Musik in einer Kassette

Reclams Rockklassiker

Von Michael GriskoRSS-Newsfeed neuer Artikel von Michael Grisko

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Zeiten einer marketingorientierten Lexikalisierung des Wissens - mit dem Ziel, stabile Käufergruppen zu erreichen - machen auch vor dem Gelbebändchenproduzenten Reclam nicht halt. Natürlich hat der Ditzinger Verlag das staubige Image des rechtefreien Literaturklassikerdruckers längst abgeschüttelt und im Wesentlichen auf die Backlist verbannt. Mit dem Ziel, moderne, aber doch klassisch orientierte Themen zu besetzen, auch mit dem Bedürfnis, neue Zielgruppen zu akquirieren, wurde das Programm nach und nach umgebaut. Der Schwerpunkt verlagerte sich vor allem auf Sekundärliteratur für unterschiedliche Zielgruppen.

"Reclams Rockklassiker" sind auch ein Produkt dieser neuen Verlagsstrategie. Irgendwo zwischen Lexikon und Essaysammlung ist das dreibändige Opus Magnum des Musikjournalisten Peter Kemper in gewohnter Reclamgröße der Versuch, stilbildende Rockmusiker, kurz Klassiker, und deren Werke im sozial- und musikgeschichtlichen Kontext darzustellen. Vorweg bleibt festzuhalten, es ist ein Versuch, der mehr als überzeugend gelungen ist. Und eine Aktualisierung und Erweiterung ist - den Aussagen des Herausgebers zufolge - schon in Arbeit.

Zwischen acht und 44 Seiten variieren die Beiträge, die eher als Essays denn als lexikalische Einträge zu werten sind. Die Autoren sind Fans und Fachleute, schreiben aus einer subjektiven Perspektive für ein breites und unvoreingenommenes Publikum. Dies wird auch bei der Lektüre der Viten am Ende des Buches deutlich, die für sich allein schon eine eigene Betrachtung wert wären. Dabei erwartet den Leser nicht nur ein zuverlässiger biografischer Abriss, sondern auch eine ebenso kompetente Hintergrundeinschätzung, Informationen zur Entwicklung und vor allem zum sozial- und musikgeschichtlichen Background. Auch musikalische Nebenschauplätze werden gelegentlich eröffnet. Natürlich ist auch Platz für Anekdoten und die Korrektur einschlägiger Mythen sowie eine aktuelle Diskografie.

Erfrischend ist ebenfalls die Tatsache, dass neben den internationalen Größen wie Pink Floyd, Elvis, Beatles und natürlich auch Madonna, Platz für die deutsche Crème de la Rock ist: also Grönemeyer, BAP und Oasis. Ihre Wurzeln haben die meisten Bands in den 60er und 70er Jahren, hier liegt denn naturgemäß auch der Schwerpunkt der Beiträge, zu denen man sich ein Vorwort gewünscht hätte, das stärkere stilgeschichtliche Schneisen legt. Ansonsten freuen wir uns auf die wünschenswerte zweite und dritte überarbeitete Auflage, denn die "Rock-Klassiker" sind eine Fundgrube der Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts.

Titelbild

Peter Kemper (Hg.): Rock-Klassiker.
Reclam Verlag, Stuttgart 2003.
1587 Seiten, 35,90 EUR.
ISBN-10: 3150300274

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