Über den Typus des Intellektuellen und seine Wiederbelebung

Vorbemerkungen zum Schwerpunkthema

Von Thomas AnzRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Anz

Der Krieg gegen den Irak hatte den Effekt, den oft und lange schon totgesagten Typus des engagierten Intellektuellen und Schriftstellers zu revitalisieren. Dabei ist das "intellektuelle Kräftefeld", dessen Mechanik keiner so eingehend analysiert hat wie Pierre Bourdieu, der französische Kultursoziologe und nach Sartre in Frankreich der "Intellektuelle" par exellence, in Bewegung geraten. Exemplarisch dafür ist das Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Nach der Wende von 1989 hatte es den Intellektuellen - speziell denen, die vormals der "Gruppe 47" assoziiert waren - den Kampf angesagt. Inzwischen schickt es sich an, die Feuilletonredaktion der Süddeutschen Zeitung links zu überholen. In der FAZ erschienen an exponierter Stelle einige der schärfsten und wortmächtigsten Artikel gegen die Politik der USA, die überhaupt geschrieben wurden, die der indischen Schriftstellerin Arundhati Roy. Geradezu eine Sensation war es, dass in dieser Zeitung der Artikel eines deutschen Intellektuellen erschien, der die FAZ jahrzehntelang zu seinem Lieblingsgegner erkoren hatte und von dieser ihrerseits als solcher behandelt wurde: Jürgen Habermas. Eben erst hatte Hans Magnus Enzensberger, dem, wenn auch von gänzlich anderer Position aus, die Legalität von Gewalt schon 1968 wenig Probleme bereitete, nach dem Fall von Bagdad die völkerrechtswidrige Politik der Sieger für sankrosankt erklärt, da erklärte Habermas in eben dieser Zeitung: "Die normative Autorität Amerikas liegt in Trümmern."

Neben Enzensberger ergriffen wie vor Jahrzehnten die alten Intellektuellen aus der "Gruppe 47" wieder das Wort: allen voran Günter Grass, aber auch Walter Jens. Sogar Walser reagierte und wandte sich gleichsam zu seiner eigenen Vergangenheit und zu einer Zeit zurück, in der die Proteste gegen den Vietnamkrieg die ansonsten vielfach zerstrittenen Intellektuellen einten. Im "Rheinischen Merkur" erklärte er: "Wenn Europa es nicht schafft, den Machtausübungsanspruch Amerikas zu bremsen, dann heißt das einfach, dass Europa eine Illusion ist. [...] Das Erstaunliche ist ja, dass Amerika durch den Vietnamkrieg nichts dazugelernt hat."

Um den Irakkrieg geht es in diesem Schwerpunkt allerdings nur am Rande. Ausgewogen, doch entschieden hat der Marburger Kantianer Reinhard Brandt in einer vor demonstrierenden Schülern gehaltenen Rede, die wir hier publizieren, gegen das Neue Amerika Stellung bezogen. Ansonsten widmen sich die Beiträge zum Thema vorrangig der historischen Genealogie des Begriffs "Intellektuelle" sowie der Sache und einigen Personen, die mit ihm gemeint sind.

In den späten neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts erhielt der Begriff des Intellektuellen in Frankreich seine heutige Bedeutung. "Intellectuels" wurden diejenigen genannt, die nach der fragwürdigen Verurteilung des jüdischen Offiziers Alfred Dreyfus mit einer publizistischen Kampagne die Revision des Prozesses und schließlich den Freispruch erzwangen. Die erfolgreiche Intervention der "Intellektuellen" hatte, so sah es die liberale französische Linke, der Wahrheit und Gerechtigkeit zum Sieg verholfen und den Prozess vor aller Öffentlichkeit zum Modellfall für die Unglaubwürdigkeit staatlicher Macht gemacht. Von der Urszene und Gründungsurkunde des "Intellektuellen", Émile Zolas offenem Brief "J'accuse" (erschienen am 13. Januar 1898 auf der ersten Seite der Zeitung "L'Aurore"), handeln zwei Beiträge, mit denen der Intellektuellen-Schwerpunkt der Mai-Ausgabe von literaturkritik.de beginnt.

Zum Prototyp des politisch engagierten Intellektuellen in Deutschland wurde Heinrich Mann mit seinem zur Jahreswende 1910/11 erschienener Essay "Geist und Tat". Erklärtes Vorbild waren ihm "die Literaten Frankreichs, die, von Rousseau bis Zola, der bestehenden Macht entgegentraten". Der von der jungen Generation der Expressionisten begeistert aufgenommene Kernsatz des Essays lautet: "Ein Intellektueller, der sich an die Herrenkaste heranmacht, begeht Verrat am Geist."

Drei zentrale Motive der Machtkritik waren es, die den Typus des Intellektuellen im Gefolge Zolas und Heinrich Manns kennzeichneten: Kritik am Antisemitismus, Kritik an der Justiz, Kritik an den Medien. Sie bestimmen noch heute maßgeblich die von Intellektuellen geführten Debatten. Die öffentlichen Interventionen der Intellektuellen stießen allerdings schon früh auf Kritik. Anders als innerhalb der linksliberalen Intelligenz wurde der Begriff "Intellektueller" vor allem von der kulturkonservativen Intelligenz nicht in seinem auszeichnenden Sinn übernommen, sondern eher als Schimpfwort gebraucht. "Hinweg mit diesem Wort, dem bösen,/ Mit seinem jüdisch grellen Schein!/ Wie kann ein Mann von deutschem Wesen/ Ein Intellektueller sein." Solche Verse kursierten in den letzten Jahren der Weimarer Republik und nahmen den Umgang mit dem "Intellektuellen"-Begriff im NS-Staat vorweg. Nicht zuletzt die Aktion der Bücherverbrennung am 10. Mai 1933 war eines der markanten Zeichen für die Intellektuellenfeindschaft des nationalsozialistischen Regimes.

Nach Ende des zweiten Weltkrieges fand der Typus des Linksintellektuellen im Umkreis des französischen Existentialismus, der deutschen "Gruppe 47" und der weltweiten Protestbewegungen um 1968 erneut erhebliche, zuweilen geradezu kultische Aufmerksamkeit. Seit den siebziger Jahren wiederum wurde er zunehmend skeptisch hinterfragt. Es wurden ihm die politischen Irrtümer, die blinden Flecken seiner Machtkritik, die moralische Selbstüberheblichkeit und die Problematik seiner Kompetenzansprüche vorgehalten. Auch davon sind etliche Beiträge in diesem Schwerpunkt deutlich geprägt.

Den ständigen Mitarbeitern und den diesmal besonders stark vertretenen 'Gast-Autoren', die an unserem Schwerpunktthema mitgewirkt haben, sei herzlich gedankt.