Von der vernünftigen Einrichtung der Welt

Peter Hacks' Werke in 15 Bänden

Von Kai KöhlerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Kai Köhler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Peter Hacks, gestorben am 29. August, stand quer zu seiner Epoche, die ihm nur zuweilen und dabei widerwillig die gebührende Anerkennung zollte. 1955 aus der restaurativen Bundesrepublik in die DDR übergesiedelt, wurde er nur für kurze Zeit von Brecht beeinflusst. Sein Entwurf einer sozialistischen Klassik war und ist singulär; in krassem Gegensatz zu dem, was die ästhetische Moderne unternahm, stellte Hacks das handlungsmächtige Individuum in den Mittelpunkt. Das war weder, wie zuweilen behauptet, rückwärtsgewandter Klassizismus noch harmonisierende Verklärung. Hacks zeigte das Ungenügen der Gegenwart nicht im naturalistischen Nachvollzug der Misere und auch nicht in tendenzhafter Anklage. Indem er versinnlichte, welches Potential Menschen haben, hoffte er auf ein Publikum, das sich in diesem Zukunftsbild wiedererkennen möge.

Die Mittel freilich, über die Hacks stets überlegen verfügte, holte er sich wohlbedacht aus der Vergangenheit. Dichtung folgte aus seiner Sicht Regeln; nicht im Sinne einer starren Regelpoesie, jedoch so, dass sich aus der Form gelungener Werke lernen lässt. Selten genug für einen Schriftsteller im späteren 20. Jahrhundert, beschäftigte er sich mit den Gesetzmäßigkeiten der Gattungen; "Bestimmungen" heißt eine Gruppe von Essays, die dieser Frage gewidmet sind. Gattungspoetik wie Formwille sind dabei nie Ausdruck von Konservatismus. Sie sind Mittel, die Gegenwart durchschaubar und die Zukunft veränderbar werden zu lassen.

Die unerschrockene Konsequenz, mit der Hacks seine politisch-ästhetische Konzeption verfolgte, trug ihm allerlei vorhersehbaren Ärger ein: Mehrfach mit seinem Staat, der DDR, die er doch unterstützen wollte und die mit seinen brillanten Zuspitzungen nicht immer etwas anfangen konnte. Hacks war ein Autor, der entgegen dem heutigen common sense die vernünftig ordnende Kraft des Staates hochschätzte und der den anarchischen Verläufen der Gesellschaft misstraute. Häufig reflektierte er das Verhältnis von Künstler und Staat, doch ganz anders als üblich. Bei ihm hat nicht der rebellische Einzelne vorab, vor jeder Abwägung des Inhalts, recht, sondern es steht die Frage im Mittelpunkt, wie eine gute oder doch wenigstens erträgliche Ordnung geschaffen werden kann.

Doch am wenigsten drängten die Machthaber in der DDR Hacks an den Rand. Seine erfolgreichste Zeit vor allem als Dramenautor waren die sechziger und siebziger Jahre, in die auch die meisten Konflikte mit der staatlichen Obrigkeit gehören. Verhängnisvoller war, dass man im Westen allmählich begriff: Trotz mancher Maßregelung war Hacks kein Dissident. Ein wichtiges Datum ist hier 1976, als Hacks als einziger prominenter Autor neben Hermann Kant die Ausbürgerung Biermanns guthieß.

Vorher und nachher hatte Hacks wenig unversucht gelassen, um sich unter den Intellektuellen der DDR zu isolieren. Als reformwillige Schriftsteller wie Christa Wolf oder Franz Fühmann sich positiv auf die Romantik bezogen, spitzte Hacks sein Klassik-Konzept polemisch zu. Romantik in Geschichte und Gegenwart galt ihm als reaktionäre Opposition gegen die ordnende Kraft des Staates. Es kennzeichnet Hacks' Unbestechlichkeit, dass es gleichwohl nicht das nationale Geschichtsbild der DDR nachvollzog. Auch die offiziell geschätzten Kämpfer gegen die napoleonische Herrschaft gerieten in Hacks' Schussfeld. Höhepunkt ist hier die Schrift "Ascher gegen Jahn" von 1988/89, in der Hacks den fortschrittlichen Publizisten Saul Ascher ins Gedächtnis zurückruft und die grenzenlose Verkommenheit der romantischen "Befreiungskrieger" nachweist.

Der Abschluss jenes Essays fiel schon in die Zeit, als die DDR demontiert wurde und der Slogan "Wir sind das Volk" durch "Wir sind ein Volk" ersetzt wurde. Aus Hacks' Perspektive dürfte der Unterschied gering gewesen sein; nach der frühen Ablösung von Brecht war für ihn Volk in nationaler wie sozialer Erscheinungsweise wohl nur noch das, was dem Staat und der Kunst zu erziehen aufgegeben war. Im vereinigten Deutschland wie in jeder Form einer liberalen Gesellschaft erkannte er den geschichtlichen Rückschritt. Das führte ihn in eine partielle Isolation; kaum eines seiner neuen Stücke wurde überhaupt nur aufgeführt, keines an einem Ort, der dem ästhetischen Rang entspräche.

Hacks hielt viel zu viel vom Individuum, als dass der moderne Individualismus für ihn ein ernstzunehmendes Angebot hätte sein können. Weder das verstümmelte Marktsubjekt noch seine ideologische Entsprechung: der postmoderne Mensch, der aus scheinbar beliebigen Angeboten sich so etwas wie Identität zurechtbastelt, genügten ihm. Die utopischen Figuren in Hacks' Werk vereinen Vernunft, die erst eine sinnvolle Entscheidung ermöglicht, mit einer Sinnlichkeit, die das gegenwärtige Warenangebot nicht wird zufriedenstellen können. Es sind zuweilen beschädigte Figuren. Sie sind nicht frei von Fehlern, doch mit ihrem Potential wissen sie sich in der gegenwärtigen Welt zurechtzufinden, eine bessere vorzubereiten oder wenigstens einen Zerfall zu verzögern.

Überblickt man vorliegende Werkausgabe, so beeindruckt zunächst: es gibt keinen schlechten Text. Wohl bewegt sich Hacks nicht über fünfzehn Bände auf gleicher Höhe, ist nicht jeder Essay so prägnant wie die besten, sind manche der immerhin fast vierzig Dramen zeitgebunden und in ihrem Witz und der Konstruktion nicht das Optimum dessen, was Hacks konnte. Doch anders als Literaturrepräsentanten wie Grass oder Walser unterschreitet er in keinem Fall ein vertretbares Niveau, verfügt er stets über seine Sprache statt sie über ihn. Er verfügt über sie ohne jene Form genauer Bosheit, die allein die Liebe zur Sache hervorzubringen vermag; ein Umstand, der seine Karriere bei Lebzeiten nicht beförderte, doch heute dem Leser zugutekommt, der mit Vergnügen sich von Denkklischees befreien möchte.

Was von umfangreichen Werk bleiben wird, entscheidet vielleicht weniger das Niveau als die Geschichte. Bisher war sie nicht günstig; neben der gewichtigen Literatur für Kinder wurden unter den Dramen vor allem die Stückadaptionen von Aristophanes bis Goethe und vor allem "Ein Gespräch im Hause Stein" favorisiert. Anerkennung fand auch Hacks' Lyrik, die in ihrer formbewussten und genauen Sprache, in ihrer Klassizität als Haltung, die eingenommen und auch wieder verlassen werden kann, die deutschsprachige Produktion in dieser Gattung in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts weit überragt.

Vernachlässigt sind seit je Hacks' Staatsdramen als jener Komplex seines Werks, der scheinbar am weitesten sich von aktuellen Forderungen entfernt. Schon in der DDR blieben "Numa" (1971) und "Jona" (1986) unaufgeführt; das wiedervereinigte Deutschland mochte dem nicht nachstehen und ließ die Trilogie aus der russischen Geschichte "Bojarenschlacht", "Tartarenschlacht" und "Der falsche Zar" (1996) ungespielt liegen. Indem Hacks Fürsten in den Mittelpunkt stellt, scheint er sich zwar einer seit mindestens einem guten Jahrhundert abgetanen Ästhetik zu unterwerfen. Der Fürst jedoch steht für das politisch handlungsmächtige Subjekt in der Geschichte und repräsentiert ein Beispiel für jeden, wie er in einer künftigen Ordnung sein könnte. Insofern verklärt Hacks nicht, wie ihm oft vorgeworfen wurde, das Bestehende. Im Gegenteil stellt er die denkbar radikalste Forderung auf: eine geschichtliche Veränderung, die die Menschen zu Fürsten macht. In einer Epoche, in der die Verstrickung der Individuen in gesellschaftliche Zwänge Gemeinplatz geworden ist, als Theaterkonvention wie auch als wohlfeile Entschuldigung fürs politische Nichthandeln, bleibt Hacks' Ansatz eine Provokation.

