Mit dem Rucksack auf dem Weg ins Ich

Cees Nootebooms Roman "Philip und die anderen" ist bereits 50 Jahre alt und noch kein bisschen angestaubt

Von Annemarie WeberRSS-Newsfeed neuer Artikel von Annemarie Weber

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Frei sein! Die Freiheit genießen. Ohne Zwang, ohne jeglichen Druck, ohne die Zukunft wirklich vor Augen zu haben, per Anhalter durch die Welt treiben. Menschen kennen und lieben lernen und doch wissen, dass jede Begegnung nur von kurzer Dauer ist. Einem Geist, einem Gefühl hinterher jagen, das so ungreifbar und doch real erscheint. Und das Wichtigste: Einen Weg zu sich selber finden, in der Hoffnung, dass man irgendwann ankommt.

Auch Philip, der 20-jährige Hauptakteur des Romans "Philip und die anderen", befindet sich auf einer dieser mysteriösen Reisen; nur mit Rucksack bepackt und einem mehr oder weniger klarem Ziel vor Augen: Das geheimnisvolle asiatische Mädchen zu finden, von dem ihm ein dicklicher Mönch in der Provence erzählte und das ihm seit dem nicht mehr aus dem Kopf geht. Sein Reisen, die Suche nach dem Mädchen, die Stationen der Reise, die vielen Begegnungen mit anderen Menschen - und vor allem anderen Frauen -, erscheinen wie ein langer episodischer Traum, eingetaucht in verklärtes Licht. Die Menschen, die Philip trifft, wirken selbst für ihn so wenig real, wie die vage Vorstellung von dem Mädchen, das er sucht und das immer wieder seinen Weg zu kreuzen scheint. Er begegnet seinem kauzigen Onkel, der mit Glassteinen besetzte Kupferringe trägt und nachts mit verstorbenen Komponisten musikalische Feste feiert, einem jungen Mann, der sich in eine Radiostimme verliebt und sein ganzes Leben aufgibt, nur um immer dieser Stimme lauschen zu können, und schließlich begegnet er verschiedenen Frauen, die in einer völlig eigenen Welt zwischen Traum und Realität zu leben scheinen und für ihn unerklärlich und faszinierend sind.

Doch so abwegig und spleenig Orte, Figuren und Gespräche in diesem Roman wirken, so real sind sie doch auch, da sie Ausdruck dessen sind, was junge Menschen erleben, wenn sie auf der Suche nach sich selber sind.

Wo gehöre ich hin? Was ist mein Ziel? Wie definiere ich mich? Und vor allem, wo finde ich das, wonach ich auf der Suche bin?

"Philip en de anderen", so der Originaltitel, erschien bereits Ende der 50er Jahre erstmals in Holland und avancierte dort zu einem großen Erfolg. Einige Jahre später wurde das Buch unter dem Titel "Das Paradies ist nebenan" auch in Deutschland veröffentlicht und machte seinen 21-jährigen Autor Cees Nooteboom fast über Nacht bekannt. Es blieb sein einziges Werk in dieser verträumt verklärten Form, von der er sich in späteren Werken und in der Öffentlichkeit immer zu distanzieren suchte. 1963 erschien der Roman "Der Ritter ist gestorben", 1968 ein Erzählband mit dem Titel "Der verliebte Gefangene" und jüngst die Bücher "Allerseelen" (1999), "Nootebooms Hotel" (2000), der Gedichtband "So könnte es sein" (2001) sowie sein aktuellstes Buch "Die Insel, das Land. Geschichten über Spanien" (2002). Auch als Journalist und Reiseschriftsteller machte sich Nooteboom, vor allem in den 70er und 80er Jahren, einen Namen.

Anlässlich des 70. Geburtstags des holländischen Schriftstellers im Juli veröffentlichte der Suhrkamp Verlag eine Neuübersetzung seines Erstlingswerks. Helga von Beuningen hat einen Großteil von Nootebooms Werken für Suhrkamp übersetzt, das Nachwort steuerte der Philosoph Rüdiger Safranski bei, der das Buch bereits in den 50er Jahren gelesen und zu seinem "persönlichen Kultbuch" erklärt hatte.

Und auch heute noch könnte es dieses Prädikat von vielen jüngeren Lesern oder solchen, die immer noch auf der Suche nach sich selbst sind, verliehen bekommen. Denn "Philip und die anderen" passt so gut zu dem Lebensgefühl der jungen Generation, ebenso wie Handy, Internet und der gelegentliche Drogenkonsum auf irgendeiner Party. Es ist verträumt, märchenhaft und doch näher an der Wahrheit, als man auf den ersten Blick zu erkennen vermag. Das eigentliche Alter des Buches macht klar, dass sich zwar die Lebensumstände junger Menschen mit der Zeit verändern, dass aber die Grundprobleme immer die gleichen bleiben.

Titelbild

Cees Nooteboom: Philip und die anderen. Roman.
Übersetzt aus dem Niederländischen von Helga van Beuningen.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2003.
168 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 3518414356

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