Körper-Schrift und Schrift-Körper

Rainer Topitsch und Katja Schubert suchen den 'Körper' als Einschreibungsort und Vehikel des Gedächtnisses

Von Axel SchmittRSS-Newsfeed neuer Artikel von Axel Schmitt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Im Rahmen aktueller Diskussionen über die Beziehungen von Begehren und Schreiben sowie über ästhetische Grenzüberschreitungen richtet sich die Aufmerksamkeit literaturwissenschaftlicher Forschung in letzter Zeit verstärkt auf Texte, die nicht den herkömmlichen Mustern realistischen, linearen und kohärenten Darstellens folgen und häufig die Grenzen der Schrift selbst überschreiten. Bestimmte Texte der Art Brut, der Avantgarde und der Mystik rücken im Kontext einer postmodernen bzw. poststrukturalistischen Ästhetik ins Zentrum der Betrachtung. Diese "halluzinatorisch" genannten Texte erzählen von radikal anderen Wirklichkeiten, sie sind in einer geheimnisvollen "anderen" Sprache geschrieben. Rainer Topitsch, der sich in seiner Studie "Schriften des Körpers" dieser Ästhetik von halluzinatorischen Texten und Bildern gewidmet hat, definiert seinen literarischen Gegenstandsbereich wie folgt: "In halluzinatorischen Texten wird eine hochgradig 'andere' - zur gewöhnlichen Wirklichkeit differente - Realität dargestellt. Dies geschieht auf sehr undistanzierte Weise: Die Erfahrung der 'anderen' Realität wird von den Autoren halluzinatorischer Texte als vollkommen wirklich und authentisch beschrieben, so als hätten sie diese tatsächlich erfahren. Halluzinatorische Texte bringen die Präsenz des 'Anderen' zum Ausdruck."

Ausgehend von der nicht aufzulösenden Grundparadoxie, über das Unaussprechliche sprechen zu müssen, werden von Topitsch Möglichkeiten einer "körperlichen" Erfahrung halluzinatorischer Texte erörtert. Körperlichkeit fungiert einerseits als das so genannte "Unbewusste", das ungeregelte Begehren, das Triebhafte, das Emotionale, das Unfeste, das Dynamische, anderseits aber auch als das Materielle, das Gestalthafte, das Organische, das Sinnliche, das Fühlende, das Wahrnehmende. In halluzinatorischen Texten manifestiert sich - parallel zu dieser Definition der Körperlichkeit - zum einen das sozial und kulturell nicht akzeptierte Begehren, z. B. jemand anderes zu sein, eine andere Wirklichkeit zu entwerfen, die nicht den festgelegten Kategorien der alltäglichen Realität entspricht, und zum anderen der Wunsch, diese andere Wirklichkeit tatsächlich sinnlich zu erfahren und zu verkörpern. Halluzinatorische Texte bringen nach Topitschs Verständnis intensivierte, radikale, andere Formen von Körperlichkeit zum Ausdruck. In diesem Kontext untersucht er Formen des aggressiven und subversiven Schreibens, Darstellungen der unkontrollierten Sexualität, des Schmerzes, der körperlichen Gotteserfahrung, des nackten, modifizierten, dynamisierten und aufgelösten sowie des neu zusammengesetzten Körpers. Auch die in den Blick geratenen Beispiele phonetischer und visueller Poesie verweisen auf Körperlichkeit, indem sie "eine Verschiebung der gemeinhin rationalen, linearen Schrift hin zum körperlichen Sprechen bzw. zur gestalthaften, sinnlichen Darstellung beinhalten." Halluzinatorische Texte sind demnach Texte, in die sich ihr körperliches Moment buchstäblich einschreibt. Körperliches, Emotionales, Nicht-Diskursives, Unmögliches durchdringt die Schrift.

