Ertrag einer Lebensreise

Klaus Müller-Salgets Kleist-Biographie

Von Stephan SonntagRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stephan Sonntag

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Den Vorwurf der Unzeitgemäßheit nimmt der Verfasser gerne in Kauf", lautet der letzte Satz Klaus Müller-Salgets in der Einleitung zu diesem Buch. Sein Ziel sei es, den Autor Heinrich von Kleist, seine Dichtungen und seine Schriften "möglichst nüchtern" vorzustellen und dabei auf "übergestülpte Theoriekonzepte" und "subjektive Assoziationen" zu verzichten. Ein Vorhaben, dem der Ordinarius für neuere deutsche Literatur an der Universität Innsbruck gerecht wird, indem er nicht auf Sensationen spekuliert, sondern auf Sachinformationen setzt.

Sein Handbuch ist zweigeteilt und behandelt im ersten Teil Kleists Biographie und im zweiten Teil Kleists Werk. Es zeichnet sich in beiden Teilen durch Rationalität und detaillierte Faktizität aus: So werden zu Kleists geheimnisvoller "Würzburger Reise" von 1800 zwar Deutungsversuche und Spekulationen referiert und rekapituliert, doch Müller-Salget kommt zu dem Schluss, dass der "Ertrag" dieser Reise die "ersten Fingerübungen des Dichters Kleist" gewesen seien: "Die ironische Schilderung eines Besuchs in der Würzburger Leihbibliothek enthält auch schon einen echten Kleistschen Dialog."

Bei den Werkinterpretationen dringt Müller-Salget nicht tiefer vor, als es zum Verständnis unbedingt notwendig ist: Der Verfasser vermeidet das Risiko von Irrfahrten auf dem Interpretationsozean, indem er seine Darstellung strikt am informativen Gehalt orientiert. Dass seine Darstellung der Kleistschen Biographie dennoch mehr ist als eine bloße Faktensammlung "Kleist - Stand 2002", verdankt sich auch dem bemerkenswert "unverwissenschaftlichten", zstreckenweise persönlichen Präsentationsstil des Autors. So manche Spitze gegen die eigene Zunft und so manche eingestreute ironische Brechung, etwa über die fast unerträglichen Schulmeistereien Kleists gegenüber seiner Verlobten Wilhelmine von Zenge, erleichtern den Zugang. So glaubt man Kleist näher zu sein, als es in Werken "augurenseliger Begriffsakrobaten postmodernistischer Herkunft", wie Müller-Salget sie nennt, der Fall ist.

Hilfreich ist auch die Werkgliederung nach Themengebieten - und nicht streng gattungsspezifisch oder chronologisch. So wird zum Beispiel die "Herrmannschlacht" unter der Kapitelüberschrift "Politischer Furor" parallel zu Kleists politischen Aufsätzen behandelt und nicht etwa mit dem Dramengattungspartner "Die Familie Schroffenstein". Unnötige Wiederholungen oder Themensprünge werden so vermieden.

Ja, dieses Buch mag unzeitgemäß sein, dann aber im positiven Sinne. Gerade für Kleist-Einsteiger stellt diese Handreichung einen adäquaten und kurzweiligen Zugang zum Menschen Heinrich und zum Dichter Kleist dar.

Titelbild

Klaus Müller-Salget: Heinrich von Kleist.
Reclam Verlag, Stuttgart 2002.
357 Seiten, 8,60 EUR.
ISBN-10: 3150176352

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