Schlecht zusammengebraut

Ulrich Wickert erfüllt in seinem Romanerstling die hohen Erwartungen nicht

Von Oliver GeorgiRSS-Newsfeed neuer Artikel von Oliver Georgi

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wenn ein bekannter Journalist und "Tagesthemen"-Moderator sein geneigtes Publikum nach mehreren moralischen "Lehrbüchern" mit seinen Romanerstling überrascht, dann liegt die Messlatte entsprechend hoch. Wie wird es sein, das Buch, fragt sich das versammelte Feuilleton, literarisch ambitioniert oder doch eher journalistisch-kühl? In der Mischung liegt die Würze, mag sich Wickert gedacht haben, als er seinen komplizierten Romanplot ersann - ein missglückter Versuch.

Der angesehene Untersuchungsrichter Jacques Ricou aus Paris ist dem Mörder eines hochrangigen Generals auf der Spur, der auf der heimischen Terrasse kaltblütig erschossen wurde. Ricous Spur führt nach Martinique, wo der Hauptverdächtigte, Gilles Maurel, just in dem Moment zu Grabe getragen wird, in dem Ricou ihn verhören will. Je weiter der Richter recherchiert, desto mehr verstrickt er sich in einen Sumpf aus Korruption, Geldwäsche und schwarzen Kassen, in die neben der halben französischen Regierung auch der Staatspräsident selbst verwickelt ist. Ricous Ermittlungen führen dabei nicht nur in die Abgründe eines intakt geglaubten politischen Systems, sondern auch in die Zeit des Indochina-Kriegs und des Algerienaufstandes aus dem Jahr 1958.

Ulrich Wickert wollte sich, so darf vermutet werden, mit seinem Romanerstling an einem Kabinettstückchen zwischen politischem Roman, Enthüllungsbuch und Krimi versuchen und dabei von seinem reichhaltigen Wissensfundus profitieren. Doch genau in diesem Mitteilungsdrang Wickerts liegt auch die Crux: Über weite Passagen streut der Journalist unvermittelt auftauchendes, nur mühsam integriertes Wissen ein, das mehr doziert als erzählt wird und den Fluss der Handlung hemmt. Besonders zu Beginn erzählt Wickert holprig, umständlich und mit stottriger Syntax, die die an und für sich schon schwer zusammen zu fügenden historischen Fakten noch komplizierter machen. Überhaupt ist "Der Richter aus Paris" nur etwas für historisch Versierte. Nur marginal erscheint vor dieser Kulisse die Tatsache, dass die Charaktere des Buchs allesamt blass und schablonenhaft agieren und mehr Träger der Handlung denn konturierte Persönlichkeiten sind. Möglicherweise hat Wickert diese Schwächen selbst bemerkt und sich im weiteren Verlauf des Romans bemüht, den Erzählstrang klarer zu formulieren und aus der missglückten Exposition zu lernen. Auch deshalb ist "Der Richter aus Paris" gegen Ende besser (und unterhaltsamer!) zu lesen. Etwas wie Spannung hingegen kommt trotz des brisanten Themas "Korruption in der Grande Nation" nur wenig auf. Zu träge und für einen "echten" Krimi zu verquast wirkt Wickerts Roman. Hinzu kommt der unmotivierte Schluss des Buchs, der wie angehängt wirkt und eines "Krimis" nicht würdig ist.

Interessanter wird das Werk, wenn man seine belletristischen Erwartungen fallen lässt und den Roman als politisches (Sach-)Buch versteht. Hat Wickert in seiner "fast wahren" Geschichte doch allerhand verbürgte Fakten und Gerüchte aus der Realität aufgenommen und weitergesponnen, so etwa die "Elf Aquitaine-Affäre" um die Raffinerien in Leuna. Dass dabei auch gern verschwiegene Dinge, wie die französischen Folterungen der aufständischen Algerier im Jahr 1958, mit Billigung des damaligen Innenministers Francois Mitterand erwähnt werden, macht Wickerts Debüt auf eine nicht-belletristische Art dann doch wieder lesenswert.

Ulrich Wickert erfüllt mit seinem Erstling trotzdem nicht die in ihn gesetzten
Erwartungen; auch und gerade deswegen, weil er seine eigenen Ansprüche zu hoch angesetzt hat. Lieber wieder Sachbücher schreiben, Herr Wickert, da haben Sie und wir mehr von!

Titelbild

Ulrich Wickert: Der Richter aus Paris. Ein fast wahre Geschichte.
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2003.
256 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 3455094112

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