Ich war das Jungfernhäutchen

Die autobiographischen Berichte zweier Emigrantinnen aus islamischen Ländern

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Pari lebte nur noch für ihren kleinen Salim. Von allen geliebt und geachtet, war Pari bereit, in der Behaglichkeit des materiellen Wohlstands unbekümmert das Ende ihrer Tage abzuwarten". So könnte ein Märchen der Brüder Grimm oder vielleicht auch eines aus "Tausendundeine Nacht" enden. Doch da es sich bei dem Buch, aus dem die Zeilen stammen, nicht um ein Märchen handelt, sondern um eine biographische Familiengeschichte dauert Paris - fragwürdiges - Glück im kaum golden zu nennenden Käfig ihrer Ehe nicht lange. Es ist ihre eigene, zunächst afghanische und später deutsche Familiengeschichte, welche die 1948 in Kabul geborene und im Alter von 19 Jahren nach Deutschland gekommene Autorin Mariam Notten über fünf Generationen hinweg erzählt, wie sie sie "gehört oder selbst erlebt" hat.

Die Geschichte von Hossai, Nottens Urgroßmutter, ist allerdings schon zu Ende, bevor das Buch beginnt. Denn bereits in der ersten Zeile sickert ihr Blut in einen rotgemusterten Teppich. Auf einen vagen Verdacht hin, dass ein anderer Mann bei ihr gewesen sein könnte, hat ihr Gatte sie kurzerhand erschossen, ohne zuvor auch nur ein Wort zu sagen. Das war in einem kleinen afghanischen Dorf zu Beginn der 20er Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Da der - vermeintliche oder tatsächliche - Verführer seiner Frau der Sohn einer wohlhabenden Familie und daher gut geschützt ist, kann der "zweite Teil der Blutrache" erst Jahre später vollzogen werden. Dies erledigen schließlich die beiden inzwischen erwachsenen Söhne des Gattinnenmörders. Um nun nicht selbst der Blutrache zum Opfer zu fallen fliehen die beiden anschließend mit ihrem Vater und ihren Familien nach Kabul.

Dort schickt die Geschichte an, sich zu wiederholen. Denn irgendwann beobachtet der inzwischen zum gebrechlichen Greis gealterte Mörder in der Nähe seiner Schwiegertochter Golghotai einen Mann mit entblößtem Oberkörper. Golghotai zweifelt keinen Moment daran, dass ihr Schwiegervater ihrem Mann seine Beobachtung berichten und dieser daraufhin seine 'Ehre' auf die gleiche Weise wieder herstellen wird, wie sein Vater es tat. Doch soweit lässt es Golghotai nicht kommen. Noch bevor ihr Mann von der Arbeit nach Hause kommt, greift sie selbst zum Gewehr und erschießt ihrerseits den Schwiegervater. So selbstverständlich es im damaligen Afghanistan gewesen sein mag, dass ein Mann seine Ehefrau erschießt, so ungeheuerlich muss es wohl gewesen sein, dass eine Frau einen Mann tötet. Doch Notten erzählt beides in der gleichen fast beiläufigen Weise. Golghotai stellt den Tod ihres Schwiegervaters als Unfall dar. Doch jeder in der Familie weiß, dass sich nicht, wie sie behauptet, ein Schuss löste, als er das Gewehr reinigen wollte. Von nun an ist das Familienleben "von gegenseitiger Ablehnung und Feindseligkeit geprägt".

Ungeachtet ihrer eigenen, bedrückenden Eheerfahrungen will Golghotai ihre Tochter Pari gegen deren Willen verheiraten. Schnell wird sie sich mit der Mutter des auserkorenen Schwiegersohns "handelseinig", und Pari wird beschieden, dass sie bald Verlobung zu feiern habe. Sie sträubt sich jedoch und zieht vor Gericht, um gegen die Rechtmäßigkeit der über ihren Kopf hinweg ausgehandelten Ehe zu klagen. Wie kaum anders zu erwarten, wird ihre Klage ein ums andere Mal abgewiesen, und Pari wird schließlich doch mit Rasul verheiratet. Während die Autorin Paris "Jahre der Rennerei durch endlose Gerichtskorridore" nur kurz streift, schwelgt sie über zehn, zwölf Seiten hinweg in dem pompösen Prunk des Hochzeitsfestes, das die reiche Familie von Rasul ausrichten lässt.

