sich von Webers in vier Abschnitte aufgeteilten 24 Prosaskizzen Geschichten um Bahnhof und Eisenbahn verspricht, liegt insofern falsch, als diese wunderlichen, oft ärgerlich pseudo-surrealistischen Texturen keine Geschichten im nacherzählbaren Sinne ergeben. Ganz falsch liegt er nicht, denn die Bahn- und Bahnhofsmetaphorik zieht sich in allerlei kuriosen Varianten durch den Band mit seinem dennoch ein wenig irreführenden Titel. Wohl wahr, dass der Text mit dem programmatischen Satz "Ich sitze in der Bahnhofshalle im üppig aufwachsenden Gerede, das zum Gebrabbel wird, die Decke entlangufert" beginnt, wohl richtig, dass gleich danach von "Sprechwinden" die Rede ist und von einem "Maresciallo del silenzio" aus der Sixtinischen Kapelle, der diesen Winden durch gezieltes Zischen Einhalt gebietet, einem Ich-Erzähler also, der den höllischen Lärm des allgemeinen heutigen Durcheinanderbrabbelns zu gliedern und damit zu lindern sucht, ohne größere Wirkung natürlich. Doch dann geht es rasant von Schauplätzen wie Zürich, Frankfurt oder Leipzig und von allen Bahnhofsszenen weg, hinein ins Reich des nur noch selbstreferenziellen, halb surrealistischen oder auch epigonal-expressionistischen Wortgeklingels, das in so freien wie beliebigen Assoziationen alles und nichts in seine Rede aufnimmt und es gleich wieder fallen lässt. Manch gelungenes Sprachbild ist zweifellos darunter, manch treffender Aphorismus auch.

Die "erkaltete Faktensuppe" indes wird vom Autor gemieden wird vom Teufel das Weihwasser. Webers labyrinthische Prosa berührt die Toiletten- und die Ohrhygiene, das ewige Kaffeehaus-Sitzen, das Schuheputzen, die unausgesprochene Bindungs- und Vermehrungspflicht, die Musik, den Zigarettenhandel, den Fussball, die Tier- und speziell die Fischwelt - dies und das also, was eben zum so genannten Alltagsleben in unseren "Wabenstädten" gehört. Dazu gibt es Schwestern und Pfleger und Seeschlangen und Lippentiere und Blauwale und Speicheldiebe und Rolltreppen und Hochzeitsminister. Und noch viel mehr Sprachschutt plus Fantasiebrei wird über dem Leser ausgeschüttet - nette Helvetismen so wenig scheuend wie merkwürdige, oft am Rande des Lächerlichen angesiedelte Neologismen wie "Schlingerline". Was das ist? Man lese den Abschnitt "Fischfernsehen", der mit "Ich war wandelnde Wolke, sinkender Bausch, wollte mich in die Länge ziehen, rannte Fäden" beginnt. Man sinne Ausdrücken wie "Pufferküsser" oder "Geglöck" nach.

Besser noch: Man lasse es einfach sein. Denn hier wird nichts Geringeres versucht, als mit bisher unerhörtem Wörterstyling die Totalität unserer postmodernen Lebensumstände zur Sprache zu bringen und dem Leser, der sich durch ein oft auch auf den zweiten und dritten Blick relativ sinnfreies, immer aber dunkles und sperriges Textdickicht quälen muss, die unerhörte Neuigkeit nahe zu bringen, wie eiskalt und irrsinnig unsere Welt doch im Grunde ist. Früher hätte man vielleicht, gefragt nach dem Hauptthema dieser Prosa, von den Schrecknissen der vom Kapitalismus verantworteten "Entfremdung" gesprochen, die jegliche authentische Conditio humana unmöglich mache. Das allerdings wussten wir schon vor der Lektüre dieser uferlos mäandernden und doch nie auf den Punkt kommenden Prosa. Schade drum. Als Fazit weder besonders erkenntnisfördernder noch im ästhetisch-literarischen Sinne vergnüglicher Lektürestunden muss man es notgedrungen aussprechen: Wenn Peter Weber seinem Ruf als ewiges Talent gerecht werden will, sollte er wieder einmal ein Buch vorlegen, das die Lektüre wirklich lohnt.

Titelbild

Peter Weber: Bahnhofsprosa.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2002.
130 Seiten, 18,90 EUR.
ISBN-10: 3518413546

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