Auf der Suche nach komplementären Stimmen

Neue Arbeiten zu Paul Celans übersetzerischem Werk

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Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In dem seine Baudelaire-Übertragungen einleitenden Aufsatz "Die Aufgabe des Übersetzers" fordert Walter Benjamin, dass nicht mehr das Gemeinte und der Sinn im Vordergrund des Übersetzungsbemühens stehen sollten, sondern die auf Artikulation der Fremdheit der anderen Sprache abzielende Anbildung der "Art des Meinens" der anderen Sprache in der eigenen. Indem aber das Fremde der anderen Sprache - und damit die radikale Differenz zwischen den Sprachen - zum zentralen Wert des Übersetzungsvorgangs wird, wird ein zugleich vereinheitlichendes und universalsprachliches Übersetzungsdenken aufgegeben. Die von Benjamin für die Übersetzung fruchtbar gemachte Inkommensurabilität der Sprachen fand eine geradezu zwingende Fortsetzung in einem Denken, das Sprache als differentielles und bedeutungskonstitutives Ordnungsgeschehen einführt. Gerade indem die Differenz zwischen Eigenem und Fremdem in der Übersetzung zur Darstellung gebracht wird, vollzieht sich in der Übersetzung in exemplarischer Weise das, was Jacques Derrida ein "System in Dekonstruktion" nennt. Geht man folglich davon aus, dass die Sprache ein differentielles und artikulatorisches System ist, das, im Vollzug begriffen, sich stets auf syntagmatischer, paradigmatischer und semantischer Ebene modifiziert, dann darf die Übersetzung zwischen den Sprachen nicht lediglich einzelne Elemente übertragen, sondern muss vielmehr Verwebungen, Verhältnisse und Relationen übertragen. Dies erweist sich als für das gesamte Problemfeld der Übersetzung entscheidend, zumal ein sprachliches Gewebe, das als ein unaufhörlich sich veränderndes System gedacht wird, sich keineswegs innerhalb einer textualen Inklusion organisieren kann.

Nach Derrida ist der Leib einer jeden Sprache immer schon von fremden Texturen durchzogen. Es gibt immer Überschneidungen und Verwebungen zwischen den Sprachen, was zur Folge hat, dass die ehemals als Übersetzung zwischen den Sprachen entworfene Übersetzung derart zu einer Übersetzung in sprachlichen Geweben werden muss. Ein Übersetzungsdenken, das diese radikal textuale Struktur der Sprache mitberücksichtigt, muss zudem beachten, dass der Prozess der Übersetzung selbst die Modifikation der betroffenen sprachlichen Gewebe vorantreibt, womit noch einmal der dekonstruktive Charakter der Übersetzungsbewegung exponiert wird. Denn gerade die Übersetzung löst in ein und demselben Text-Ereignis bestehende Texturen auf und schafft neue; sie konstruiert und destruiert gleichermaßen. Anselm Haverkamp hat in diesem Zusammenhang darauf verwiesen, dass "Übersetzung [...] die Agentur der Differenz [ist], welche die trügerische Identität von Kulturen sowohl schafft, als auch sie im Zwiespalt ihrer ursprünglichen Nicht-Identität erneuert und vertieft." Jede der Sprachen, zwischen denen übersetzt, über-gesetzt werden soll, ist bereits eine von Übersetzung tief gezeichnete Sprache: keine ursprünglich natürliche, sondern eine ursprünglich kultivierte, überbaute Sprache. Sprache als immer eine Sprache, die doch die Sprache eines Anderen, des und der Anderen ist, provoziert als Differential zwischen dem Eigenen und dem Anderen eine neue Übersetzungstheorie.