Kurz nach der Hochzeit wird Pari schwanger, sie gebiert einen Sohn, was ihr Ansehen in der Familie ihres Mannes beträchtlich steigert. Nun sind wir also an der Stelle, wo ein Märchen hätte enden können. Doch der kleine Sohn verunglückt tödlich, und natürlich wird der Mutter die Schuld gegeben. Fortan wird sie von den weiblichen Familienmitgliedern grausam terrorisiert. Aus Rache für die unzähligen Demütigungen, die sie nun in der Familie ihres Mannes zu erleiden hat, geht Pari eine Liaison mit einem Soldaten ein, aus der eine Tochter hervorgeht: die Autorin. Damit beginnt der umfangreichste Abschnitt des Buches. Denn verständlicherweise widmet sich Notten dem Teil der Familiengeschichte, den sie aus erster Hand kennt, besonders intensiv.

Als junge Frau erfährt die Autorin, dass das afghanische Gesundheitsministerium Abiturientinnen zur Ausbildung als Krankenschwester nach Deutschland schickt. Sie bewirbt sich um Aufnahme in das Programm, denn seit sie ihren eigenen Lebensunterhalt verdienen muss, hatte sie ihr Land "neu kennen gelernt", und was sie sieht ist "nicht erfreulich". Als Tochter aus einer wohlhabenden Familie gelingt es ihr in das Programm aufgenommen zu werden. 1967 landet sie auf dem Berliner Flughafen. Eindrücklich schildert sie den Gefühl der Fremdheit, in der unbekannten Stadt auf sie macht. Es dauert nicht lange, bis die Autorin feststellen muss, dass die Freiheit von jungen Frauen auch im Deutschland der 60er Jahre beschnitten wird. Die "Strenge und Verkniffenheit" zum Beispiel, die sie im Wohnheim der Krankenschwesterschülerinnen erlebt, hat sie bis dahin für "typisch islamisch" gehalten.

Insgesamt ist das Buch flüssig und anschaulich geschrieben. Nur gelegentlich stolpert man über missglückte Bilder wie das der "aus den Angeln geratene Welt", die "neu gemischt" wird, über Redundanzen, die einem auf einer Seite gleich zweimal mitteilen, dass die Autorin während des geschilderten Geschehens gerade zwölf Jahre alt ist, oder über Widersprüche etwa zum Liebesleben der Autorin. So erzählt sie von ihrer "natürlich platonisch[en]" Jugendliebe zu einem Schauspieler, die allerdings zehn Zeilen weiter zu einer "Beziehung" mutiert, die "zwar nicht platonisch" war, bei der aber ihre Jungfräulichkeit gewahrt blieb.

Gelegentlich macht Notten Ferien in ihrer afghanischen Heimat. Bei einem dieser Besuche wird sie jedoch Zeugin einer Massenvergewaltigung. Nach diesem Erlebnis ist "jede Sehnsucht nach der Heimat verflogen", so dass sie nach Ende der Ausbildung per forma heiratet, um nicht aus Deutschland ausgewiesen und in das "verhasste" Afghanistan verfrachtet zu werden. Erst acht Jahre später, 1977, betritt sie es wieder und erlebt, dass es in Kabul nun ungezwungener zugeht. Dies gilt vor allem für den Umgang der Geschlechter miteinander. Sie entschließt sich, dort zu bleiben und ein Medizinstudium zu beginnen. Doch im Mai 1978 putscht die sowjetische Opposition und die Autorin flieht nach Deutschland. Hier lebt sie in linken WGs und liest Mao und "Momo", während in Afghanistan nun die kommunistischen Kader Verbrechen wie Massenvergewaltigungen begehen, wofür ihre WG-Genossen, die sich gegenseitig als Revisionisten und Stalinisten beschimpfen, allerdings kaum mehr als ein Schulterzucken übrig haben. Anders die Autorin. Sie will "gegen Sowjets [...] kämpfen" und ihre Schwester, die im afghanischen Untergrund lebt, nach Deutschland holen. Sie belässt es nicht bei dem Vorhaben und reist über Indien nach Pakistan. Nachdem sie nur knapp dem blühenden Frauenhandel entgangen ist, den die Mudschaheddin in Peschawar und anderen Orten betreiben, und deren Käufer die immer öfter anzutreffenden Araber sind, gelingt es ihr schließlich, ihre Schwester ins Deutschland der 80er Jahre zu bringen, wo "Medien und Politiker" inzwischen "ihr bestes t[u]n, das feindselige Klima gegen Asylbewerber anzuheizen" und wo die beiden von Ausländerpolizei und Sozialamt schikaniert werden. Gemeinsam mit anderen betreibt Notten in den folgenden Jahren ein afghanisches Kulturzentrum, um dazu beizutragen, dass afghanische Kinder in Deutschland - "so gut es eben ging" - in "ihrer eigenen Kultur aufwuchsen und stolz darauf waren, Afghanen zu sein". In seltsamen Widerspruch hierzu steht, dass sie sich wünscht, ihre Nichte Zuny möge sich in Deutschland "zuhause fühlen" und sich "so wenig wie möglich" mit Afghanistan beschäftigen.

In der zweiten Hälfte der 90er Jahre berichten im Kulturzentrum immer mehr Afghaninnen von den Gräueltaten der Taliban. Denn die Lage der Frauen in Afghanistan hatte sich nach der Niederlage der Sowjetunion stetig verschlimmert. Zunächst unter den Mudschaheddin und Warlords und dann weiter unter den Taliban. In den Wochen oder Monaten nach dem 11. September, also zur Zeit des Sturzes der Talibanischen Tyrannei, endet Nottens Familiengeschichte.

Oft muten die von ihr geschilderten Verhältnisse in Afghanistan und das Verhalten der Afghanen barbarisch an, insbesondere dasjenige des männlichen Teils der Bevölkerung. Doch mit nahezu beiläufig eingestreuten Bemerkungen zeigt die Autorin, dass es in der 'zivilisierten' Welt durchaus nicht immer gesitteter zuging. So etwa wenn sie einfließen lässt, dass sich ein bestimmtes Geschehen, von dem sie gerade erzählt, 1941 abspielte, und lapidar anmerkt, dass in Europa gerade "das große Morden" geschah.

Allerdings sticht auch ins Auge, dass Notten dazu neigt, ihren Volksstamm zu idealisieren. Den Paschtunen sei die Freiheit das "höchste Gut", betont sie stolz, während doch jede Zeile ihres Buches von der Unfreiheit der Frauen auch bei diesem Volksstamm berichtet. Ebenso neigt sie dazu, die Afghanen von jeglicher Verantwortung für die Terrorherrschaft der Taliban freizusprechen. Eine Tendenz, die zumindest mitschwingt, wenn sie sich gegen das "Schwarz-Weiß-Bild" verwahrt, das Afghanistan als "rückständiges Land" zeichnet, "in dem die Taliban einen fruchtbaren Boden vorfanden". Es könnte fast der Eindruck entstehen, als sei es purer Zufall gewesen, dass die Taliban nicht in, sagen wir, Island Fuß fassten, sondern in einem Land am Hindukusch, in dem pubertierende Mädchen seit Jahrzehnten mit Prügel unter die Burka gezwungen werden und verletzte Männer'ehre' gerne durch einen Frauenmord wieder hergestellt wird.

Größere Probleme mit fanatischen Islamisten aus ihrem Geburtsland scheint Notten in Deutschland nicht gehabt zu haben, jedenfalls erfährt man in ihrem Buch wenig darüber. Ganz anders in Seyran Ates' ebenfalls autobiographischer "Geschichte einer deutschen Türkin". Bereits im Alter von sechs Jahren war die Tochter von Gastarbeitern 1969 von ihren Eltern nach Deutschland geholt worden. Erst als die kleine Seyran nachgekommen ist, beziehen die Eltern eine gemeinsame Wohnung. Zuvor haben sie in Gastarbeiterwohnheimen gelebt, wo man sie nach Geschlechtern getrennt hatte. Ähnlich wie Notten im Wohnheim der Krankenschwesterschülerinnen durfte auch Seyrans Mutter keine Männerbesuche empfangen. Anders sah es hingegen im Männerwohnheim aus. Hier waren Frauenbesuche sehr wohl gestattet.

