Melodien für die Peiniger

Erwin Kochs Romandebüt "Sara tanzt"

Von Peter MohrRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Mohr

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Zweimal ist der Journalist Erwin Koch bereits mit dem Egon-Erwin-Kisch-Preis für die beste Reportage ausgezeichnet worden. Nun hat der 47-jährige Schweizer umfangreiches recherchiertes Material in sein Romandebüt einfließen lassen. Der Handlung liegt ein authentischer Fall aus der Zeit der argentinischen Militärjunta zugrunde.

Doch Zeit und Ort bleiben bewusst in der Schwebe, das Romansujet könnte als Abbild für jede Diktatur fungieren - ob Franco, Salazar, Pinochet oder die Staaten Osteuropas. Die Mittdreißigerin Sara, Mutter von vier Kindern, hat sich geschworen, das politische Vermächtnis ihres Ehemannes Rico fortzuführen. Der Widerstandskämpfer ist zum Handlungsbeginn schon drei Jahre tot. Er soll, so hieß es in der offiziellen Lesart, "Opfer einer Beziehungstat" gewesen sein; für Sara besteht jedoch kein Zweifel, dass die blutrünstigen Generäle hinter Ricos Tod stecken.

Irgendwann gerät Sara, die bei den Spitzeln unter dem Decknamen "Sumatra" geführt wird, selbst in die Klauen der staatlichen Sicherheitskräfte. Sie erinnert sich an die später lebensrettend werdenden Ratschläge ihres Mannes. Sie erfindet Widerstandstheorien und Orte konspirativer Treffen. In der Haft wandelt Sara immer auf dem schmalen Grat zwischen Entlarvung und neuen abenteuerlichen politischen Phantastereien, mit denen sie das Interesse der Folterknechte aufrecht erhalten will.

Unaufhörlich summt Sara vor sich hin, und die etwas einfältig gezeichneten Verhöroffiziere vemuten hinter den Tonfolgen versteckte politische Botschaften. Der unweit von Luzern lebende Autor Erwin Koch lässt Saras Geschichte aus der Perspektive eines Cellisten erzählen, der zur zweiten Hauptfigur der Handlung wird. Der systemkonforme Musiker Frits wird nämlich beauftragt, Saras Melodien zu analysieren. Es liegt nicht nur an der zentralen Rolle der Musik, dass man sich nach der Lektüre von "Sara tanzt" an Roman Polanskis Film "Der Pianist" erinnert fühlt.

Der journalistische Tonfall, der beinahe stakkatohafte Steno-Stil passt allerdings nicht zu einer Figur, deren Gefühlshaushalt im weiteren Verlauf der Handlung in starke Turbulenzen gerät. Inhalt und Form klaffen hier weit auseinander, denn die allmählich immer stärker werdende Affinität zwischen Sara und Frits lässt sich nicht adäquat in einem nüchternen Berichtston wiedergeben. Bei Erwin Koch gibt es leider keinen (sprachlichen) Platz für die großen Gefühle, für die Rettung einer erbärmlich gequälten Widerstandskämpferin durch einen "Mitläufer" des barbarischen Systems, für den Prozess der langsamen Verwandlung des gegenseitigen Misstrauens in eine heftige Liebesbeziehung. Die Musik und die Liebe bauen Brücken zwischen zwei Personen unterschiedlicher politischer Gesinnung und überdauern auch das Unrechtsregime.

Am Ende sind beide verheiratet, ein politischer Umschwung hat statt gefunden, und jetzt muss Sara stark sein. Sie will Frits, der wegen seiner Mittäterschaft im alten Regime in Haft ist, aus dem Gefängnis holen. Ein wirklich spannender Stoff, aber leider kein rundherum gelungener Roman, denn der komplizierten Liebesgeschichte fehlt es an Emotionen.

Titelbild

Erwin Koch: Sara tanzt. Roman.
Nagel & Kimche Verlag, Zürich 2003.
176 Seiten, 17,90 EUR.
ISBN-10: 3312003253

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