Vater und Tochter auf Spurensuche

Henning Mankells "Vor dem Frost" in der Hörspiel-Version

Von Nadine BoulannouarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Nadine Boulannouar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Kommissar Wallander grübelt nicht mehr allein über seinen Fällen, sondern wird diesmal von seiner inzwischen dreißigjährigen Tochter bei den Nachforschungen zu einem mysteriösen Mordfall unterstützt: In einem abgelegenen Waldstück wird die grausam zugerichtete Leiche einer Frau gefunden. Darüber hinaus geistert ein scheinbar Irrer durch Ystad, der hilflose Tiere mit Benzin übergießt, um sie anschließend anzuzünden, und Lindas sonst so zuverlässige Freundin Anna Westin verschwindet spurlos. Mühsam führen schließlich Vater und Tochter die Ergebnisse ihrer Arbeit zusammen und stellen fest, dass die Ereignisse eng miteinander verknüpft sind.

Nach zahlreichen Mankell-Hörspiel-Produktionen wie z. B. "Der Mann der lächelte", "Mörder ohne Gesicht", "Wallanders erster Fall" oder "Hunde von Riga", stellt "Der HörVerlag" das neueste Werk des schwedischen Bestseller-Autors in einer Hörspielproduktion vor.

Anders als in früheren Mankell-Hörspielen wird Kurt Wallander nun nicht mehr von Heinz Kloss, sondern von Axel Milberg verkörpert, dessen Stimme den brummigen, störrischen Hauptkommissar nach dem ersten Eindruck nicht ganz so glaubwürdig umsetzt - oder wird man lediglich von der Macht der Gewohnheit getäuscht? Linda Wallander wird von Ulrike C. Tscharre gesprochen, die der bereits im Roman als stur, dickköpfig und impulsiv vorgestellten Figur die nötige Eigenwilligkeit verleiht. So ist Linda etwa diejenige, die in den Auseinandersetzungen in die Offensive geht, sie spricht die Dinge offen aus und nimmt kein Blatt vor den Mund, wenn es um ihren desorientierten Vater geht, der ihrer Meinung nach "endlich mal wieder was zum Vögeln braucht".

Durch zahlreiche innere Monologe der weiblichen Protagonistin erfährt der Hörer viel über das frühere Familienleben des häufig depressiven Ermittlers Kurt Wallander, die Kindheit Lindas und das Verhältnis zu ihrem Vater, das bis heute schwierig ist. Durch subjektive Rückblenden werden persönliche Erfahrungen, Reflexionen über den Vater, aber auch Selbstzweifel und Unsicherheiten erkennbar. Linda stellt in ihrem Auftreten den dynamischen, zukunftsorientierten Gegenpol zu ihrem Vater dar, der offensichtlich immer noch in der Vergangenheit lebt, seiner großen Liebe Mona nachtrauert und sich im Hinblick auf sein Gefühlsleben als äußerst introvertiert erweist.

Im Vergleich zum Roman sind die intensiven Recherchearbeiten zum Teil leicht verändert bzw. gekürzt, was sich auf die Handlung jedoch nicht nachteilig auswirkt. Familiäre Konflikte werden dagegen hervorgehoben, wie z. B. als Linda ihrer Mutter Mona einen Überraschungsbesuch abstattet und sie diese nackt mit einer Flasche Whisky in der Hand neben dem Kühlschrank stehend vorfindet. Das anschließende Wortgefecht zwischen Mutter und Tochter verdeutlicht die prekäre Situation der Ex-Frau des Kommissars, über welche der Autor in einem Interview sagt: "Wer sagt, dass Frauen immer so verdammt sympathisch sein müssen?"

Die im Roman häufig kritisierte Anspielung auf den 11. September 2001 oder eine außerhalb des zentralen Geschehens stattfindende Szene, in der Linda ein junges Mädchen vor dem Selbstmord bewahrt, fallen im Hörspiel weg, wodurch die Handlung insgesamt komprimierter, jedoch nicht weniger spannend wirkt. "Vor dem Frost" ist ein packender Wallander-Fall, da Mankell sein Handwerk souverän beherrscht. Mit der Hörspiel-Version ist dem "HörVerlag" in jedem Fall eine spannende Umsetzung der literarischen Vorlage gelungen.

Titelbild

Henning Mankell: Vor dem Frost. 2 CD.
Der Hörverlag, München 2003.
19,95 EUR.
ISBN-10: 3899401794
ISBN-13: 9783899401790

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