Vormoderne Städte in Europa und Asien

Entstehung, Entwicklung, Strukturen und Funktionen

Von Jochen EbertRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jochen Ebert

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Trotz zahlreicher neuerer Studien zur Geschichte zur frühmodernen Stadt in Europa und Asien fehlt bisher eine Überblicksdarstellung, die Fragestellungen, Methoden, Konzepte und Ergebnisse der internationalen Forschung zusammenfassen würde. Dieser Herausforderung haben sich die Autorinnen und Autoren des von Peter Feldbauer, Michael Mitterauer und Wolfgang Schwentker herausgegebenen Sammelbandes gestellt. Erklärtes Ziel der in der Reihe "Einführungstexte zur Sozial-, Wirtschafts- und Kulturgeschichte" erschienenen Universalgeschichte ist es, Entstehung, Entwicklung, Strukturen und Funktionen der Städte einem Vergleich zu unterziehen.

Die griechische und römische Stadt der Antike steht im Mittelpunkt des ersten Beitrags. Ausgehend von der Entwicklung von der Polis zur Bürgergemeinde im 7. und 6. vorchristlichen Jahrhundert skizziert Jochen Martin die innerstädtischen Verhältnisse, die Funktionen der Stadt für das Umland und ihre Stellung in der politischen Organisation des Römischen Reiches.

Tilman Frasch umreißt in dem anschließenden Beitrag die Entstehung, Ausgestaltung und den Niedergang dreier asiatischer Metropolen: Anuradhapura auf Sri Lanka (gegründet im 5. Jahrhundert v. Chr., aufgegeben um 1000 n. Chr.), Angkor in Kambotscha (gegründet um 800 n. Chr., aufgegeben um die Mitte des 15. Jahrhunderts) und Pagan in Birma (gegründet vor dem 8. Jahrhundert, aufgegeben um 1300). Seine zentrale Frage richtet sich aber auf den Umgang der Kolonialmächte und postkolonialen Staaten mit den historischen Städten als Erinnerungsorten. Sein Vergleich der Präsentations- und Interpretationsformen geht damit deutlich über den zeitlichen und inhaltlichen Rahmen des Sammelbandes hinaus.

Die hierarchische Abstufung mittelalterlicher Städte ist Gegenstand der Ausführungen von Michael Mitterauer. Das Konzept der Zentralorttheorie dient ihm hierbei als Grundlage des Vergleichs der Entwicklungen und Strukturen in Europa mit jenen im Byzantinischen Reich und im islamischen Raum. Die Zentralität einzelner Städte sieht er auf das engste an die Ausübung von Herrschafts funktionen gebunden; Veränderungen führt er auf gewandelte Formen der Herrschaftsverfassung zurück.

Die Entwicklung der islamischen Stadt im Mittelalter wird in dem Beitrag von Peter Feldbauer weiter vertieft. Zunächst werden die Brüche und Kontinuitäten zur antiken Stadt aufgezeigt, dann Städtewachstum und bauliche Gestalt behandelt. Die Frage nach dem Gegensatz zwischen islamischer und abendländischer Stadt hinsichtlich der Ausbildung einer städtischen Selbstverwaltung und eines autonomen Bürgertums bildet den eigentlichen Kern des Artikels.

Einen ähnlichen Ausgangspunkt wählt Monica Juneja, wenn sie bei den unterschiedlichen Begriffen und Urteilen von Europäern und Indern bei der Beschreibung indischer Städte ansetzt. Um die kolonialen Zuschreibungen zu relativieren, betont sie die Eigenlogik der Urbanisierungsprozesse und städtischen Gesellschaftsstrukturen in Indien zwischen dem 10. und 18. Jahrhundert. Das Hauptgewicht ihres Beitrags liegt auf der Darstellung von Leben und Kultur in Delhi.

Hans Ulrich Vogel verknüpft in seinem Artikel zur Stadt im vormodernen China die Darstellung der urbanen Entwicklung vom 9. bis zum 19. Jahrhundert mit politischen, wirtschaftlichen und sozialen Strukturfragen. Zusammenfassend betont er im Vergleich mit europäischen Städten den einseitigeren Ressourcenfluss vom Land in die Stadt und die geringere Bedeutung der städtischen Selbstorganisation in China.

Markus Rüttermann betont in seinem Überblick über die Geschichte der vormodernen Stadt in Japan, das Unterschiede in der Struktur zu europäischen Städten nicht als Defizite gewertet werden können. Aufgrund seiner Untersuchung von Siedlungs- und Sozialstruktur, Wirtschaft, Politik und Kultur japanischer Städte vom 8. bis zum 18. Jahrhundert kommt er zu dem Schluss, dass die Orientierung am europäischen Stadtbegriff die Eigentümlichkeiten der japanischen Entwicklung mehr verzerrt als erklärt.

Die relative Schwäche von Städtewesen, Bürgertum und Kapitalismus im östlichen Europa interpretiert Andreas Kappeler in seinem Beitrag über die russischen Städte vom 8. bis zum 18. Jahrhundert als Folge eines komplexen Geflechts ökonomischer, sozialer, politischer, religiöser und kultureller Ursachen. Die russische Stadt wird aufgrund der Unterordnung unter Fürst und Adel, fehlender Selbstverwaltungsrechte und der geringen Abgrenzung zum Land als Sondertyp der europäischen Stadt definiert.

Der Aufstieg der europäischen Städte zu Metropolen in der Frühen Neuzeit ist das Thema von Herbert Knittler. Im Mittelpunkt der Darstellung steht die zentralörtliche Funktion als administrativ-politisches Zentrum, deren Ausbildung in Relation zur Entstehung der europäischen Territorialstaaten gebracht wird. Darüber hinaus konzentriert sich Knittler auf demographisches Wachstum, Migrationsbewegungen, soziale Diversifikation und deren Folgen des Lebensmittelbedarfs für Landwirtschaft, gewerbliche und industrielle Produktion.

Hieran schließen die Ausführungen von Josef Ehmer und Reinhold Reith zur Funktion der Städte als Arbeitsmarkt an. Als fragwürdig beurteilen sie gängige Darstellungen, nach denen ein freier Arbeitsmarkt erst mit der Industrialisierung entstanden und Lohn durch Herkommen und Verordnungen festgelegt gewesen sei.

In einem den Sammelband abschließenden strukturgeschichtlichen Vergleich der vormodernen Stadt in Europa und Asien geht Wolfgang Schwentker zunächst auf Theorien und Methoden der Stadtgeschichtsforschung ein. Seinen Überlegungen zu Gemeinsamkeiten und Unterschieden hinsichtlich der Entstehung, Entwicklung, Strukturen und Funktionen spricht er aufgrund der oftmals problematischen Vergleichbarkeit eher vorläufigen Charakter zu. Gleichwohl dürften die in diesem Zusammenhang aufgeworfenen Fragen für die weitere Auseinandersetzung mit Stadtgeschichte von zentraler Bedeutung sein. Hierzu gehört vor allem die Frage, wie Selbstverwaltung und politische Partizipation für die Entwicklung der Stadt in Zukunft zu gewichten sind und ob nicht Faktoren wie Multikulturalität und Integrationsfähigkeit künftig stärker berücksichtigt werden müssten.

Ein insgesamt sehr informatives und anregendes Buch, das aber hinsichtlich der zeitlichen Begrenzung auf die Zeit vor der Industrialisierung und der räumlichen Festlegung auf Europa und Asien Fragen offen lässt.

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Michael Mitterauer / Wolfgang Schwentker (Hg.): Die vormoderne Stadt. Asien und Europa im Vergleich.
Oldenbourg Verlag, München 2002.
287 Seiten, 24,80 EUR.
ISBN-10: 3486566695

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