Ganz abgesehen davon, dass im Zuge poststrukturalistischer Theoriebildung schon längst eine positive Neubestimmung von Körperlichkeit und körperlichem Schreiben eingesetzt hat, liegen halluzinatorische Texte niemals völlig jenseits der rationalen Schrift, ihr Spezifikum ist gerade das Oszillieren zwischen Schrift und Körperlichkeit, die somit immer wieder auch relativiert wird. Selbst Antonin Artaud, der so radikal wie kaum ein anderer in seinen Texten seine Körperlichkeit einfordert, drückt sich - als psychisch Kranker, der in der psychiatrischen Klinik von Rodez interniert ist - nur zum Teil in einer "privaten", nicht-linearen Schrift aus, während er gleichzeitig immer noch das herkömmliche Schriftsystem verwendet, da er von der intellektuellen Außenwelt als Denkender wahrgenommen werden möchte. Eine Annäherung an solche Phänomene erfolgt im poststrukturalistischen Denken, in dem immer wieder darauf verwiesen wird, dass das Körperliche in der abendländischen Geschichte an den Rand gedrängt und aus den herrschenden Diskursen verdrängt wurde. Zu denken wäre an Michel Foucault, Gilles Deleuze und Félix Guattari, die bedeutende Texte über den Komplex Wahnsinn, Körperlichkeit und Schreiben verfasst haben. Es ließe sich aber auch auf den Begriff des Begehrens rekurrieren, wie er von Deleuze und Guattari im "Anti-Ödipus" (in Abgrenzung zu Jacques Lacan) modelliert wurde.

Nach einer breiten Klärung dieser Termini und ihrer Applizierbarkeit auf halluzinatorische Texte stellt Topitsch im fünften Kapitel seiner Arbeit die abendländische Geschichte der Kontrolle von Körperlichkeit dar, wobei er diesen Prozess der Zivilisierung in dreifacher Weise aufrollt: 1. als Geschichte der Vernunft; 2. als Geschichte der Kontrolle des Körpers des Wahnsinnigen und 3. als Geschichte der Schrift. Wie die Beispiele zeigen, ist in der abendländischen Geschichte nicht-kontrollierte Körperlichkeit, insofern sie sich nicht rational und diskursiv legitimieren kann, einem Disziplinierungsprozess unterworfen. Wird abweichende Sexualität, das Wahnsinnige, das Fäkalische etc. Teil des Diskurses, dann nur als Negativum: als Verbot der abweichenden Sexualität, als Gebot zur Vernunft und zur Reinlichkeit. Maßgeblichen Einfluss auf diesen diskursiven Ausschluss des Körpers hat die Schrift. Bei der Repression von Körperlichkeit erweist sich die rationale, lineare und standardisierte Schrift als effizientes Mittel der Kontrolle. Vor dem Aufkommen der Schrift stellt die Körperzeichnung - Tätowierung, Bemalung, Narbenschmuck, Beschneidung - ein zentrales Mittel zur Aufrechterhaltung der sozialen Organisation und einer symbolischen Ordnung dar, die noch nicht durch staatliche Zwangsorgane oder eine allgemein verbindliche Ideologie garantiert werden kann. Die Körperbeschriftung markiert die heterogenen Rollen der Individuen innerhalb einer Gruppe, wobei nach genealogischer Herkunft, Alter, Geschlecht und Rang differenziert wird. Das Symbolische ist noch unmittelbar an den Körper gebunden. Die Zugehörigkeit zu einer Gruppe und einer kulturellen Gedächtnisgemeinschaft wird zum Teil durch den mit der Körperbeschriftung verbundenen Schmerz physisch erfahrbar. Eine weitere Funktion, die in diesem Zusammenhang ansichtig wird, ist es, den Menschen von einem unbestimmten, natürlichen Zustand abzugrenzen; erst die Inszenierung des Körpers markiert die menschliche Kultur.

Die Schrift reglementiert also Körperlichkeit nicht nur direkt als Dokument der öffentlichen Macht - z. B. als Gesetzestext, als Haftbefehl, als Einberufungsbescheid, als Krankenakte -, sondern sie strukturiert Wirklichkeit. In den darauf folgenden Kapiteln seiner Studie zeigt Topitsch, in welcher Form das relativ unkontrollierte Körperliche in halluzinatorischen Texten stets anwesend ist. Es ist zunächst inhaltlich präsent: Halluzinatorische Texte legen Zeugnis ab vom Körper, der sich nicht durch gesellschaftliche Normen oder vom Gesetzestext kontrollieren lässt (Kapitel 6), vom Körper, der sexuell begehrt und im Schmerz eine andere, nicht-diskursive Realität erfahren möchte (Kapitel 7). Es kommt darüber hinaus zu einem Begehren Gottes, das erotische oder sexuelle Züge aufweist. Damit verbunden ist in vielen Beispielen das Begehren des Schmerzes: "Im Schmerz, der in paradoxer Weise einerseits die 'normale' Wirklichkeit durchbricht und andererseits in seiner Intensität als durchdringende Realität erscheint, soll die Anwesenheit Gottes wirklich gefühlt werden." Im achten Kapitel diskutiert Topitsch den Terminus "andere Körperlichkeit". Es handelt sich dabei um schriftliche und bildliche Darstellungen des zerstückelten und neu zusammengesetzten Körpers sowie um die Erfahrung "anderer" Wirklichkeiten unmittelbar am Körper. Die Modifikationen des Körpers kulminieren im so genannten organlosen bzw. dekonstruierten Körper und zuletzt in der Apokalypse als endzeitlicher Auflösung aller Körper.