Seyran findet ihre Eltern sehr verändert: "Von ihrer liebevollen Art war nicht mehr viel zu spüren. Sie gingen zur Arbeit und kamen völlig erschöpft zurück." Im Unterschied zu ihren Eltern, die zu dieser Zeit schon einige Jahre in Deutschland sind und sich immer noch nicht verständigen können, lernt sie die fremde Sprache schnell und sie wird bald von ihren Eltern bei Behördengängen als Übersetzerin mitgenommen. Ihre Erfahrungen auf deutschen Ämtern gleichen denjenigen Nottens: "Die Sachbearbeiter", klagt sie, "waren zum größten Teil unfreundlich und frei von jeder Hilfsbereitschaft".

Genoss Seyran Ates schon als Mädchen wenig Freiheiten, so muss sie als Teenager feststellen, dass ihre Cousinen in Istanbul "weitaus mehr Freiraum" haben als sie in der Hauptstadt eines modernen europäischen Landes, in dem türkische Mädchen und Frauen oft noch "unter mittelalterlichen Bedingungen" leben müssen. So wurde sie etwa zuhause eingesperrt, da sie "vor den bösen Ureinwohnern" beschützt werden müsse, die ihre Jungfräulichkeit gefährden würden. Denn von ihr und ihrem Jungfernhäutchen hing die Familie'ehre' ab. "Sexualität hatte mit Ehre zu tun, die Ehre war ich, ich war das Jungfernhäutchen", fasst sie die Situation lapidar zusammen.

Man solle nicht verallgemeinern, schreibt Ates, aber zu ihren Erfahrungen als Teenager habe es gehört, dass die türkischen Jungen und Männer gewalttätig und rücksichtslos gewesen seien, ihre Machtposition missbraucht hätten und Mädchen und Frauen unterdrückten. Ihre besondere Verachtung galt aber den deutschen Frauen. Sie galten ihnen durchweg als "unmoralisch" und "leicht zu haben". Ates selbst wurde in der Öffentlichkeit mehrfach von Türken belästigt. Wenn sie diese dann auf türkisch beschimpfte, entschuldigten sie sich in der Regel damit, das sie gedacht hätten, sie sei eine Deutsche. Selbst die "linken, angeblich progressiven" Türken seien "durch und durch Machos" gewesen. Später macht sie allerdings auch einige wenige positive Erfahrungen mit türkischen Männern.

Noch nicht volljährig riss die Autorin 1980 von zuhause aus. Fortan lebte sie in wechselnden Wohngemeinschaften und studierte nach dem Abitur 1983 Jura. Sie entwickelte sich zur Feministin und begann im Berliner "Treff- und Informationsort für Frauen aus der Türkei" (TIO) zu arbeiten, wo auf sie und zwei weitere Frauen ein Mordanschlag verübt wurde. Sie selbst erlitt einen Steckschuss an der Halswirbelsäule. Eine der anderen beiden Frauen erlag ihren Verletzungen. Obwohl Ates einen Sympathisanten der rechtsextremistischen türkischen "Grauen Wölfe" als Täter identifizierte, musste er auf Grund von Ermittlungsfehlern der Polizei, der eine Beziehungstat viel lieber gewesen wäre als ein politisch motiviertes Attentat, freigesprochen werden. Bis heute läuft der Mörder frei herum, und bis heute leidet Ates unter ständigen Schmerzen. Aufgrund der Verletzung und der langen Rehabilitationszeit konnte sie ihr Jurastudium erst etliche Jahre nach dem Attentat wieder aufnehmen. Mit enormen Kraftaufwand und voller Disziplin schloss sie es 1997 ab und eröffnete anschließend mit Kolleginnen ein Anwältinnenbüro.