Als einer der bedeutendsten Übersetzer fremdsprachiger Literatur ins Deutsche ist in den letzten Jahren Paul Celan ausgemacht worden; hinsichtlich Quantität und Qualität können ihm wohl allenfalls Rainer Maria Rilke und Hans Magnus Enzensberger an die Seite gestellt werden. Celan hat aus acht Literaturen übersetzt, aus dem Englischen, Amerikanischen, Französischen, Russischen, Italienischen, Rumänischen, Portugiesischen und Hebräischen. Zwei dicke Bände der "Gesammelten Werke" mit insgesamt über 1500 Seiten enthalten Übersetzungen von 42 Lyrikerinnen und Lyrikern, dazu Picassos surrealistisches Drama "La désir attrapé par la queue" ("Wie man Wünsche beim Schwanz packt") und Resnais' Dokumentarfilm über Auschwitz ("Nacht und Nebel"). Ähnlich wie die eigenen Gedichte seien seine Übersetzungen "Begegnungen", schrieb Celan in einem Brief an Hans Bender vom 10. Februar 1961: "[...] auch hier bin ich mit meinem Dasein zur Sprache gegangen." Berücksichtigt man ferner die große Anzahl der noch im Nachlass befindlichen, bisher noch nicht veröffentlichten Übersetzungen, dann sind mehr als die Hälfte aller Texte Celans von dieser Auseinandersetzung mit nicht-deutschsprachiger Literatur bestimmt, deren Spuren in seinem dichterischen Werk allenthalben erkennbar sind, als Zitat oder als eigenständige Reflexion über das Übersetzen. Jürgen Lehmann und Christine Ivanovic haben zu Recht darauf verwiesen, dass "Übersetzung, Dichtung und theoretische Äußerung über Literatur [...] immer wieder intensiv aufeinander [verweisen]; eine derart enge Verschmelzung der genannten Bereiche ist in der deutschsprachigen Literatur nach 1945 nur selten anzutreffen." Vor allem die Zeit Ende der fünfziger bis Anfang der sechziger Jahre ist hinsichtlich Intensität und Vielfalt der Gegenstände als Höhepunkt von Celans übersetzerischer Tätigkeit anzusehen. Das Übersetzen ist hier besonders eng an die poetischen und poesiologischen Arbeiten gebunden, an die Bände "Sprachgitter" und "Die Niemandsrose" sowie an die beiden Literaturpreisreden. Während dieser Zeit entstehen Übersetzungen moderner zeitgenössischer Lyrik bzw. solcher Autoren, die wie Welemir Wladimirowitsch Chlebnikow und Giuseppe Ungaretti dieser Moderne nahe stehen. Dominierend ist die übersetzerische Auseinandersetzung mit modernen französischen Autoren um die Zeitschrift "L'Ephémère", vor allem mit dem Werk von André du Bouchet und Jacques Dupin.

Führt man sich insgesamt vor Augen, was Celan übertragen hat, so entsteht, wie Axel Gellhaus treffend bemerkt hat, "eine biographische Spur, ein Lebenskonzept, zahlreiche Begegnungen in der Spannung von Fremdheit und Nähe, Wahlverwandtschaften zeichnen sich ab". Durs Grünbein hat in Bezug auf Celans Übersetzungen einmal zu Recht angemerkt, dass "Celan niemals irgendwen, und schon gar nicht irgendwie übersetzt [hat]. Er war immerfort auf der Suche nach komplementären Stimmen. Der Leser spürt, wie sehr es ihm darum ging, sich selber näher zu kommen im Dialog mit dem Anderen. Die fremde Zunge, das abweichende Metrum, das ganz andere lyrische Weltbild waren ihm ebenso viele Zugangswege und Türen zum eigenen Wortraum." Celans Übersetzungen "schließen das Original in die eigene Stimme ein wie ins persönliche Gebet, ohne die Integrität desselben je zu verletzten. Sie sind sein bescheidenes Echo. In ihrer Zurückhaltung bewahren sie, Zeile für Zeile, den ursprünglichen Eigensinn." Aufschlussreich ist der Satz - bezeichnend für seine Methode arbeitsteiliger Empathie - mit dem Celan seinen Rundfunk-Essay über Ossip Mandel'štam einleitete, indem er einen Zeugen aufrief, Nikolaj Gumiljow, einen früheren Weggefährten des Dichters: "Diese Gedichte haben Gewicht. Man möchte sie selbst geschrieben haben." Es ist dies das uneingeschränkte Bekenntnis zum Anderen, in dem das Eigene erkannt wird. In diesem Sinne sind Celans Übersetzungen zu verstehen. Er selbst hat nicht versäumt, jene, die ihm besonders am Herzen lagen, zu kommentieren. Den beigefügten Notizen, zumeist portraithafter Art, kann man entnehmen, worauf es ihm dabei ankam. Nicht die Aufbereitung lyrischer Prunkstücke, ihre Überführung ins Museum der modernen Poesie war seine Anliegen, sondern Geistesgegenwart, erneuerte Präsenz des Vertrauten.