Während die abendländische Rationalität eine mithin schriftliche Ordnung um die Körper legte, geht es in halluzinatorischer Literatur und Kunst um eine "Schrift des Anderen", die am und auf dem Körper sinnlich erfahrbar ist. Der Körper wird be- oder überschrieben bzw. die Schrift mit Körpern übermalt, oder aber Körper sind von Schrift umgeben. Der als Schrift-Körper modifizierte Körper symbolisiert das Begehren nach Andersheit, das aber wiederum nur mit den Mitteln der Schrift präsent gemacht werden kann. Um das Andere festzuhalten, muss man es rationalisieren. Es handelt sich um den Wunsch, den eigenen Körper neu zu beschriften, mit einer anderen Schrift zu versehen, jenseits der sozialen Diskurskontrolle, der kulturell normierten "Beschriftung". Dies ist freilich eine Paradoxie: Die Bekämpfung der Schrift korrespondiert mit dem Verlangen nach Schrift, allerdings nach einer körpernahen Schrift. Anlässlich des Werkes von Antonin Artaud, der auch im Mittelpunkt von Topitschs Untersuchung steht, spricht Jacques Derrida von einem "Protest gegen das tote Schriftzeichen, das sich vom Atem und vom Fleisch entfernt". Wenn aber die Schrift direkt auf den Körper aufgetragen wird, dann ändert sie sich und verliert ihren linearen und standardisierten Charakter. Die an den Körper gebundene Schrift wird lebendig und anthropomorph, ihr wird ihre Materialität und Ästhetizität wiedergegeben, sie wird eindringlicher, weshalb schon JHWH den Israeliten befahl, sich die zehn Gebote in und auf den Körper zu schreiben. Diesbezüglich heißt es Dtn 6,6-8: "Diese Worte, auf die ich dich heute verpflichte, sollen auf deinem Herzen geschrieben stehen. [...] Du sollst sie als Zeichen um das Handgelenk binden. Sie sollen zum Schmuck auf deiner Stirn werden."

In die gleiche Richtung weist die Arbeit der Germanistin Katja Schubert, die anhand zeitgenössischer literarischer Texte von drei Generationen jüdischer Autorinnen aus Deutschland und Frankreich Motive und Schreibweisen untersucht, mit denen Gedächtnis und Zeugenschaft der Shoah (re-)konstruiert werden: Grete Weils "Meine Schwester Antigone", Ruth Klügers "weiter leben. Eine Jugend", Esther Dischereits "Joëmis Tisch", Barbara Honigmanns "Eine Liebe aus nichts", Anna Langfus' "Le sel et le soufre", Sarah Kofmans "Rue Ordener Rue Labat" sowie Cécile Wajsbrots "La trahison". Vor dem Hintergrund theoretischer Erinnerungsmodelle vor und nach Auschwitz, einer Gedächtnispolitik in Deutschland und Frankreich von 1945 bis heute und der Frage nach einer Spezifik jüdisch-weiblicher Autorschaft stehen Strukturen der Erinnerung und Zeugenschaft in der Darstellung von Topographien, Körpergedächtnissen, Generationen und Genealogien sowie im autobiographischen Schreiben im Mittelpunkt der Analyse.

