Von Trotzköpfen und braven Hausfrauen

Ein "Schnellkurs" gibt einen interessanten Überblick über die Geschichte der Kinder- und Jugendliteratur

Von Hannelore PiehlerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Hannelore Piehler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Anfänge reichen zurück bis ins Mittelalter. "Die ersten Bücher, die man Heranwachsenden in die Hand gab, waren Lehrbücher zur lateinischen Grammatik, Rhetorik und Dialektik, also zu den Fächern, die seit der Antike ganz am Beginn des wissenschaftlichen Unterrichts standen." Bis zu so postmodernen und politisch korrekten Bilderbüchern wie "König & König" (Linda de Haan und Stern Nijland; 2000), in dem sich der Prinz auf der Suche nach einer Braut in den Bruder einer Bewerberin verliebt und dann eben kurzerhand diesen heiratet, war es ein langer und schwerer Weg. Einen interessanten Überblick über die wechselvolle Geschichte der Kinder- und Jugendliteratur gibt nun Isa Schikorsky. Ihr bei DuMont erschienener "Schnellkurs Kinder- und Jugendliteratur" ist nicht nur als Einstieg in die Thematik unbedingt zu empfehlen, sondern auch als knappes Nachschlagewerk, das informiert - und auch unterhält.

Schikorsky bietet dabei nicht nur einen systematischen Überblick von den Anfängen der Kinder- und Jugendliteratur im Mittelalter bis zur unmittelbaren Gegenwart (und das heißt natürlich heute bis zu "Harry Potter"). Sie stellt auch die zahlreichen Kontroversen in Feuilleton und Pädagogik dar, beispielsweise die harsche Kritik an der fantastischen Literatur, die immer wieder als eskapistisch abgewertet wurde, oder zeigt, wie Kinderbücher von den verschiedensten Ideologien vereinnahmt wurden. Das beginnt nicht erst bei den Nationalsozialisten und endet auch nicht bei den zahlreichen konservativen Titeln, die seit der Aufklärung Mädchen, "Trotzkopf" hin oder her, zu braven, von Männern kontrollierbaren Haus- und Ehefrauen erziehen sollten.

Der pädagogische bzw. ideologische Kontext ist bei Kinderbüchern aber keineswegs nur eine Perspektive neben dem literatur- und geisteswissenschaftlichen Fokus, sondern überlagert immer wieder die ästhetische Diskussion. Entsprechenden Wert legt die Dozentin für Kinder- und Jugendmedien an der Fachhochschule Köln auch darauf, herauszuarbeiten, wie sich die Kinder- und Jugendliteratur stets abhängig vom Wandel des Kindheitsbildes der Gesellschaft entwickelt. So führten erst die Ideen der Aufklärung dazu, dass die Kindheit einen Eigenwert und in der Folge auch eine eigene Literatur erhielt, die nützen und erfreuen sollte, während dann beispielsweise die Bewegung der 68er den "Schonraum" der Kindheit wieder auflöste. Stattdessen herrschte nun eine egalitaristische Sichtweise. Kinder sollten "die Probleme und Widersprüche der Realität, aber auch Mittel und Wege zu ihrer Bewältigung möglichst früh kennen lernen." Ein konsequenter Realismus war - unter anderem - die Folge. Kinderbücher erzählen seither auch von Erfahrungen mit Gewalt, Krieg und Dikatur sowie von Alkohol- oder Drogenproblemen.

Innovative "fantastische" Autoren wie Paul Maar, Otfried Preußler oder Michael Ende waren dagegen in dieser Zeit verpönt - jedenfalls bei den erwachsenen Kritikern und selbsternannten Experten. Denn dass die Kinder und Jugendlichen oftmals ganz andere Bücher lesen möchten, als Eltern und Pädagogen es gerne hätten, betont Isa Schikorsky ebenfalls. Zwar ist es ihr Ziel, vor allem zentrale, innovative (in formaler, sprachlich-stilistischer wie inhaltlicher Sicht) Kinder- und Jugendbücher aus dem deutschsprachigen Raum vorzustellen. Doch beinhaltet der Schnellkurs auch wichtige Titel aus dem Ausland (Astrid Lindgren) oder aber Verkaufsschlager wie die Bücher von Enid Blyton, die freilich "von ihrer literarischen Qualität keine Fortschritte für die Kinder- und Jugendliteratur bedeuten".

Einige Exkurse skizzieren kurz Themen wie "Comics" oder "Kinder- und Jugendliteratur in der DDR". Viel entscheidender und für den Leser interessanter aber ist die Tatsache, dass Schikorsky, Jurymitglied des Deutschen Jugendliteraturpreises 2003/2004, sich nicht auf die erzählende Literatur beschränkt, sondern auch beispielsweise einen Einblick in die Entwicklung der Bilderbücher gibt. Hier können ihre Hinweise zu Illustratoren und ihren Techniken den Blick schulen für künstlerisch anspruchsvollere Werke in der Masse von konventionell gestalteten Titeln "mit stereotypen Motiven, die vermuteten kindlichen Wünschen und Sehgewohnheiten entgegen kommen sollen" - und vielleicht doch eher dem nostalgischen, konservativen Kindheitsbild der Erwachsenen entsprechen. Allein diese Erläuterungen lohnen bereits die Lektüre.

Titelbild

Isa Schikorsky: Schnellkurs Kinder- und Jugendliteratur.
DuMont Buchverlag, Köln 2003.
192 Seiten, 12,90 EUR.
ISBN-10: 3832176004

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch