Tanz um Leben und Tod

Sabine Gruber erzählt von den "Zumutungen" eines Lebens vor dem Abgrund

Von Nicole NitscheRSS-Newsfeed neuer Artikel von Nicole Nitsche

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Es ist nie mehr Aufbruch in den Tag. Es ist Aufbruch in die Stunde. Ich gebe mich längst mit den kleinsten Einheiten zufrieden. Und doch habe ich nur eine Ahnung, was mit mir ist". Eine Frau Mitte Dreißig sieht im Stundenglas die Zeit verrinnen.

Wie gestaltet man sein Leben, wenn die tägliche Bedrohung ein ständiger Begleiter ist? Wenn man nicht mehr von Lebensverlängerung sondern von Sterbeverlängerung spricht. "Es hat begonnen ohne Anfang, mitten im Leben. Dafür gibt es kein Wort, Zustände vielleicht, die jeder kennt. Zustände, die man nicht erträgt, oder Müdigkeiten, die man für etwas anderes hält, als sie sind."

Sabine Gruber konfrontiert den Leser in ihrem zweiten Roman "Die Zumutung" mit einer Erzählerin, die sich, seit der Diagnose einer chronischen Glomerulonephritis, in zwei Persönlichkeiten gespalten hat. Die eine, die täglich aufblüht ("ich drehe mich ins Licht und knospe. Ich gieße mich, bis das Wasser aus den Mundwinkeln abfließt, weil es keinen Platz mehr findet, weil ich überlaufe"), und die andere, die so oft schon ihre eigene Beerdigung in Gedanken inszenierte ("als sei mich hinaustrugen, klammerte mein Vater sich an meine Mutter. Wie die Wolken drängten sich die Trauernden aneinander").

Weniger rational als durch den Körper erfährt sie ihre Bedrohung, wenn sie nach Wassermassen und Liebe verlangt. Da ist Leo, der Ehemalige, Unvergessene, Starke; da ist Paul, die Fernbeziehung in Rom, die "Zuverlässigkeit im Hintergrund". Und in ihrem Tanz um Leben und Tod lernt sie eine neue Liebe kennen, Beppe. Er ist intellektuell, sinnlich und wie sie ein wenig kompliziert, außerdem einer aus dem Reich der B-Tage (B wie Blutwerte, Befund, Besprechung). Zum Schluss noch Michael, der Fotograph, mit dem sie eine Nacht verbringt und dadurch ewig mit ihm verbunden scheint. Alles begleitet von der Ahnung, dass ihre Zeiterfahrung und die Haltung zu den Dingen radikal anders ist als die ihrer vergangenen und gegenwärtigen Begleiter.

Doch der Tod scheint ihr ewiglicher Gefährte und einziger Begleiter zu sein, der alles Sinnliche aus ihr herausholt, sie mobilisiert und gleichzeitig all ihr Handeln fragwürdig, gleichgültig und irrelevant erscheinen lässt. Die tägliche Bedrohung wird von Tag zu Tag größer und holt Marianne immer mehr ein und letzlich wird auch dem Leser deutlich, dass die Protagonistin ein Protokoll ihrer eigenen Krankengeschichte verfasst. Zurückgeworfen auf sich selbst, empfindet sie sich als Zumutung und weiß doch, dass auch ihr zuviel zugemutet wird: Launen des Schicksals, Todesängste, Anderssein.

Sabine Grubers Roman ist eine unwirklich-schwebende, poetische und humorvolle Geschichte, welche typische Erzähleigenschaften der Autorin wiedererkennen lässt. Sie wirkt immer dann am überzeugendsten, wenn es um labile Zustände, Zwischengefühle und Zwiespältigkeit geht.

"Die Zumutung" ist ein Buch nach dem Motto: "Leben als Sein zum Tode". Ein Buch der Abschiede.

Titelbild

Sabine Gruber: Die Zumutung. Roman.
Verlag C.H.Beck, München 2003.
224 Seiten, 19,50 EUR.
ISBN-10: 3406502644

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