"Das Gedicht", sagt Ossip Mandel'štam, "läßt sich mit der ägyptischen Totenbarke vergleichen. In dieser Barke ist alles für das Leben bereitgelegt, nichts wurde vergessen." Jeder Versuch, jene Barke zu rekonstruieren, musste schief gehen. Beim Übersetzen in fremde Gewässer verlor sie noch jedes Mal einen Teil ihrer ursprünglichen Fracht. Was das andere Ufer erreicht, hat sich unterwegs verwandelt. Gelangt es an die andere Seite überhaupt noch als das Fremde, Andere? Oder ist es dem Eigenen anverwandelt, täuschend ähnlich geworden? Gerade dies ist nach Ansicht Benjamins die "Aufgabe des Übersetzers": dem Anderen sein Eigenes zu bewahren, es sichtbar zu halten, da sich sonst keine Begegnung vollzieht, sondern simple Aneignung. Zu Unrecht ist Celan wiederholt der Vorwurf gemacht worden, er verwandle beim Übersetzen alles in Celan. Vielmehr ist sich Celan stets des - um mit Heidegger zu sprechen - Abgrunds zwischen den Sprachen bewusst, der "Zeitenschrunde", die nicht nur auf jene abstrakte hermeneutische Differenz zwischen den verschiedenen Sprachen und dem je verschiedenen Sprachdenken verweist, sondern auch auf den Abgrund, der jedes Mal wieder überwunden werden musste, wenn Celan deutschen Boden betrat. Celan hat die Kritik an seiner angeblich zu "celanischen" Manier nicht leicht genommen, sondern als kulturpolitisches Phänomen im Nachkriegsdeutschland verstanden und sich selbst einmal in der Nähe zu Hölderlin gesehen, als er sich notierte: "Am Mandelstamm zackernd, aufs neue". Die Kritik hatte Hölderlin als Übersetzer zu dessen Lebzeiten mit Hohn und Spott bedacht, deren beredter Ausdruck das "Zackern am Pindar" war.

Der Komplex der Übersetzungen stand lange Zeit im Schatten der Beschäftigung mit dem poetischen Werk Celans, war vor allem analytisch nicht angemessen vertreten. Sieht man von der Monographie Leonard Olschners einmal ab (Leonard M. Olschner: Der feste Buchstab. Erläuterungen zu Paul Celans Gedichtübertragungen, Göttingen 1985), fehlten Modelle für eine kritische Edition der Genese literarischer Übersetzungen ebenso wie ausführliche Analysen der Übersetzungsverfahren Celans. Das änderte sich mit dem Jahr 1997, als gleichzeitig in Marbach die Ausstellung "Fremde Nähe. Celan als Übersetzer" stattfand (mit dem großartigen von Axel Gellhaus herausgegebenen Katalog) und der von Jürgen Lehmann und Christine Ivanovic veranstaltete Sammelband "Stationen. Kontinuität und Entwicklung in Paul Celans Übersetzungswerk" (Heidelberg 1997) erschien, der das breite Spektrum von Celans Übertragungen hinsichtlich der großen Zahl der Literaturen ebenso wie der Vielfalt und Differenziertheit der übersetzerischen Verfahren vorstellte. Darüber hinaus erarbeiteten die Beiträger drei unterschiedliche Phasen des Übersetzens und machten am Beispiel ausgewählter Übersetzungen auf die Konstanz und auf die Veränderung von Strategien und Verfahren aufmerksam.

War Celan ein vieler Sprachen mächtiger, aber selbst konstant in der deutschen Sprache schreibender Dichter und Übersetzer, so wurden auch seine eigenen Gedichte (teilweise noch zu seinen Lebzeiten, vor allem aber seit seinem Tod) in zahlreiche andere Sprachen übertragen. Daher ist der jüngste, von Alfred Bodenheimer und Shimon Sandbank herausgegebene Sammelband "Poetik der Transformation. Paul Celan - Übersetzer und übersetzt" von besonderem Interesse. Der titelgebende Begriff einer 'Poetik der Transformation' konstituiert sich gerade im Wissen um das Eingebundensein und die Anlehnung alles Sprechens an kulturelle Vor- und Kontexte, die Differenz zur anderen lässt erst ein Bewusstsein der eigenen Sprache entstehen. Der Band ist dreigeteilt: Im ersten Abschnitt wird Paul Celan als Übersetzer aus einer umfassenderen Perspektive visualisiert, womit eine Annäherung an die Besonderheiten seines übersetzerischen Werks angestrebt wird. Axel Gellhaus verdeutlicht Celans Verständnis des Übersetzens als eines "Fergendienstes", das heißt - einer Heideggerschen Metapher entsprechend - im Sinne des Über-setzens eines Fährmanns über einen Strom. Heidegger hatte in seiner Freiburger Heraklit-Vorlesung vom Sommersemester 1943 die Vorstellung des Abgrunds zwischen der einen und der anderen Sprache thematisiert, wodurch das Übersetzen zum Übersetzen wird.

Jürgen Lütz verknüpft die übersetzerischen Arbeiten Celans mit dessen poesiologischen Texten, der Büchner-Preisrede "Der Meridian" und der Beziehung zu Ossip Mandel'štam, dessen Dichtung und Schicksal als Opfer eines totalitären Systems einen der entscheidende Anstöße zu intensiver Übersetzungsarbeit bilden. Dass Celans übersetzerische Tätigkeit, sofern es sich nicht um Auftragsarbeit handelte, mit seiner eigenen poetischen Arbeit einerseits und mit seiner theoretischen Auffassung von der Dichtung andererseits eng verknüpft ist, deutet der Titelentwurf "Fremde Nähe" an, mit dem Celan seine geplante, aber nicht realisierte Übersetzungssammlung zu bezeichnen suchte. Der genauere Sinn dieser Wendung erschließt sich aus seinem einzigen ausführlicheren Entwurf zur Theorie der Dichtung. Was Celan in der Büchner-Rede einen Meridian nennt, beruht auf der Wahrnehmung einer existentiellen Verbundenheit und Nähe zwischen Individuen: es ist eine gedachte Linie. Das Verständnis vom Gedicht als etwas Einmaligem muss für den Übersetzer Celan Konsequenzen haben, denn in seiner Antwort auf eine Umfrage der Libraire Flinker, Paris, aus dem Jahre 1961, schreibt Celan: "An Zweisprachigkeit in der Dichtung glaube ich nicht. [...] Dichtung ist das schicksalhaft Einmalige der Sprache. [...] Also nicht [...] das Zweimalige." Die paradoxe Bedingung des Übersetzens wäre somit: die Wiederholung des Unwiederholbaren. Eine poetische Übersetzung ist Lesevorgang und Auslegung sowie zugleich deren Umschmelzung in eine neue Gestalt: Dokument einer Rezeption und einer Neuschöpfung.

Im zweiten Abschnitt sind Einzelinterpretationen zu Übersetzungen Celans aus dem Französischen, dem Russischen, Englischen und Hebräischen versammelt. Von besonderem Interesse ist der Ansatz Stéphane Mosès', der bei Celans Übersetzung von Guillaume Appolinaires Gedicht "L'Adieu" auf die Spannung zwischen einer möglichst vollkommenen Treue zum Original und der gleichzeitigen Schaffung eines neuen, in sich geschlossenen Gedichts verweist, wie es nach Mosès in Celans Aktualisierung und Dramatisierung des Moments der Trennung gegenüber Appolinaires eher auf die zukünftige Sehnsucht fokussiertem Schmerz zum Ausdruck kommt.