Von besonderem Interesse ist die Deutung des 'Körpers' in den jeweiligen Texten als Einschreibungsort und Vehikel von Gedächtnis. Auch die Texte jüdischer Autorinnen 'nach Auschwitz' zeigen, dass die physische und psychische Wunde von Überlebenden und die am eigenen Körper erlebte Geschichte nicht immer ins Symbolische integriert und damit in eine Diskursivität hat hineingeholt werden können. Die daraus resultierende 'sichtbare Unsichtbarkeit' schlägt sich in der jüdischen Literatur nach 1945 insofern nieder, als darin für Repräsentationen des jüdischen Körpers ein Oszillieren zwischen An- und Abwesenheit, Sicht- und Unsichtbarkeit, Auslöschung und Verkörperung charakteristisch ist. Esther Dischereit spricht in diesem Kontext vom "integrierten Fremdkörper" oder "Auch-Mensch", der sich, wie im Falle ihrer eigenen Familie, nach 1945 mit seiner jüdischen Identität aus Angst vor den nichtjüdischen Deutschen verbergen musste. Der Körper wird somit zum Fremd-Körper; er ist Träger von Zeichenfunktionen und von sozialer Tätigkeit und Erfahrung. Der konkrete Körper der Erfahrung wird von den verschiedenen Kräfte- und Machtkonstellationen durchdrungen und ist zugleich involviert in die Konstruktion von Bedeutung in den jeweiligen Kontexten. Er ist ein physischer Raum des Empfindens und der Erfahrung, und zugleich wird er repräsentiert als ein anatomisch, biologisch, ethnologisch und künstlerisch betrachteter und abgezeichneter Leib, als Bild unter Bildern. Der Körper gehört somit gleichzeitig zwei voneinander geschiedenen Ordnungen an: einmal der Ordnung des Symbolischen, zum anderen der außerhalb des Zeichens liegenden Ordnung des Realen, da sich in ihr Lust, Genuss, Schmerz, Trauer, Zeitlichkeit und Tod abzeichnen. Der jüdische Frauenkörper wird zum Schauplatz einer pathologischen Amnesie und eines Schmerzes, worin die Sprache an die Grenze des Verstummens stößt, da Geschichte und historisches Trauma kaum mehr in Formen der Repräsentation transformiert werden können. Entgegen Aussagen der Gender-Theorie hält Katja Schubert die Vorstellung eines handlungsfähigen Subjekts aufrecht: Die literarische Arbeit mit und am Körpermotiv geschehe in dem Bewusstsein, dass der Körper immer schon Gegenstand eines Gedächtnisses ist, das individuelle und kollektive Einschreibung umfasst. Zentraler Ansatzpunkt ihrer Untersuchung ist dabei die Frage, inwiefern nun der Körper als Ort der Einschreibung kulturellen Wissens bzw. als Zeichenträger kultureller Erinnerung funktioniert und agiert und wie sich an ihm und über ihn Speicherung und Transformation von den mit dem Geschehen 'Auschwitz' verbundenen Zeichen manifestiert. Jedoch handelt es sich auch bei diesem Körper-Gedächtnis, wie Katja Schubert herausarbeitet, nicht um 'reine' Repräsentation. Der Körper erscheint als Schauplatz eingelassener Dauerspuren, die durch bestimmte Wahrnehmungen die Wiederholungen von Affekten und damit verbundenen Vorstellungsbildern auslösen, wobei diese Wiederholung nie die Wiederholung desselben, sondern immer eine andere Wiederkehr ist, die Wiederkehr eines "Anderen".

