Ilanas Stimme

Judy Budnitz märchenhafter Roman "Das Echo meiner Schritte"

Von Petra PortoRSS-Newsfeed neuer Artikel von Petra Porto

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Judy Budnitz, Journalistin und Autorin zahlreicher Kurzgeschichten, erzählt in ihrem ersten Roman die Geschichte des Bauernkinds Ilana, das zu Anfang des letzten Jahrhunderts von der alten in die neue Welt aufbricht, weil es erkennt, dass es "nicht von seinem Land" ist, dass es nicht hingehört, wo "man die Farbe vergessen hat" und die Kolorierung eines Eigelbs "so etwas ist wie ein Wunder".

Was die junge Frau dann jedoch auf ihren Weg nach Amerika mitnimmt, sind ihre Erinnerungen an das alte Land - an die Mutter, die sie mit fast sichtbaren Fäden an sich selbst und ihr Haus fesselte, sie mit ihrer wilden Liebe festzuhalten suchte und doch gehen ließ. An ihren Bruder Ari, den Riesen, der bereits als Kleinkind Steine verspeiste und später Kühe und Schweine zerriss. An den Räuber im Wald, der ihr ein kostbares Ei schenkte, in dessen Innern sich eine ganze "ummauerte Stadt mit zwiebelförmigen Türmen" befindet, zusammen mit "einem Garten, einem glitzernden, vereisten Springbrunnen und einem gewölbten Himmel voller Sterne".

Schließlich jedoch sind auch ihre alten Ängste im Gepäck, der unheimliche Gedanke, an einem Meer voller gesunkener Schiffe zu stehen, einsam zu sein, nicht mehr nach Hause zu finden - und auch die Angst vor den drei Frauen, die scheinbar überall auftauchen, begleitet sie. Die Angst vor dem Schicksal, vor jenen, die gleichsam Parzen sind, die die Lebensgeschichte jedes Menschen kennen, sie in ihrer eigenen Sprache bereden und dabei stricken und weben. "Eine rollte den Faden ab, die zweite maß ihn, die dritte schnitt ihn ab."

So verbindet Judy Budnitz vom Beginn ihres Romans an realistische mit phantastischen Zügen, zieht den Leser gleichsam in die Geschichte hinein, bindet ihn gleichfalls mit unsichtbaren Fäden an das Schicksal der Auswanderin. Man kann Ilana fast erzählen, ihre Geschichten raunen hören. Wem jedoch erzählt sie? Die Frage wird erst später beantwortet werden, nachdem Ilanas Tochter Sashie geboren wurde, nachdem ihr Mann und ihre beiden Söhne sterben, nachdem Sashie selbst eine Tochter, Mara, gebiert, nachdem Mara schließlich Nomie, das Kind ihres Bruders, als ihr eigenes annimmt.

Nomie ist es, der Ilanas Geschichte gilt. Nomie ist es, der auch Sashie erzählt und zu der Mara wispert. Jede der drei Frauen hat eine Geschichte zu erzählen, will dem Kind ihr Leben erklären, es warnen vor den Männern, die verschwinden, den Brüdern, die sterben, den Töchtern, die aufwachsen und ihnen Angst machen, den Töchtern, die so anders sind als sie selbst.

Der Roman ist eine märchenhafte Familiengeschichte. Ilana beginnt zu erzählen und ihre Stimme trägt die erste Hälfte des Romans. Eine starke Erzählerstimme, die keinen Zweifel aufkommen lässt, dass es das Land wirklich gibt, wo das Haar eines Mädchens die Männer zum Wahnsinn bringt, wo jede alte Frau eine Hexe sein könnte. Dann jedoch fragmentiert ihre Stimme, teilt sich, splittert auf. Sashie übernimmt einen Teil des Erzählens, dann Mara, schließlich auch Nomie. Und hier liegt das Problem des Romans. Nomie selbst hält dies fest: "Ihre Stimmen klangen alle gleich. Manchmal, wenn sie ihre Geschichten erzählten, schloß ich die Augen und konnte nicht sagen, wer gerade sprach. Dieselbe Stimme in verschiedenen Abstufungen der Sprödigkeit. Dieselbe Modulation, dieselben Sprachgesten." Es ist Ilanas Stimme, die hier - hinter drei weiteren Stimmen versteckt - noch immer erzählt, doch verwischt und verdünnt wird.

Die Geschichte scheint sich zu wiederholen, sich im Kreis zu bewegen. Mit jeder Generation ändern sich die Ziele der Frauen, ändern sich ihre Lebensumstände - die Art, wie sie die Welt sehen, bleibt jedoch merkwürdig gleich. Die Metaphern, in die sie das, was sie sehen, fassen, die Bilder, die ihre Beschreibungen prägen, ähneln sich.

Somit wird der Roman allerdings auch zu einer Meditation über die Wahrheit - so weit sie existiert - und die Erinnerung an sich. Trügerisch sind sie, diese Erinnerungen - Geschichten verändern sich beim Erzählen; auch was man nicht gesehen hat, wird lebendig, wenn man davon spricht. Auf diese Weise wird es unmöglich, Erfahrungen und Warnungen weiterzugeben - die Geschichte entgleitet den Erzählenden, scheint eine neue Bedeutung zu erlangen, auf die Erzählerin zurückzuschlagen.

Jede der drei Mütter, zu beschäftigt damit, ihre Tochter mit Strenge vor allem Unbill des Lebens zu bewahren und ihre Söhne liebevoll zu bemuttern, bemerkt nicht, dass die Tochter sich bevormundet fühlt und sich loszusagen versucht. So befinden sich Mütter und Töchter im ewigen Kampf ums Dasein und die Unabhängigkeit. Am Ende bleibt Nomie anscheinend allein zurück - um vielleicht endlich einen neuen Anfang zu machen. Vielleicht ist sie die einzige, die aus den Erinnerungen am Ende doch noch Wissen schöpfen kann.

Titelbild

Judy Budnitz: Das Echo meiner Schritte. Roman.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Brigitte Heinrich.
Insel Verlag, Frankfurt a. M. 2001.
366 Seiten, 20,80 EUR.
ISBN-10: 3458170553

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