Familienbande

"Vor dem Frost", der neue Roman von Henning Mankell

Von Nadine BoulannouarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Nadine Boulannouar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Nach seinem letzten, vielgelobten Roman "Die Rückkehr des Tanzlehrers", in dem der junge, krebskranke Polizist Stefan Lindman in Nazi-Kreisen ermittelte, hat der schwedische Erfolgsautor Henning Mankell nun sein neues Buch "Vor dem Frost" vorgelegt. Hier tritt wieder der altbekannte, verschrobene Kommissar Kurt Wallander auf, diesmal jedoch in Begleitung seiner inzwischen dreißigjährigen Tochter Linda, die es kaum abwarten kann, endlich ihren Dienst beim Polizeipräsidium in Ystad aufzunehmen. Die Zeit "Vor dem Frost" steht dabei für den sich häufig andeutenden Wechsel der Jahreszeiten, für die Umwandlung der spätsommerlichen Wärme in die beginnende herbstliche Kälte sowie ebenso für den Übergang von Lindas Urlaubszeit zu ihrem bevorstehenden Arbeitsantritt als Polizistin.

Wie gewohnt, sind auch die mysteriösen Vorkommnisse in "Vor dem Frost" nichts für Zartbesaitete: Zunächst informiert ein anonymer Anrufer die Polizei über in Flammen aufgegangene Schwäne, dann verbrennt ein junger Bulle auf einem in der Nähe gelegenen Bauernhof bei lebendigem Leibe und schließlich finden Wallander und seine Tochter die körperlichen Überreste der Kulturgeographin Birgitta Medberg, die nach einer ihrer Wanderungen, auf der Suche nach unbekannten Wegen und Pfaden, nicht nach Hause zurückgekehrt war. Die Tatsache, dass sie auf grausame Art und Weise hingerichtet wurde und das parallele Verschwinden von Lindas Freundin Anna, geben den Ermittelnden zahlreiche Rätsel auf und deuten auf ein Verbrechen von enormer Tragweite hin.

Wie bereits in den vorausgegangen Wallander-Fällen klingen auch in "Vor dem Frost" gesellschaftskritische Töne an: diesmal steht eine fanatische christliche Organisation im Mittelpunkt des Geschehens, die Werteverfall und Verlust des Gottvertrauens an den Pranger stellt. Anders als in den Romanen "Die fünfte Frau" oder "Mörder ohne Gesicht", in welchen gesellschaftliche Probleme wie Rassismus oder wachsende Kriminalität einen deutlichen Nebenstrang zur Haupthandlung bildeten, fokussiert der Autor nun hingegen primär die Abgründe innerhalb der Familie Wallander. Im Vordergrund steht diesmal das zwiespältige Verhältnis zwischen Vater und Tochter, das unverblümte Blicke in das Familienleben gewährt. So nimmt Linda ihren Vater einerseits zwar als erfahrenen Polizisten, als Vorbild oder Ratgeber wahr, andererseits erweist sich das Vertrauensverhältnis aufgrund zahlreicher Rückblicke in die Kindheit jedoch auch als brüchig und instabil: "Linda wusste nie im voraus, wann ihr Vater einen seiner plötzlichen und schweren Wutanfälle bekam. Sie erinnerte sich an die Angst, die sie und ihre Mutter erlebt hatten, als sie aufwuchs."

Linda Wallander reagiert bei Kritik oft emotional und gerät leicht aus der Fassung; sie tritt (teilweise übertrieben) impulsiv auf und bildet einen Kontrast zu ihrem, inzwischen noch übergewichtigeren, eher träge wirkenden Vater. Abgesehen von der etwas plumpen Anspielung auf den 11. September im letzten Kapitel, die sich ein wenig unmotiviert aus der Geschichte emporhebt, ist "Vor dem Frost" jedoch durchaus schlüssig und steht den übrigen Wallander-Fällen im Hinblick auf Spannung und Unterhaltung in nichts nach. Auch der inzwischen genesene Stefan Lindman aus "Die Rückkehr des Tanzlehrers" gehört nun offiziell zu den Ermittelnden, und der Kreis schließt sich, als eine gemeinsame Zukunft zwischen ihm und Linda Wallander in Aussicht gestellt wird.

Titelbild

Henning Mankell: Vor dem Frost. 2 CD.
Der Hörverlag, München 2003.
19,95 EUR.
ISBN-10: 3899401794
ISBN-13: 9783899401790

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