Hundertsiebenundvierzig Tage im Leben der Christiane Goethe

Sigrid Damm hat ein einzigartiges Dokument ausgegraben und erstmals veröffentlicht

Von Christine KanzRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christine Kanz

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Sigrid Damm, deren spannende Recherche "Christiane und Goethe" im letzten Jahr Furore machte, hat nun ein Nebenprodukt ihrer damaligen Nachforschungen nachgelegt: das Tagebuch Christiane Goethes aus dem Jahr 1816. In Goethes Arbeitszimmer ist die renommierte Literaturwissenschaftlerin auf dieses einzigartige, nun erstmals veröffentlichte Dokument gestoßen. Es führt uns hundertsiebenundvierzig Tage, vom 1. Januar bis 30. Mai, aus dem Leben der zu dieser Zeit 50jährigen lebendig vor Augen: "Wirtschaftl. Einrichtungen. Spazierengefahren. Mittag für uns. Paradies der Liebe", notierte die "Frau Geheime Räthin von Goethe" beispielsweise am 2. Februar. Die Rede vom "Paradies der Liebe" ist gar nicht so selten in diesen Wochen. Sie bezieht sich allerdings auf ihre Lektüre des gleichnamigen Romans von James Lawrence. Zu dieser Zeit ist immerhin schon über ein Vierteljahrhundert vergangen, seit sie als 23jähriges "Fräulein Vulpius" dem komplizierten Geheimrat begegnet war. Die ersten glücklichen Jahre ihrer Liebe, da "des geschaukelten Betts lieblicher knarrender Ton" hauptsächlich ihr Verhältnis bestimmte und Goethe ihr "des Hexameters Maß, leise, mit fingernder Hand [...] auf den Rücken gezählt", liegen schon lange zurück. Fünf Kinder hat sie inzwischen geboren. Während sich ihr 66jähriger Gatte - nicht zuletzt aufgrund seiner Leidenschaft für Marianne von Willemer, aber auch im Zuge seiner Schaffenseuphorie angesichts seiner neuesten Dichtung "West-östlicher Divan" - zusehends verjüngt, lassen ihre eigenen Kräfte langsam nach. Mit den Worten "Bald zu Bette" bricht ihr Tagebuch am 30. Mai ab. Das Bett wird sie nicht mehr verlassen. Ihr Gesundheitszustand verschlechtert sich rapide. Am 6. Juni 1816, wenige Tage nach dem letzten Eintrag, stirbt sie. "Leere und Totenstille außer mir", schreibt Goethe an diesem Tag in sein eigenes Tagebuch.

Titelbild

Sigrid Damm (Hg.): Christiane Goethe. Tagebuch 1816 und Briefe. Nach der Handschrift herausgegeben von Sigrid Damm.
Insel Verlag, Frankfurt 1999.
478 Seiten, 11,70 EUR.
ISBN-10: 3458342613

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