Im Schatten der Moschee

Yasmina Khadras "Die Schwalben von Kabul" im Gespräch

Von Petra KammannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Petra Kammann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In "Die Schwalben von Kabul" schildert der algerische Autor Mohammed Moulesshou, der unter dem weiblichen Pseudonym Yasmina Khadra bekannt wurde, anhand des Schicksals eines armen Wärters im Kabuler Frauengefängnis und eines vormals vornehmen und gebildeten Mannes den Zustand einer völlig aufgelösten Gesellschaft. Wut, Ohnmacht und Gewalt sind die vorherrschenden Gefühle. Der Autor und Ex-Offizier der algerischen Armee konnte sein Pseudonym erst lüften, als er 2000 mit seiner Familie ins Pariser Exil ging. Petra Kammann traf Yasmina Khadra am Rande der Lit.Cologne, die diesmal Jahr im Zeichen des Krieges stand, zum Gespräch.

P.K.: In Ihrem letzten Roman beschreiben Sie einerseits die Auswirkungen eines Terrorregimes der Taliban und kontrastierend dazu die zarten Erinnerungen an eine frühere Zeit. Auf der Straße herrscht pure Gewalt. Es wird nicht mehr gelacht. Nicht einmal mehr die Schwalben singen. Sie selbst haben Erfahrungen mit dem Krieg. Waren Sie in Kabul? Oder können Sie sich in die Situation Afghanistans hineinversetzen, weil Sie selbst islamisch geprägt sind?

M.M.: Meistens ist es der Westen, der es auf seine Weise erklärt, was dort eigentlich passiert ist. Der Orient ist ein Universum für sich, eine Welt, die sich dem westlichen Menschen häufig verschließt. Ich glaube, dass die orientalische Erfahrung absolut notwendig ist, um zu erkennen, was dort zerstört wurde. Es ist schwierig für Westler, die Mentalität der Muslime zu erfassen. Auch wenn ich selbst gar nicht in Kabul gewesen bin, ist mir die dortige Mentalität vertraut.

P.K.: Sie erklären nicht so sehr Dinge und Zusammenhänge, sondern vermitteln vielmehr eine Atmosphäre. So ahnt man die Bedeutung der Moschee, weil man die bedrückende Stille und Leere in der Stadt förmlich spürt, wenn gebetet wird.

M.M.: Für mich ist das eine Möglichkeit, den Leser quasi an die Hand zu nehmen. Ich versuche, dem Leser ein guter Führer zu sein, um ihm das Wesentliche der Tragödie vor Augen zu führen. Ich möchte, dass er sich in die Situation einlebt. Es ist sehr bedeutsam für einen Schriftsteller, eine bestimmte Atmosphäre wiederaufleben zu lassen.

PK: Was hat Sie denn inspiriert, Afghanistan als ein Beispiel für die harte Variante eines effektiven Taliban-Regimes zu nehmen?

M.M.: Da gibt es sicherlich verschiedene Faktoren. Zunächst einmal wollte ich ein Buch schreiben, das außerhalb von Algerien spielt, um mir zu beweisen, dass Menschen auch woanders ähnlich empfinden. Denn ich sehe mich als universalen Schriftsteller. Dann gab es aber auch ein Attentat, diesen Mord an einer afghanischen Frau, der mich trotz allem, was ich bislang schon an Grausamkeit erlebt habe, zutiefst schockiert hat. Im Schreiben und Darstellen habe ich versucht, noch etwas zu retten, indem ich davon spreche, warum diese Frau sterben musste. Ich beschreibe die menschliche Dummheit und das Wegschauen der meisten.

P.K.: Sie sagten, dass jemand, der in muslimischer Tradition aufgewachsen ist, ein Land wie Afghanistan besser verstehen kann. Sie selbst wirken sehr modern, in gewisser Weise europäisch. Schließlich leben Sie in Paris. Empfinden Sie keinen Widerspruch der Welten?

M.M.: Nicht zwangsläufig. Ich habe mich gar nicht so sehr angepasst, seit ich in Frankreich lebe. In mancher Hinsicht war ich in Algerien moderner und fortschrittsgläubiger. Denn Algerien, das wird häufig vergessen, ist auch ein sehr modernes Land. Natürlich leben wir seit zwölf Jahren im Krieg, was mit großer Gleichgültigkeit von der Weltöffentlichkeit hingenommen wird. Und wir hören nicht auf, uns zu schlagen. Der Islam war aber auch nie eine archaische Religion, im Gegenteil. Er ist offen und hat den Blick auf die andern, auf die Welt, auf das Wissen und die Wissenschaften gerichtet. Und gerade weil die Fundamentalisten keine gesellschaftliche Utopie haben und sich wissenschaftlich nicht auseinandersetzen, haben sie einfach keine Vorstellung von der Zukunft. Sie sind schlicht in der Vergangenheit verhaftet. Und sie üben Gewalt aus.

P.K.: In Ihrem Roman erschlägt ein Mann eine Prostituierte mit einem Stein. Eigentlich wollte er es gar nicht. Er tat es plötzlich wie aus einem inneren Zwang oder Befehl. Ein anderer Mann schaut ihm dabei zu. Wollten Sie bewusst in Ihrem Roman Menschen zeigen, die Gewalt ausüben, die einen Weg eingeschlagen haben und glauben, nicht mehr zurück zu können?

M.M.: Genau darin besteht die Gefahr. Der Mensch ist allein angesichts einer solchen willkürlichen Situation, besonders, wenn er keine Hoffnung hat und arm im Geiste ist. Er wird zu einem Staubkorn im Wirbelsturm. Und er kontrolliert sich nicht mehr. Das ist es, was ich versucht habe darzustellen. Man kann eigentlich nicht von den Fundamentalisten sagen, dass sie im tiefsten Inneren böse wären, nein. Es sind eher Menschen, die sich verirrt haben, die indoktroniert wurden und abgerichtet sind auf absurde unnütze Ziele.

P.K.: Glauben Sie, dass es Westlern ebenso ergehen kann? Oder sind die eher gefeit?

M.M.: Die Amerikaner sind nicht so weit vom Fundamentalismus entfernt, wie sie glauben. Denken Sie nur an das Glaubensbekenntnis, mit dem Bush losgezogen ist. Er müsste es als aufgeklärter Mensch besser wissen. In gewisser Weise ist das schlimmer als bei vielen ungebildeten Taliban, die nicht wissen, was in der Welt vor sich geht, weil sie aus ihrer Koranschule nicht herausgekommen sind. Sie haben kein anderes Ziel als Gewalt und Krieg. Das ist ihre einzige Lebensperspektive und vielleicht ihre einzige Möglichkeit, sich auszudrücken. Amerika, das ist heute die Welt. Das ist Coca Cola, der amerikanische Film, die amerikanische Literatur, die amerikanische Technologie, die amerikanische Politik.

P.K.: Man könnte eine gewisse Amerikafeindlichkeit aus Ihren Äußerungen schließen. Sind Ihre Bücher eigentlich auf amerikanisch übersetzt beziehungsweise in Amerika verlegt?

M.M.: Ich hatte das Glück, in Amerika schon vor diesem Krieg gelesen worden zu sein. Ich werde dort seit 1989 verlegt. Es gibt sechs Bücher auf englisch, und dieser Roman wird bald in den USA erscheinen. Ich hoffe trotzdem sehr, dass der amerikanische Leser bei dieser Gelegenheit etwas von der arabischen Welt für sich entdeckt: das andere Gesicht des Muslim, seine Großzügigkeit, sein Talent, und warum nicht auch seine Gläubigkeit?

P.K.: In Ihrem Roman fühlte ich mich an die Sinnlichkeit der orientalischen Erzähler erinnert, wie wir sie aus 1001 Nacht kennen: Geräusche, Düfte, bestimmte Details. Auch wenn es ansonsten hier bisweilen sehr realistisch zugeht: Man nimmt nach der Lektüre die Welt einfach anders wahr. Fühlen Sie sich in dieser Erzähltradition beheimatet?

M.M.: Eigentlich bin ich ein Schriftsteller, der seine Beschreibung vom Objekt, von der Geschichte selbst abhängig macht. Das heißt, wenn ich etwas über Afghanistan schreibe, dann muss der Stil dazu passen. Wenn mein Sujet ein amerikanisches ist, dann kann ich auch schreiben wie ein Amerikaner. Ich habe nicht nur einen Stil, sondern mehrere Möglichkeiten, mich auszudrücken. Ich selbst bin auch von vielen verschiedenen Schriftstellern geprägt worden.

P.K. Sie haben auch eine Reihe von Krimis geschrieben wie die Kommissar-Llob-Trilogie. Aber das jetzige Buch ist vielleicht existenzieller, eine moderne Tragödie. Oder empfinden Sie das anders?

M.M.: Es hängt von den handelnden Personen ab, wie sie sich ausdrücken müssen. Insofern stelle ich mich in den Dienst der handelnden Person und nicht in den Dienst meiner eigenen Mentalität und Überzeugung. Und das trifft auch auf die Umgebung, das Ambiente, zu. Natürlich gibt es einen Unterschied zwischen "Wovon die Wölfe träumen" und "Die Schwalben von Kabul" und den klassischen Krimis, die ich geschrieben habe. Ich kann eben die Farbe ändern. Darin bin ich geradezu ein Chamäleon.

P.K.: Deshalb fällt es Ihnen auch nicht schwer, in die Rolle einer Frau zu schlüpfen? Exemplarisch haben Sie das ja auch mit Ihrem Namen getan. Man sagt, dass die arabischen Männer eher machistisch sind. Sie waren eine Weile beim Militär. Ist das für einen Ex-Offizier nicht ungewöhnlich?

M.M.: Oh, nein. Es ist geradezu eine Ehre für mich, unter einem weiblichen Pseudonym zu schreiben. Vielleicht ist das sogar eine gewisse Hommage an meine Mutter, auch an meine Frau, an die algerischen Frauen, aber eigentlich auch an die Frauen in der ganzen Welt. Ist es nicht wunderbar mit der Frau soldarisch zu sein, mit ihrer weiblichen Großmut, mit ihrer Schönheit und mit der Tatsache, dass sie imstande ist, uns das Wesentliche, das Leben, zu geben. Sie ist der Frühling des Menschen.

P.K.: Die Frauengestalten, die Sie beschreiben, sind manchmal fein, aber sie haben nicht nur Charme, sondern auch einen starken Charakter. Liegt das am Vorbild der algerischen Frauen? Wenn ich nur an Assia Djebar oder andere Schriftstellerinnen denke, so erscheinen sie mir selbstbewusst, stolz und aufrecht.

M.M.: Zweifellos. Es war sicher auch die algerische Frau, die uns den Mut zum Kämpfen gegeben hat. Am Anfang des Krieges waren die Männer geradezu kopflos. Erst als im Fernsehen das Gesicht einer Frau auftauchte, hat dies einen Widerstand gegen den Krieg heraufbeschworen.

P.K.: Sehen Sie eine Parallele zwischen der algerischen und der afghanischen Frau?

M.M.: Demgegenüber ist die afghanische Frau sehr rückständig und in ihrer Tradition befangen. Und der Krieg hat sie völlig zurückgeworfen. Die Taliban haben die Frauen wirklich in die Isolation getrieben und sie zerstört.

P.K.: In Ihrem Buch schreiben Sie: "Früher gab es die Grausamkeit. Und jetzt suchen sie andere Gottheiten".

M.M.: Ich kann nur hoffen, dass die Fundamentalisten die Göttlichkeit endlich in der Frau entdecken werden.

Titelbild

Yasmina Khadra: Die Schwalben von Kabul. Roman.
Übersetzt aus dem Französischen von Regina Keil-Sagawe.
Aufbau Verlag, Berlin 2003.
158 Seiten, 17,50 EUR.
ISBN-10: 3351029683

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch