Inhaltliche Leere sinkt auf tiefstes Niveau

An Karl Gutzkow ist ein großer Armin Gebhardt verlorengegangen

Von Stephan LandshuterRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stephan Landshuter

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das kann schon mal vorkommen: Man ärgert sich so sehr über einen Autor, dass man in die Laune gerät, ein Traktat gegen dessen Werk zu verfassen. Meist lässt man es dann aber doch, denn viel lieber wendet man sich Dingen zu, die einem nahe stehen, weil dort die Energie viel besser investiert ist. Nicht so Armin Gebhardt, der eine solche Aversion gegen Karl Gutzkow (1811-1878) entwickelt haben muss, dass er einmal so richtig vom Leder ziehen wollte wider diesen Autor und dessen angeblich wirre Romane und schlechte Novellen.

Dagegen wäre ja noch nichts zu sagen: Man muss Gutzkow nicht schätzen, und selbst wenn wir hier diese Einschätzung nicht teilen möchten, hätten wir respektvoll den Hut gezogen vor einer geschliffenen Kritik an Gutzkows Werken. Aber Armin Gebhardt ist kein Mann des Floretts, er ist ein mit einem schartigen Krummsäbel bewaffneter Schulmeister, der dem Leser gerne ex cathedra mitteilt, dass der jeweils zu besprechende Text miserabel sei. Bei manchen Novellen oder Dramen lobt er noch generös dieses oder jenes Detail, wenn er den jeweiligen Inhalt wiederzugeben versuchte, findet jedoch meist nichts, das es zu loben gäbe, vieles aber hält er altväterlich für "tadelnswert". Und all dies wird in einer zwischen Flapsigkeit und Verstaubtheit oszillierenden Sprache ausgedrückt, die meist nur von fern an Deutsch erinnert. Hier nur einige illustrierende Beispiele: "Wally, die Zweiflerin" wird als "eindeutiges Schwachwerk" bezeichnet, Gutzkows Texte seien oft zu langweilig, "selbst bei Lesern von damals, die noch nicht über einen Tele-Antilangweiler verfügten" (gemeint ist wohl ein Fernseher). An anderen Stellen jedoch wird auf eine merkwürdig altertümelnde Wortwahl mit obsoleten Ausdrücken wie "Konterfeiung" zurückgegriffen. Für die holprige Syntax findet man auf jeder beliebigen Seite Belege.

Bei der Besprechung der Romane gehen Gebhardt endgültig die Gäule durch. Gerne bekämen wir zumindest im Ansatz erklärt, weshalb denn der "Zauberer von Rom" beispielsweise so indiskutabel ist (vielleicht ein gerade aufgrund seiner Merkwürdigkeiten fulminanter Roman). Das Wenige, was Gebhardt an Argumenten auffährt, ist von bemerkenswerter intellektueller Schlichtheit. Für die späten vier Romane braucht Gebhardt gar nur eine Seite: "Mangelhaft durchgearbeitete, langweilige Romanschinken" seien diese Texte. Begründungen bietet er dem interessierten Leser nicht.

Drei Beispiele mögen genügen, um die mangelnde Qualität seiner Interpretationen zu erweisen. Erstes Beispiel: Am Ende seiner Ausführungen zu der Novelle "Der Sadducäer von Amsterdam" (1834) schulmeistert er Karl Gutzkow, und kritisiert, dass das Auftreten des siebenjährigen Baruch Spinoza am Ende der Novelle überflüssig sei: "Eine Erzählung ist nicht dazu da, eine Person ausschließlich um ihrer Berühmtheit willen ohne anderweitige Funktion einzuschleusen." Abgesehen davon, dass dieser Satz an sich schon von grandioser unfreiwilliger Sprachkomik ist, sei hier noch gesagt, dass dem siebenjährigen Spinoza sehr wohl eine Funktion in dieser Novelle zukommt, noch dazu eine ins Auge springende. Der Knabe verkörpert die Hoffnung des Textes, (der ja die typisch jungdeutsche "Zerrissenheit" um 1835 in der historischen Maske des Protagonisten Uriel Acosta vorführt), dass der unbefriedigende Zustand der Gegenwart überwunden werden könne. Denn wie man weiß, beugte sich Spinoza als Erwachsener der Unterdrückung von staatlicher bzw. religiös-orthodoxer Seite nicht - was aber der wankelmütigen Hauptfigur aus Gutzkows Novelle noch nicht gelingt. Man lese nur Acostas Monolog an den Knaben, der an Explizität eigentlich nichts zu wünschen übrig lässt: "Mein unvollendetes Werk gebe ich dir, der noch einzig furchtlos ist, und der meines Schwertes Scharten an jenen elenden Knechten der Allmacht auswetzen wird. Das Gegenwärtige sinkt Alles unter mir zusammen, nur auf die Zukunft hoffe ich."

Zweites Beispiel: An der Novelle "Imagina Unruh" (1847) befremdet Gebhardt "das Eintauchen der ,Heldin' in eine traumhafte Geisterwelt. In der ein Ludwig Tieck beheimatet war, etwa in seinem Märchen "Der Runenberg" (1802). Doch gerade von den typischen Romantikern wollten sich die realistischen Jungdeutschen ja deutlich abheben. So gerät denn auch dank jenes in Abständen auftauchenden ,Prinzen Wismuth' das Ganze in eine die Verständlichkeit hemmende, störende Schieflage." Gebhardt meint also tatsächlich, Gutzkow habe im Jahre 1847 in epigonaler Weise eine romantische Erzählung nach Art des frühen Tieck verfasst und verwechselt dabei die Position der Protagonistin Imagina mit der des Textes. Denn Imagina wird zwar als "Romantikerin" eingeführt, der Text hingegen nimmt unzweifelhaft eine ganz andere Position ein, denn die Weltsicht der Heldin wird mittels einer innovativen Psychologisierung als reines Phantasieprodukt entlarvt, was in einem genuin romantischen Text völlig undenkbar wäre. Diese Novelle stellt also keine naive Neuauflage, sondern im Gegenteil ganz augenfällig und eigentlich unübersehbar eine humorvolle Parodie und Verabschiedung der Romantik dar.

Drittes Beispiel und der Gipfel der Anmaßung: Bei den Dramen "Werner" (1840) bzw. "Ella Rose" (1856) bemängelt Gebhardt jeweils den Schluss. Er versucht sich selbst als Dichter und will es nun besser machen als Gutzkow. Dem erstaunten Leser werden seitenlang Vorschläge für Neufassungen präsentiert. Bei "Ella Rose" beispielsweise akzeptiert es Gebhardt nicht, dass sich in der letzten Szene, die "dem Dramatiker Gutzkow zur Unehre gereicht", die Titelheldin erdolcht. Dieser Missstand wird nun beseitigt, Ella darf weiterleben und sich als Schauspielerin selbst finden, die von nun an in Autonomie ganz ihrer Kunst lebt. Mit der unvergleichlichen Sprachmacht Gebhardts wird uns mitgeteilt: "Mit einem solchen [...] Lösungsvorschlag [...] erfährt Ella Rose [...] eine konsequente Durchformung von Zielgerade und Ziellinie ganz im Sinne der Titelheldin." Und schließlich noch der Höhepunkt: Der Verfasser ist offenbar überzeugt, dass in kommenden Editionen der alte, schlechte Schluss durch den seinen ersetzt werde, denn er schreibt im Indikativ: "Ella Rose ist die legitime Vorläuferin von Ibsens Nora. Das wird ihr mit revidierter Schlussfassung für immer einen Platz in der Geschichte der dramatischen Gestaltungen sichern." Freuen wir uns also, dass Gutzkow endlich einen Dramaturgen gefunden hat, der seine Dramen so umschreibt, dass sie doch noch in die Geschichte eingehen.

Armin Gebhardt, der seinen persönlichen Tellerrand für den Horizont der Forschung hält, kommt in seinem Buch auch ganz ohne Sekundärliteratur aus und fand auch nicht mehr die Energie, sein Opus Korrektur zu lesen. Das Buch ist übersät von Fehlern. So wurde aus "Ultramontanismus" der herrliche Neologismus "Ultraromantismus". Auch sachliche Fehler finden sich laufend: Gebhardt lässt Gutzkow ein Jahr nach seinem ersten Roman "Briefe eines Narren an eine Närrin" (1832) bereits seinen sechsten Roman veröffentlichen. So ein Vielschreiber war nicht einmal Gutzkow, "Maha Guru" (1833) war erst sein zweiter Roman.

Im ersten Teil seines Buches versucht sich Gebhardt auch an einer Kurzbiographie: Er klaubt hier eifrig Fakten zusammen und greift in die stilistische Mottenkiste: "Die Schicksalsschatten senkten sich dennoch über ihn." Er begibt sich wie so oft auf das Glatteis der Metaphernbildung: "Die Flut seines Geschreibsels steigt noch an, dessen inhaltliche Leere sinkt auf tiefstes Niveau". "Inhaltliche Leere" ist doch schon der kelvinsche Nullpunkt, wohin soll das denn noch sinken (wenn man sich unter "sinkender Leere" überhaupt etwas vorzustellen vermag). Zudem bewertet Gebhardt sein biographisches Objekt ständig in trivialpsychologischer Weise: "Die Wärme des Herzens [...] entfiel bei ihm von vornherein." Von Behutsamkeit, eine der wichtigsten Eigenschaften eines jeden Biographen, kann nicht die Rede sein, von Selbstreflexion ebenso wenig. Die "Selbstüberheblichkeit", die Gebhardt bei Gutzkow diagnostiziert, fällt auf ihn selbst zurück.

Auch zur Editionswissenschaft hat Armin Gebhardt implizit einen Beitrag zu leisten: Er empfiehlt, die "gelungenen unter seinen kürzeren Novellen bei geschickter Edition" herauszugeben. Das heißt mit den "erforderliche[n], erhebliche[n] Textkürzungen". Der Himmel möge uns vor Gebhardts verstümmelten Fassungen bewahren.

Titelbild

Armin Gebhardt: Karl Gutzkow, Journalist und Gelegenheitsdichter.
Tectum Verlag, Marburg 2003.
236 Seiten, 25,90 EUR.
ISBN-10: 3828884601

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