Ates erzählt eine Lebensgeschichte, die nicht nur eine Leidensgeschichte ist, sondern auch eine Geschichte des Kampfes und des Widerstandes gegen Sexismus und Frauenfeindlichkeit, mit dem Islamisten Frauen - nicht nur - ihres Glaubens auch in Deutschland unterdrücken und terrorisieren. Ein Kampf, der ihr unendlich viel abverlangt und der sie beinahe das Leben gekostet hätte, den sie aber nie aufgegeben hat.

Am Ende ihres Buches hält Ates ein flammendes Plädoyer gegen die Toleranz der Deutschen gegenüber der religiös begründeten Frauenfeindlichkeit islamischer Männer, wobei sie zurecht betont, dass der Islam grundsätzlich "keine bessere oder schlechtere Weltreligion" als das Christen- oder Judentum sei. Doch sie sehe "so viele Frauen, die voraussichtlich unter dem Schleier sterben werden, ohne je gelebt zu haben". Aus "vermeintliche[r] Rücksicht" gegenüber der fremden Kultur werde hierzulande tatenlos mit angesehen, "wie grundlegende Menschenrechte, die auch Rechte der Frauen sind, mit Füßen getreten werden". Für Frauen aus islamischen Gesellschaften sei die Gewalt auch in Deutschland "allgegenwärtig" und bedrohe sie mit dem Tode, wenn sie "direkte und heftige Kritik" etwa an dem von islamischen Männern verhängten Kopftuchzwang üben. Eine Erfahrung, mit der die Autorin nicht allein steht, wie eine Untersuchung von Hiltrud Schröter zeigt. (Vgl. Die Rezension zu ihrem Buch "Mohammeds deutsche Töchter") Diese Gewaltbereitschaft islamischer Männer, sei der "zentrale Unterschied" zu europäischen Kulturen. Ihre eigene Geschichte hätte zwar "jedem Menschen jeder Nationalität überall auf der Welt" widerfahren können, doch seien die Gewalt und die Unfreiheit, die sie als Frau erlebt "dem islamischen Kulturkreis zuzuschreiben". Dies zu tolerieren sei nicht etwa Rücksicht gegenüber einer fremden Kultur, sondern "Ignoranz". Dem ist uneingeschränkt zuzustimmen, wenn es wohl auch präziser wäre, hier zu dem von Herbert Marcuse geprägten Begriff der "repressiven Toleranz" zu greifen, statt eher unscharf von Ignoranz zu sprechen. Teil dieser repressiven Toleranz ist auch die Gleichgültigkeit gegen Kopftuch und Tschador, die der Autorin zufolge "die Unterwerfung der Frau symbolisieren". Diese Gleichgültigkeit prangert Ates zurecht an. Tatsächlich ist die Verschleierung allerdings mehr als nur ein Symbol. Sie ist ebenso sehr ein Instrument der Unterdrückung. Wenn Ates die Einschränkung ihrer Bewegungsfreiheit unter dem Tschador beschreibt, macht sie das selbst deutlich. Nur teilweise trifft ihre Kritik an deutschen Feministinnen zu, denen sie eine "merkwürdige Haltung" und "verlogene Solidaritätsbekundung" für Frauen vorwirft, "die sich angeblich freiwillig bedecken". Etliche deutsche Feministinnen - wie etwa Alice Schwarzer oder auch die Frauen von "Terre des Femmes" - beziehen schon lange und nachdrücklich die von der Autorin zurecht geforderte deutliche "Stellung zum Islam, zur Religionsfreiheit und zu essenziellen Menschenrechten".

Doch das sind wenige, randständige Kritikpunkte einer beeindruckenden Autobiographie einer bewundernswerten Frau, deren Fazit lautet: "Natürlich wurden wir, wurde ich unterdrückt. Aber wir sind nicht nur Opfer".

Titelbild

Seyran Ates: Große Reise ins Feuer. Die Geschichte einer deutschen Türkin.
Rowohlt Verlag, Berlin 2003.
250 Seiten, 16,90 EUR.
ISBN-10: 3871344524

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Mariam Notten / Erica Fischer: Ich wählte die Freiheit. Geschichte einer afghanischen Familie.
Carl Hanser Verlag, München 2003.
288 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 3446202846

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