Ermittlungen in Sachen italienischer Geschichte

Drei Krimis erkunden die Vergangenheit und Gegenwart des italienischen Faschismus

Von Christina UjmaRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christina Ujma

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In Italien sind die Gespenster der Vergangenheit zurückgekehrt, seit im Frühsommer 2001 das rechte Parteispektrum unter Einschluss der Neofaschisten die Wahl und damit die Regierungsmacht gewonnen hat. Neofaschisten sind nicht nur in der Regierung präsent, vor allem in Norditalien sind sie und ihr Gedankengut auch in der Alltagskultur recht mächtig. Von dem gesellschaftlich einst dominierenden Antifaschismus ist dort in der Zivilgesellschaft nicht mehr viel übrig geblieben. Vor diesem Hintergrund ist das Erscheinen von gleich drei Krimis zu verstehen, die sich an die Aufarbeitung der Vergangenheit machen bzw. zumindest über sie aufklären wollen. Veit Heinichen, Donna Leon und Carlo Lucarelli verbinden in ihrer Herangehensweise, nicht unbeeinflusst von ihrer nationalen Herkunft, geschichtliche Recherche und Krimi, was kein sonderlich einfaches Unterfangen ist, da es sich auch beim Faschismus um eine der größeren Katastrophen in der europäischen Geschichte des 20. Jahrhunderts handelt.

Veit Heinichens Krimi "Die Toten vom Karst" spielt in Triest, einer Stadt, die zumindest in diesem Krimi keine sonderlich gute Figur macht. In der einstigen Vielvölkerstadt dominiert eine ziemlich bornierte Bürgerschicht, die Jugendlichen flirten mit dem Neofaschismus, Ausländer werden diskriminiert, und zudem herrscht noch mieses Wetter. Als dann auf dem Karst eine aus Istrien stammende Familie umgebracht wird, kommen die unschönen Geheimnisse der einst multikulturellen Stadt langsam wieder zum Vorschein. Während des Faschismus wurden die Slawen von italienischen Faschisten unerbittlich unterdrückt, nach dem Sturz Mussolinis beeilten sich die Tito-Partisanen sich an den faschistischen Besatzern zu rächen, 1945 wurde das Begleichen fiktiver oder realer offener Rechnungen mit besonderer Grausamkeit fortgesetzt. Als dann Triest zu Italien kam und die italienischsprachigen Gebiete Istriens zu Jugoslawien, bemühten sich die jeweiligen Länder ihre slawischen, respektive italienischen Bewohner möglichst effektiv zu vertreiben, wobei es wiederum zu mancherlei Gräueltaten kam.

Während die Neofaschisten in Triest gegen die slowenische Minderheit polemisieren, bemüht sich Kommissar Laurenti das Verbrechen an der slowenischstämmigen Familie aufzuklären und merkt bald, dass dieses seine Wurzeln in einer Vergangenheit hat, die ihm als Süditaliener reichlich fremd ist. Während er langsam Licht in das Dunkel der triestiner Geschichte bringt, wird auch der Leser aufgeklärt, was die Story recht schwergängig macht. Der Plot und die Historie hängen zwar theoretisch zusammen, in der Narration gelingt es Heinichen jedoch nicht dies plausibel zu machen. Am Ende bleibt beides auf der Strecke, Krimi wie geschichtliche Information. Die manchmal recht konfusen historischen Einschübe sind nicht sonderlich informativ, die Krimihandlung ist nicht schlüssig oder stringent. Vor allem das Ende erscheint aus der Luft gegriffen und wenig plausibel. Die größte Schwäche von Heinichens Krimis ist aber sein farblos-ehrlicher Kommissar. Der naiv-integere Streiter für das Recht inmitten einer wenig integeren Stadt ist zwar eine bewährte Figur des Krimis, aber Heinichen Kommissar Laurenti wirkt weder sonderlich sympathisch noch interessant, auch ein Techtelmechtel mit einer schönen kroatischen Staatsanwältin und einige Familienprobleme vermögen nicht, ihm mehr Tiefgang zu geben.

Donna Leons Kommissar Brunetti, die sicherlich eines der Vorbilder für Heinichens Kommissar war, schafft es eher die Sympathie und das Interesse der Leser zu erringen. Auch im neusten Roman "Die dunkele Stunde der Serenissima" wird er wieder als gemütlich-integerer Familiemensch präsentiert. Gattin Paola Brunetti, wie Leon Professoressa für englische Literatur, liefert den Einstieg in den aktuellen Fall. Die von der Dummheit ihrer Studenten frustrierte Hochschuldozentin wird von der vielversprechenden Studentin Claudia in einer kriminaltechnischen Frage angesprochen, die daraufhin ihren Mann zu Rate zieht. Als Claudia kurz nach einer Begegnung mit dem Kommissar ermordet wird, ist das Ehepaar sehr betroffen und Brunetti macht sich mit besonders viel persönlichem Einsatz an die Ermittlungen. Diese führen ihn bald zurück ins faschistische Venedig und zu Fragen der sogenannten "Raubkunst". Sein Schwiegervater Conte Orazio entpuppt sich als ehemaliger antifaschistischer Partisan, der ihn gut über Faschisten und Antifaschisten im Veneto informieren kann, Brunettis Freunde in der Kunstszene können ihn über die unsauberen Machenschaften im Kunsthandel der Serenissima zur Zeit des Faschismus aufklären. Diese Einbettung bewirkt eine recht kurzweilige Präsentation historischer Fakten vor stimmungsvoller Venezianischer Kulisse. Insgesamt sind Historie und Plot besser miteinander verknüpft als in Heinichens Roman, wie Leon auch handwerklich und technisch dem Deutschen überlegen ist. Fast hat man das Gefühl, die Geschichtserzählung macht Leon mehr Spaß als die Kriminalhandlung, sie geht jedenfalls recht sorgfältig vor und schafft es sogar, einen Verweis auf die Werke des englischen Historikers Dennis Mack Smith in die Narration einzubauen. Einen Krimi mit einem Hinweis auf weiterführende Literatur auszustatten, geht dann vielleicht doch etwas weit, aber diesmal ist Leons Roman eben sehr bildungsgesättigt, vor allem die anglo-amerikanische Literatur spielt eine wichtige Rolle.

Nachdem Leon ihren Fall interessant und plausibel aufgebaut hat, gelingt es ihr nicht, die Engführung von Historie und Plot beizubehalten und den Fall aus dem angehäuften geschichtlichen Material zu erklären. Das Ende wirkt gezwungen und melodramatisch, was schade ist, denn nach einigen ziemlich blassen Romanen war Leon in "Die dunkle Stunde der Serenissima" auf dem besten Weg zur Form ihrer frühen Krimis zurückzufinden. Den Versuch mit dem Ehepaar Brunetti ein plausibles italienisches Paar zu schaffen, hat Leon im Unterschied zu früheren Werken in die "Die dunkle Stunde der Serenissima" allerdings aufgegeben. Diesmal ist die Erzählperspektive ganz deutlich eine anglo-amerikanische, zahlreiche abfällige Bemerkungen über alle möglichen italienischen Institutionen wirken etwas deplaziert.

In Carlo Lucarellis Roman "Die schwarze Insel" kommt die Darstellung des Faschismus dagegen ohne langatmige geschichtliche Exkurse aus, der Autor bekennt sich in einer Nachbemerkung sogar der leichten Verfälschung historischer Fakten schuldig. Denn er siedelt seine Story im Jahr 1925 an, was eigentlich zu früh für die geschilderten Umstände ist, aber andererseits deshalb sinnvoll ist, weil die Affäre Matteotti einen wichtigen Hintergrund der Handlung darstellt, in der es auch um das Versagen des italienischen Bürgertums angesichts des Faschismus geht. Sein namenloser Kommissar ist der typischer Vertreter dieser Schicht, der in seiner jugendlich-naiven Integrität der Urahn von Laurenti und Brunetti sein könnte. Wie vernichtend genau diese Haltung in einem zunehmend krimineller werdenden Staat ist, muss der Kommissar feststellen, als er im Gefühl seine Pflicht zu tun, ernsthaft gegen faschistische Schläger ermittelt, die einen sozialistischen Arbeiter umgebracht haben. Ohne zu verstehen, womit er dies verdient hat, wird er auf eine abgelegene süditalienische Insel befördert, die titelgebende "schwarze Insel". Dies ist in der Tat ein diabolischer Ort, eine Tagesreise vom Festland entfernt und fernab der Zivilisation beherbergt sie wenig mehr, als eine riesige Strafkolonie, in der verbannte Regimegegner festgehalten werden. Hier findet sich der korrekte Jungjurist als Ausgestoßener wieder, denn mit seinem Amt ist es nicht weit her, die Insel wird vom faschistischen Direktor der Strafkolonie beherrscht, der Insassen und Einwohner gleichermaßen schikaniert. Aus Angst wieder mit der wahren Macht im Lande zu kollidieren und nie wieder von der Insel loszukommen, hält der Kommissar still und beschränkt sich darauf seine Akten zu ordnen, seine Frau verliert ob der Tristesse des Orts langsam den Verstand.

Erst als ein Schwarzhemd unter sehr verdächtigen Umständen ums Leben kommt, wird der Kommissar von dem verbannten Pathologieprofessor Valenza aus seiner Duldungsstarre gescheucht. In der Gegenüberstellung von Valenza und dem Kommissar wird deutlich, dass es paradoxerweise dem Verbannten trotz Unfreiheit und Schikanen immer noch besser als dem Kommissar geht, der überzeugte Republikaner weiß wenigstens weshalb er auf der Insel ist und hat in seinen Mitverbannten gleichgesinnte Gesprächspartner. Als weitere Morde geschehen, versucht Valenza alles, um den Kommissar zur Suche nach der Wahrheit zu bewegen, worunter nicht nur die Aufklärung des Falles, sondern auch die politische Situation nach der Ermordung Matteottis und der Gleichschaltung der Presse fällt. Erst als das Leben des Pathologieprofessors in akute Gefahr gerät, lehnt sich der Kommissar gegen die sadistischen Faschisten auf.

Bei der gemeinsamen Wahrheitssuche bleiben Valenza und der Kommissar allerdings erfolglos, wobei der Sucheifer des Kommissars immer noch durch die Angst vor einer ernsthaften Konfrontation mit den Faschisten gebremst wird. Er ist wie die Mehrheit des italienischen Bürgertums durchaus bereit, seine Seele an die Faschisten zu verkaufen, nur um von der Insel wegzukommen. Als dann der Zufall ihm die Wahrheit in einer Form in die Hand spielt, die nicht zu übersehen ist, fühlt er sich dann doch zum Handeln verdammt und zerstört damit sämtliche Aussichten auf die eigene Befreiung.

Die Lösung des Falles ist so diabolisch wie gesamte Atmosphäre der Insel. Carlo Lucarelli ist ein Meister des Mehrdeutigen, es wird nie ganz klar, ob auf der Insel eine böse Magie herrscht oder Aberglaube und Irrationalismus ob des herrschenden politischen Obskurantismus blühen. Er versteht es jedenfalls gut, die Hoffungslosigkeit des Ortes einzufangen und die brutale Gewalt des Faschismus eindringlich zu beschreiben. Dabei sind seine Schilderungen nichts für Leser die einen schwachen Magen haben oder auf seichte Unterhaltung aus sind. Anders als Heinichen oder Leon versucht er die Schwere seines Themas nicht in leichtverdauliche Unterhaltung zu verwandeln, sondern lässt das Grauen lebendig werden. Dies ist in Anbetracht der Verwüstungen, die der Faschismus in Italien und Europa hinterlassen hat, durchaus angemessen.

Titelbild

Donna Leon: Die dunkle Stunde der Serenissima. Commissario Brunettis elfter Fall.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Christa Seibicke.
Diogenes Verlag, Zürich 2003.
375 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 3257063431

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Titelbild

Carlo Lucarelli: Die schwarze Insel. Roman.
Übersetzt aus dem Italienischen von Monika Lustig.
Piper Verlag, München 2003.
269 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 3492045057

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Titelbild

Veit Heinichen: Die Toten vom Karst. Roman.
dtv Verlag, München 2003.
365 Seiten, 9,00 EUR.
ISBN-10: 3423206209

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