Aufmerksamkeit verdient auch der Beitrag Alfred Bodenheimers, der Celans wenige Monate vor seinem Tod entstandene Übersetzung eines hebräischen Gedichts von David Rokeah mit Bezug auf den Israel-Besuch des Dichters vom Oktober 1969 und die daraus erwachsenden ambivalenten, zwischen Begeisterung und Irritation sich bewegenden Gefühle des Dichters liest. Die Übersetzung des Gedichtes "Banechar" (????; "Fremde") korrespondiert mit dem bei Benjamin begegnenden Primat der sprachbedingten Differenz in der "Art des Meinens" zwischen Original und Übersetzung, weil die "Fremde" an sich, die die Differenz zwischen Übersetzung und Original bedingt, in der Übersetzung Celans zugleich Thema des Originals ist. Die Übersetzung wird also, wie Bodenheimer treffend hervorhebt, "die Differenz im Begriff der Fremde ausdrücken - und dies zusätzlich anhand eines Originals, zu dessen Sprache ein biographisch komplexes, zwischen Nähe und Ferne liegendes Verhältnis des Übersetzenden besteht." Celans Übertragung von "Banechar" wird daher folgerichtig als vom Übersetzer sich anverwandelter Text gelesen, das heißt als Text, der mittels der sprachlichen Übertragung vom fremden zum eigenen geworden ist. Die Begegnung nicht nur mit Rokeahs Gedicht, sondern auch mit dem Hebräischen, die der Akt des Übersetzens für Celan dar- und herstellt, wird in seiner Übersetzung zum eigentlichen Thema des Gedichts. Sie kann, worauf Bodenheimer hinweist, nicht losgelöst vom Evozieren jener Vergangenheit verlaufen, der er ein elementares Verständnis des Hebräischen - und damit des Gedichttextes - überhaupt verdankt. Betont wird damit jenes persönliche, emotionale Moment des Übersetzers: die Notwendigkeit und Präsenz des Hebräischen in Celans Denken während der letzten Monate seines Lebens. Diese Tendenz kommt auch in Briefen an Ilana Shmueli vom 23. Februar 1970 zum Ausdruck, in dem Celan unmittelbar nach der Arbeit mit Rokeah schreibt: "Mich freute [...], einen hebräischen Text entschlüsseln und übertragen zu können." Das Entschlüsseln des Vorhandenen ist das Bild, das Celan selbst in jenen letzten Lebensmonaten für seinen neu erwachten Drang nach der hebräischen Sprache fand, jener, wie Bodenheimer konstatiert, "Verheißung der Fremde, die in seiner Übersetzung von Rokeahs Gedicht mitklingt".

Die Reflexion der Übersetzungsarbeit an Celan bildet schließlich die Grundlage des dritten Abschnitts. Martine Broda betont aus der Sicht jener Sprache, die in den letzten Jahren Celans tägliche Umgangssprache war, die Implikationen, die gerade der Gebrauch der deutschen Sprache als poetischer Sprache für seine Dichtung hatten: Die Konstruktion eines eigenen, Celanschen Idioms, das ins Französische zu übertragen Ziel der Übersetzung sein muss. Shimon Sandbank exemplifiziert in seinem ungemein interessanten Beitrag anhand ausgewählter Textstellen die unvermeidbaren Unzulänglichkeiten jeder Sprache bei der Wiedergabe von Besonderheiten der anderen, insbesondere bei einem Autor wie Celan, der sich sprachlicher Variationsmöglichkeiten und Ambiguitäten bediente: "The different degree of difficulty had to do with the fact that what may be called for the sake of simplicity the 'difficulties of Being' were the result of what Hebrew could not do, whereas the 'difficulties of indeterminacy' were created by what Hebrew must do. [...] But what he [Celan; A.S.] does when he leaves his meanings open and writes poems that can be read in radically different ways is postmodernistic. For he abandons the stable ground of centripetal poetry and jumps into the river of indeterminacy. To follow him into this river, not to block it by determining meanings that are indeterminate, is a greater challenge to the translator than anything he has known before."

Die Frage nach der Übertragbarkeit Celans ins Hebräische ist vor allem deshalb von Interesse, weil viele Gedichte Celans, wie Klaus Reichert und John Felstiner überzeugend nachgewiesen haben, "ins Hebräische kreuzen". Reichert hat dargelegt, dass Celans Poetik des Sprechens im Sinne des Aneinandergrenzens, Einanderberührens sein Modell in dem Verfahren der hebräischen 'Worthöfe' hat. Die Offenheit der hebräischen Wörter, das Mitmeinen des Fremden, eines jeweiligen Anderen oder sogar des Widersinnigen im selben Wort, ist von Celan zur poetischen Methode erhoben worden. Der Gedanke einer (Rück-)Übersetzung ins Hebräische ist gar nicht so abwegig, wenn man erst einmal entdeckt hat, dass einzelne Wörter tatsächlich eine zusätzliche Bedeutungsschicht bekommen, nachdem sie in einen hebräischen Sprachkontext gerückt sind. Peter Szondi spricht in seiner kongenialen "Engführung"-Interpretation von der "Text-Landschaft" dieses Gedichts; der Text ist selbst, bis in die Lettern und die Leere des weißen Papiers, die Landschaft, die er konstituiert; Darstellung und Dargestelltes sind eins: "Die Dichtung ist nicht Mimesis, keine Repräsentation mehr; sie ist Realität. Poetische Realität freilich, Text, der keiner Wirklichkeit mehr folgt, sondern sich selbst als Realität entwirft und begründet." Ein solches performatives Verfahren bezeugt nun allerdings nicht notwendig die Besonderheit Celans, sondern ist das Erkennungszeichen spezifisch moderner Texte überhaupt. Aber diese Modernität Celans ist zugleich, wie Reichert verdeutlicht hat, die Restitution hebräischen Sprachdenkens, in dem Wort und Sache eine Einheit bilden, da es für sie nur das einzige Wort dabar gibt.

An diesen wenigen Aspekten wird deutlich, dass Celan ein ebenso europäischer wie jüdischer Dichter ist. Seine Existenz in der Vielsprachigkeit wie seine Bedeutung für andere Sprach- und Kulturgebiete, sein Einschreiben jüdischer Denk- und Sprachtraditionen in die deutsche Sprache wie die Auseinandersetzung in Israel mit einer auf deutschem Idiom beruhenden poetischen Reflexion jüdischer Erfahrungen, seine innovative Sprachschöpfung, die das Deutsch der Nachkriegszeit wesentlich neu gestaltet hat, lässt sich in der Auseinandersetzung mit seinem übersetzerischen und übersetzten Werk gut beobachten. Celans literarisches Werk demonstriert eine in der deutschsprachigen Literatur nach 1945 fast einmalige Verschmelzung von Dichtung, Literaturtheorie und Übersetzung. Das Pariser Exil eines Deutschsprechenden konvergierte mit dem inhärenten Fremdsein des Übersetzers. Da er wenige verwandte Stimmen aus Deutschland selbst vernahm, trug Celan seiner Muttersprache die Stimmen des Französischen, des Russischen, des Englischen, des Hebräischen, des Italienischen usw. zu. Vor allem in der Einlassung auf Ossip Mandel'štam kam das am reinsten zum Ausdruck, was anspruchsvolles Übersetzen für Celan bis zum Ende seines Lebens bedeutete: das fremd(sprachig)e Gedicht als eine ins Ungewisse hinein aufgegebene "Flaschenpost an Herzland" anlanden zu lassen, mit ihm ins "Geheimnis der Begegnung" einzutreten und durch diesen "Fergendienst" des 'Über-setzens' das Paradoxon der "Fremden Nähe" herzustellen.


Titelbild

Paul Celan: Poetik der Transformation.
Herausgegeben von Alfred Bodenheimer und Shimon Sandbank.
Max Niemeyer Verlag, Tübingen 1999.
190 Seiten, 48,10 EUR.
ISBN-10: 3484651288

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