Ein kläglicher Schrei

Hansjörg Schertenleibs Roman "Der Papierkönig"

Von Peter MohrRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Mohr

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Schon vor drei Jahren hat uns Hansjörg Schertenleib in seinem Roman "Die Namenlosen" mit einem höchst brutalen Szenario konfrontiert. Ein Teil der Handlung, in der eine blutrünstige Sekte einen Rachefeldzug gegen die Amtskirche inszenierte, spielte damals in der irischen Wahlheimat des Autors. Der 46-jährige Schweizer Autor schickt diesmal den verletzten Schweizer Fußballprofi Daniel Kienast mit seiner Freundin Nathalie Stüssy auf eine Urlaubsreise nach Irland.

Was so beschaulich beginnt, mündet in ein psychopathisches Gewirr, wie es man sich schlimmer kaum vorstellen kann. Kienast und seine Freundin haben eine Autopanne und lassen sich vom steinreichen Papierfabrikanten Kolk helfen. Der Papierkönig hat es sofort auf die junge Schweizerin abgesehen. Zunächst räumt er den Torwart aus dem Weg, dann misshandelt er Nathalie und hält sie sechs Tage lang gefangen. Der Mörder landet im Gefängnis und Nathalie nach ihrer Rückkehr in die Schweiz in der Psychiatrie.

Schertenleibs Faible für physische und psychische Gewalt ist gewiss nicht Jedermanns Sache, doch richtig abenteuerlich wird der Roman erst durch den Protagonisten - ein mittelmäßiger Journalist namens Reto Zumbach, der davon träumt, "ein Buch zu schreiben."

Weil es ihm offensichtlich an Fantasie mangelt, will er den Mordfall Kienast recherchieren und reist auf die grüne Insel. Bei seinen Nachforschungen wird er immer wieder durch Erinnerungen an seine stürmische Jugendzeit in der Züricher Oppositionsbewegung und an seine verflossenene Liebe, die ins bürgerliche Lager konvertierte Stefanie, abgelenkt.

Auch die einst misshandelte Nathalie begibt sich nach Irland, um dort am Schauplatz des Grauens ihre Traumata zu bewältigen. Und selbstverständlich trifft sie auch noch mit Journalist Zumbach zusammen. Welch ein Zufall!

Spätestens an dieser Stelle verweigert man dem Autor die Gefolgschaft, trotz des festen Wissens, dass auch Unwahrscheinlichkeiten die unendliche Weite der künstlerischen Freiheit ausmachen können. Doch damit nicht genug! Journalist Reto und das Opfer Nathalie lassen sich von einem unauffälligen Pärchen im Auto mitnehmen und geraten damit wieder in die brutalen Hände zweier Psychopathen.

Erst ein biederer Geschäftsmann, dann ein grün-alternativ wirkendes Aussteiger-Paar; Schertenleib arbeitet mit der Holzhammermethode. Weil die Welt in seinen Augen verlogen und von einer Doppelmoral dominiert ist, muss aber nicht in jedem Normalbürger zwangsläufig auch ein Psychopath schlummern.

Reto Zumbach bleibt in Irland allein zurück, haust in einem Caravan an der Atlantikküste, lässt sein bisheriges Leben Revue passieren und findet am Ende dann die Kraft, einen "kläglichen Schrei" (der Befreiung?) auszustoßen. Da steckt das weiße Blatt schon in der Schreibmaschine.

Was ist mit Zumbach passiert, der plötzlich spürt, dass "da die Stimme ist, nach der er so lange vergeblich gesucht hat?" Befreiung durch seelische Erschütterung? Schertenleibs inszenierte Katharsis kann in diesem Dschungel aus Psycho-Thriller, Erinnerungssequenzen und fragwürdigem Selbstfindungstripp nicht überzeugen.

Titelbild

Hansjörg Schertenleib: Der Papierkönig. Roman.
Aufbau Verlag, Berlin 2003.
343 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 3351029802

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