Matrilineare Konflikte

Susanne Lackner untersucht die literarische Präsentation von Mutter-Tochter-Beziehungen

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Von Muttermord und Muttersehnsucht ist im Titel einer Monographie aus der Feder Susanne Lackners die Rede. Aber wer sehnt sich da nach wem, und wer wird von wem ermordet? Es könnte nahe liegen, dass es die verlassenen Mütter sind, die ihre flügge gewordenen Söhnen und Töchtern zurück ersehnen, und von ihrem Nachwuchs als verfehlte Rache für so manchen missglückten Erziehungsversuch ermordet werden. Doch die im Titel gleich zweifach vertretenen Mütter sind nur von sekundärem, fast randständigem Interesse. So recht eigentlich geht es der Autorin nur um ein Geschlecht und auch nur um eine Generation, um die Töchter nämlich, die sich "zwischen Muttermord und Muttersehnsucht" - so der vollständige Titel der Arbeit - hin- und hergerissen fühlen. Genauer gesagt, es geht ihr um die - wie es im Untertitel heißt - "literarische Präsentation der Mutter-Tochter-Problematik", die sie "im Lichte der écriture féminine" erhellen will. Aber auch der Untertitel trifft nicht ganz. Denn Lackners Untersuchungsgegenstand ist nicht die Literarisierung der Mutter-Tochter-Problematik schlechthin, sondern deren Darstellung und Verarbeitung in der aus Sicht der Töchter verfassten und erzählten Literatur der 70er und 80er Jahre.

Anhand von neun Romanen und Erzählungen - darunter Katja Behrens' "Die dreizehnte Fee", Elfriede Jelineks "Die Klavierspielerin" und Gabriele Wohmanns "Ausflug mit der Mutter" - will die Autorin zeigen, dass literarische Darstellungen von Mutter und Tochter den theoretisch Erklärungsmustern dieser Beziehung überlegen sind.

Allerdings gilt ihre Kritik auch bestimmten literaturtheoretischen Ansätzen. So unterzieht sie die auf sozialpsychologischen Überlegungen basierende Literaturtheoirie einer fundierten Kritik. Deren Herangehensweise, so moniert sie, könne Mutter-Tochter-Beziehungen nur innerhalb der "mütterlichen Tätigkeit" denken und setze literarische Texte kurzschlüssig mit der "gesellschaftlichen Wirklichkeit" gleich. Weniger überzeugend als die Einwände gegen eine Literaturtheorie, die Mutter-Tochter-Texte "nur als Dokumente zur Bestätigung soziopsychologischer Theorien" nimmt, fallen ihre Bedenken gegen den gender-Diskurs aus, der die Kritik der Autorin dadurch evoziert, dass er die Kategorie sex zugunsten der Kategorie gender aufhebt, und dass er zudem die Kategorien 'Mann' und 'Frau' "verwischt" und dass selbst die "Eindeutigkeit" der Begriffe 'Frau' und 'Frauen' "verloren gehen" könne. Dass die Autorin hierin eine Gefahr sieht, überrascht allerdings, und dies umso mehr, als sie die Begriffe und Kategorien 'Mutter' und 'Tochter' als kulturelle Konstruktionen erkennt.

Immerhin hält sie dem Gender-Konzept aber zugute, dass es einen Ansatz bietet, der eine Textdeutung ermöglicht, die über "geläufige Konzeptionen" von Mutter/Tochter-Beziehungen hinausgeht. Denn gender-theoretische Ansätze suchen die Texte nicht nur nach "Frauen als unterdrückte oder sich der Unterdrückung widersetzende Subjekte" ab, sondern erlauben die soziokulturelle Konstruktionen literarisierter Frauengestalten zu untersuchen. Die von der Autorin präferierte Theorie der écriture féminine rechnet sie zwar auch den Gender-Theorien zu, doch laufe sie im Unterschied zu anderen gender-theoretischen Konzepten nicht Gefahr, die Kategorie 'Frau' aufzugeben. Vielmehr stehe diese Kategorie gerade im Zentrum ihrer Betrachtungen. Was von anderen gender-theoretisch orientierten LiteraturwissenschaftlerInnen der écriture féminine - allerdings auch nicht ganz zu Recht - als biologistisches Weiblichkeitskonzept vorgeworfen wird, macht für Lackner gerade deren Vorzug aus.

Hinsichtlich der Mutter-Tochter-Beziehungen besteht für die Autorin die entscheidende Differenz zwischen Lesarten, die sich an der écriture féminine orientieren, und "etablierten Sichtweisen" darin, dass erstere den 'weiblichen' Ödipuskomplex und die mit ihm verbundene Trennung von Mutter und Tochter in Frage stellt. Zudem unterscheidet die Autorin den literaturtheoretischen Ansatz der écriture féminine strikt von feministischer Literaturkritik, die - hierin den herkömmlichen soziopsychologischen Lesarten verwandt - in literarischen Mutter-Tochter-Beziehungen den Widerstand der Frauen gegen die bestehende Ordnung dokumentiert glaube. Die Aufmerksamkeit der écriture féminine gelte hingegen den Mutter-Tochter-Beziehung "außerhalb der Fixierungen der herrschenden Ordnung". So könne die "Fixierungen der Mutter als Repräsentantin der herrschenden Ordnung oder deren Opfer untergraben" werden. Dies ermögliche auch eine andere Sichtweise auf die Tochter, die nun nicht mehr als eine Frau erscheine, die sich nur von der Mutter loszulösen wünscht, sondern die "eine Beziehung zur Mutter außerhalb der traditionell mütterlichen Tätigkeiten" sucht.

Lackner verkennt allerdings nicht die Begrenztheiten des Ansatzes der écriture féminine gegenüber "der Selbständigkeit der narrativen Qualität literarischer Texte", sondern hält explizit fest, dass die von ihr untersuchten Texte Frauen in "verschiedenen, sehr konkreten Lebenssituationen" zeigen, "sodass die Denkanstöße der écriture féminine hinsichtlich reiner, offener Sprachverfahren nicht anwendbar sind". Somit gehen die Darstellungen der Mutter-Tochter-Beziehungen in den untersuchten Texten nicht nur über die literarische Tradition und literaturkritische Ansätze "auf der Basis gängiger soziopsychologischer Theorien" hinaus, sondern auch über das analytische Instrumentarium der écriture féminine.

Anzumerken bleibt noch, dass die wahrhaft gebetsmühlenartige Wiederholung des Topos "Denkanstöße der écriture féminine" die Lektüre des Buches nicht eben zum literarischen Vergnügen macht. Glaubt man, dass mit dem dreifachen Gebrauch der Wendung auf einer Seite das Maximum erreicht sei, so wird man auf der folgenden Seite schon eines Schlechteren belehrt. Auch bereitet es der Autorin keinerlei Schwierigkeiten, die Formulierung in nur einem Satz gleich zweimal unterzubringen.

Titelbild

Susanne Lackner: Zwischen Muttermord und Muttersehnsucht. Die literarische Präsentation der Mutter-Tochter-Beziehung im Lichte der ecriture femine.
Verlag Königshausen & Neumann, Würzburg 2003.
311 Seiten, 39,80 EUR.
ISBN-10: 3826025237

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