Auch wird wenig psychologisiert, sind durchgehend Klischees vermieden. Hacks' Theater ist nicht zeitgemäß, da es nicht intim ist. Vielfach scheint die kalte Sentenz jedes Empfinden zu verdrängen. Liest man jedoch genauer, so erkennt man: Gerade in der Wahrung der Distanz liegt Mitmenschlichkeit, liegt jener Respekt vor dem Anderen, der in der heutigen Medienrealität ohnehin verloren geht, der jedoch auch in der kritischen Parodie gegenwärtiger Kulturpraktiken nur schwer wiederherzustellen ist. Hacks ist radikal, indem er das gegenwärtige Gerede nicht einmal zum Stoff nimmt, sondern allein seinem eigenen hohen Anspruch folgt.

Die Werkausgabe bringt nicht alles von Hacks, sondern jene Texte, die er selbst noch zum Bestandteil seines Werks erklärt hat. Zumindest einige Gedichte fehlen, wie auch alle Essays vor 1955; eine genaue Auflistung erlaubte nur ein Werkverzeichnis, das bislang nicht vorliegt. Die zum Teil gleichnamigen Bände, die zwischen 1995 und 2000 bei der Edition Nautilus erschienen sind, sind teilweise erweitert; so der zweite Band der "späten Stücke" und "Die Maßgaben der Kunst", die nunmehr in drei Bänden vorliegende Essay-Sammlung.

In welchem Maße Hacks umgearbeitet hat, könnte nur ein genauer Vergleich mit früheren Drucken ergeben. Im Gesamtverzeichnis angegeben ist, dass von "Numa" eine Neufassung von 2002 vorliegt. Weitere hilfreiche Informationen, welche Fassung der zuweilen in verschiedenen Versionen vorliegenden Dramen abgedruckt ist, ob es noch mehr Änderungen gab, fehlen leider. Das mag den Intentionen Hacks' geschuldet sein, der seine Dramen umarbeitete, dabei aber eine Vervollkommnung im Sinne eines geschlossenen Werkbegriffs beabsichtigt haben dürfte, nicht jedoch eine Aktualisierung.

Die vorliegenden Bände sind deshalb für Leser, nicht für Forscher, was auch ein Verlust ist: Eine historisch-kritische Ausgabe ist auf absehbare Zeit nicht zu erhoffen. Sie machen jedoch lange vergriffene Texte wieder zugänglich und bieten bei moderatem Preis eines der wichtigsten und vielleicht beständigsten Gesamtwerke des vergangenen Halbjahrhunderts. Die Verarbeitung ist solide, man wird auch bei intensiver Lektüre lange Freude an den Büchern haben. Peter Hacks ist beim Eulenspiegel Verlag gut aufgehoben; neben seinem Briefwechsel mit André Müller (literaturkritik.de 09/2003) ist hier auch unter dem Titel "In den Trümmern ohne Gnade" eine Festschrift erschienen, die der 75-Jährige noch erleben konnte. Angekündigt sind weitere Bücher, darunter der Briefwechsel mit Heinar Kipphardt und ein Band mit neuesten Dramoletten. Die Beschäftigung mit Peter Hacks steht erst am Anfang. Seine Frage, wie die Welt vernünftig einzurichten sei, entbindet die Literatur jeder privatistischen Beschränkung. Sie ist die Frage auch der kommenden Epoche.

Titelbild

Peter Hacks: Werke. 15 Bände.
Eulenspiegel Verlag, Berlin 2003.
5360 Seiten, 360,00 EUR.
ISBN-10: 3359015002

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