Vor allem in den Texten Esther Dischereits und Barbara Honigmanns wird der eigene Körper zum Schmerz-Körper, der Spuren aufzeigt, um einen Zugang zur Elterngeneration zu erhalten. Über den Körper wird die Anteilnahme an einem Kollektivgedächtnis und dessen Diskursen erhofft. Der Körper wird zum Ertragenden und zugleich zum Träger von Geschichte, die sich am Körper materialisiert. Körper und Geschichte werden wiederum durch eine gewollte Schmerzerfahrung fühlbar gemacht. In Dischereits Text "Joëmis Tisch" etwa erlebt der Körper in der Imagination von SS-Praktiken die Verfolgungserfahrung: "Aber wenn sie verlangten, ich solle mich ausziehen - warum sollten sie das verlangen - wenn sie verlangten, ich solle mich ausziehen, und ich zöge mich aus. Und man sähe den Stern, durch die Kleider hindurch - sieht man ihn nicht - durch die Kleider hindurch auf meine Haut gebrannt - ist nicht gebrannt, bin niemals dort gewesen - auf meine Haut gebrannt, und die Hunde kämen heran." Die Rede vom 'Eingebrannt-Sein' stellt einerseits Bezüge her zum konkreten Einbrennen der tätowierten Nummer auf die Haut der Häftlinge in Auschwitz bis hin zu deren Verbrennung. Der Körper wird andererseits zur Fläche, auf der metaphorisch eine stigmatisierende Lektüre der Zeichen durch Nichtjuden eingraviert ist. Die Differenz zwischen realem Körper und imaginiertem Davidstern ist in diesem Moment, in dem der Körper vollkommen von den herrschenden Machtkonstellationen durchdrungen wird, getilgt. Der Körper ist hier ausschließlich der Träger eines Diskurses, dem keine soziale Erfahrung und Aktivität mehr zugestanden wird und damit die Vorstufen der physischen Vernichtung durchläuft. Die 'Ent-Körperlichung' der Shoah-Erfahrungen von Vertretern der Generation der Überlebenden steht dabei der Bewegung der 'Ver-Körperlichung' und der Fusion in der dritten Generation, wie Katja Schubert an den Beispielen Dischereit, Honigmann und Sarah Kofman eindrucksvoll zeigt, gegenüber. "Erstere wollen dem Gedächtnis der 'Narbenschrift auf dem Körper' die Existenzberechtigung entziehen, ihm seine Autorität durch Erfahrung absprechen und den Körper zu einem 'anderen Zeichen' umfunktionieren, weil er die eigene Version der Geschichte stört, als deren Einspruch fungiert. [...] Dem Mythos des Neuanfangs und der leeren Fläche widerspricht die dauerhafte Narbenschrift auf dem Körper, dessen Fläche gerade nicht leer, sondern beschrieben ist. Die Nummer, allein schon durch ihr bloßes Da-Sein, verbindet Zeiten und Orte. Sie ist Teil des Körpers geworden und läßt auch deshalb Diskurse nicht zu. Die gestanzte Nummer ist, jenseits der Sprache, Fleisch gewordenes Symbol jener von [Dan] Diner als 'gestanztem Tod' in der 'gestauten Zeit' bezeichneten, durch Industrie und Bürokratie ermöglichten Vernichtungsgeschichte der Shoah."

Katja Schubert gelingt es zu zeigen, dass alle von ihr untersuchten Texte von der zentralen Rolle des Körpers als Teil der 'Endlösung' ausgehen. Die Abspaltung des Körpers vom ganzen Menschen', der dadurch in einen der Tötung vorangehenden Prozess der Unsichtbarmachung und Auslöschung hinein genommen wird, erscheint nach Schubert wie eine allen Texten gemeinsame 'Grunderfahrung'. Der Körper verharmlost die Gewalt nicht, die ihm angetan wurde, weil sie nicht durch Diskurse eingegrenzt werden kann, d. h. er macht sie sicht- und spürbar jenseits der Zähmungen und Kontrollen durch Schrift und Sprache. In diesem Punkt berühren sich die für weitere Forschungen zum Thema der Interdependenz von Schrift-Körper und Körper-Schrift grundlegenden Arbeiten von Topitsch und Schubert. Letzterer darf man darüber hinaus noch das Verdienst bescheinigen, das noch weitgehend unerforschte Terrain der jüdischen Gegenwartsliteratur mit zum überwiegenden Teil glänzenden Analysen zumindest ansatzweise bearbeitet zu haben.

Titelbild

Katja Schubert: Notwendige Umwege - Voies de traverse obligées. Gedächtnis und Zeugenschaft in Texten jüdischer Autorinnen in Deutschland und Frankreich nach Auschwitz.
Georg Olms Verlag, Hildesheim 2001.
438 Seiten, 68,00 EUR.
ISBN-10: 3487114747

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Kein Bild

Rainer Topitsch: Schriften des Körpers. Zur Ästhetik von halluzinatorischen Texten und Bildern der Art Brut, der Avantgarde und der Mystik.
Aisthesis Verlag, Bielefeld 2002.
539 Seiten, 48,00 EUR.
ISBN-10: 3895283711

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch