"Sind Affen Rechtshänder?"

Aus Charles Darwins Notizbüchern

Von Oliver PfohlmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Oliver Pfohlmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Was haben Kinder und geniale Forscher gemeinsam? Die Unbekümmertheit, noch die abstrusesten Fragen zu stellen. Beispiele gefällig? Bitte sehr: Warum schreit jemand vor Freude? Mögen Orang-Utans Pfefferminzgeruch und Musik? Weinen Affen? Quaken Frösche harmonisch? Können Negerinnen erröten? Kennt der Elefant Scham? Hat unsere Sprache mit Gesang angefangen? Sind Affen Rechtshänder?

Wer hier gleichsam mit den Augen eines Kindes die Natur mit verschroben scheinenden Fragen löchert, ist kein geringerer als Charles Darwin. Zwischen der denkwürdigen fünfjährigen Forschungsexpedition Darwins als unbezahlter Naturforscher auf der "Beagle" und der Veröffentlichung seines Werkes "On the Origin of Species" (1859), in dem er die Menschheit erstmals mit seiner Evolutionstheorie schockierte, liegen 20 Jahre. So lange benötigt er, um aus dem riesigen Berg an Forschungsmaterial eine stimmige Theorie zu destillieren. Statt das Material systematisch auszuwerten, wie Darwin es in seiner Autobiographie im Rückblick verklärend darstellt, verliert er sich aber rasch in einem Irrgarten von Fragen, Kopfgeburten und Detailproblemen.

Streng geheimer Schauplatz dieses mitunter ans Wahnhafte grenzenden verzweifelten Anrennens gegen die Windmühlenflügel seiner überschießenden Einbildungskraft ist eine Reihe von Notizbüchern, in denen Darwin ohne Rücksicht auf Interpunktion, Orthographie oder gar Grammatik sich dem hingibt, was ein anderer großer Forscher später als "freie Assoziation" bezeichnet. Dort notiert Darwin alles, was ihm irgendwie für die Lösung seiner Fragen aufschlußreich erscheint. Und das ist offenbar so gut wie alles, was er seit seiner Kindheit gehört oder gelesen hat: Träume von Hinrichtungen zum Beispiel. Oder Phantasien über die Präexistenz äffischer (!) Seelen. Auch nachdenklich stimmende Beobachtungen über den Schluckauf und den Speichelfluß beim sexuellen Verlangen finden sich in den Notaten. Dazu Anekdoten über das Gefühlsleben von Hunden, Weisheiten seines Vaters, Lektürefrüchte.

Zwei dieser Notizbücher sowie die "Biographische Skizze eines Kindes", in der Darwin die Fortschritte seines neugeborenen Sohnes William beim Erkunden der Welt aufzeichnete und dabei frappierend an den Entwicklungspsychologen Piaget erinnert, sind jetzt in der Friedenauer Presse als bibliophil gestaltetes Winterbuch erschienen; der blaue Einband, entworfen von Horst Hussel, dürfte Aussichten haben, als eines der schönsten Bücher des Jahres ausgezeichnet zu werden. "Sind Affen Rechtshänder?" bietet einen faszinierenden Einblick ins ebenso amüsant wirre wie geniale Denken eines Forschers, dessen Werk die Welt veränderte.

Titelbild

Charles Darwin: Sind Affen Rechtshänder? Notizhefte M und N.
Friedenauer Presse, Berlin 1998.
144 Seiten, 19,40 EUR.
ISBN-10: 3932109082

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch