Das Heimchen am Herd als Rebellin

Walter Fähnders' und Helga Karrenbrocks lesenswerter Sammelband zu Autorinnen in der Weimarer Republik

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Nicht alle der während der 70er in den Kämpfen gegen das Abtreibungsverbot geschulten und gestählten Aktivistinnen der Weiberräte und Frauenzentren waren glücklich, als sich ihre Töchter zwei Jahrzehnte später zu den bekannten mode- und markenbewussten Girlies des ausgehenden 20. Jahrhunderts entwickelten, die sich der erkämpfen Freiheiten zwar wie selbstverständlich erfreuten und ebenso selbstbewusst wie erfrischend frech auftraten, die weiter bestehenden Unfreiheiten allerdings oft nicht zu bemerken schienen. Die genießen wollten statt zu kämpfen, da ihnen die Hälfte des Himmels offen zu stehen schien, und die sich oft genug einige Jahre später dann doch an den heimischen Herd gefesselt fanden oder in der Doppelbelastung zwischen Familie und Beruf aufgerieben sahen.

Ganz ähnliche Erfahrungen, wie sie die feministischen Rebellinnen der 70er Jahre zum Ausgang des Jahrhunderts mit ihren Töchtern machen mussten, standen den Protagonistinnen der am Vorabend des Ersten Weltkrieges virulenten Ersten Frauenbewegung bereits in der Weimarer Republik ins Haus. Waren diese um die Jahrhundertwende für Frauenstimmrecht und -bildung sowie für das Recht auf freie Mutterschaft auf die Straße gegangen, so machte in den Wilden Zwanzigern nicht nur die emanzipierte "Neue Frau", sondern auch das "Girl" Furore, das in Marieluise Fleißers Erzählung "Die Ziege" von den Männern gerade darum geliebt wird, "weil es nicht dachte" und in Irmgard Keuns "kunstseidene[m] Mädchen" vergeblich Ruhm und "Glanz" nachjagt. Die Ideale ihrer reformbekleideten Mütter hielten diese Girls bestenfalls für verstaubt.

"Wir gingen in den Lebenskampf und bewährten uns, soweit man sich, halb geduckt und halb gehasst bewähren kann", erinnert sich Gabriele Tergit am Ende der Weimarer Republik. Doch, so fährt sie fort, "[d]as war alles gestern. Unsere siebzehnjährigen oder fünfzehnjährigen Töchter aber finden uns altmodisch. 'Die Frau gehört ins Haus' erscheint ihnen als revolutionäres Feldgeschrei". Wie sehr eine solche Klage zu Recht geführt wurde, belegt ein Bekenntnis von Kadidja Wedekind, zwar keine Tochter einer rebellierenden Frauenrechtlerin, aber die eines bekannten Schriftstellers. In der Tageszeitung "Hannoverscher Kurier" erklärt sie 1930, "daß der Durchschnittsmann der Durchschnittsfrau überlegen ist" und "daß es nicht in der Natur der Frau liegt, für die Rechte anderer Frauen zu kämpfen".

Im Zusammenhang nachzulesen sind die Zitate Tergits und Wedekinds in Helga Karrenbrocks erhellendem Aufsatz "Zum Selbstverständnis schreibender Frauen in den zwanziger Jahren", der in dem von ihr gemeinsam mit Walter Fähnders herausgebenden Sammelband zu Autorinnen der Weimarer erschienen ist. Der Band versammelt neben fünf Beiträgen zu einzelnen Autorinnen (Gertrud Kolmar, Anna Seghers, Marieluise Fleißer, Vicki Baum und Irmgard Keun) sieben literaturgeschichtlich oder systematisch orientierte Darstellungen etwa zu Dichterinnen im Expressionismus, Reporterinnen, Autorinnen der Neuen Sachlichkeit oder zur Kinder- und Jugendliteratur. Ein Aufsatz aus der Feder Sabine Rohlfs zur "'Neue[n] Frau im nationalsozialistischen Deutschland und im Exil" beschließt den Band.

Aus der Reihe der durchweg lesenswerten Texte sticht Kerstin Barndts aufschlussreiche und überzeugende Untersuchung über "Irmgard Keuns Leserinnen und das Melodramatische" hervor. Zunächst fragt sie nach der "kulturellen Arbeit", welche Keuns Romane "Gilgi, eine von uns" und "Das kunstseidene Mädchen" am Ende der Republik leisteten, und vollzieht die Debatte nach, die der Roman "Gilgi" seinerzeit initiierte. Dazu zieht sie vorwiegend Leserinnenbriefe der sozialdemokratischen Zeitschrift "Vorwärts" heran, die den Roman "Gilgi" ein Jahr nach seinem ersten Erscheinen 1931 erneut veröffentlichte. Wurde das Buch von der kommunistischen Presse als "billige aber wirksame Narkotika" abgetan, so urteilten die Leserinnen des "Vorwärts" oft differenzierter. Zwar fielen auch in den Leserbriefspalten des "Vorwärts" Begriffe wie "Schundliteratur" und "wertlos", doch wurden ebenso positive Stimmen von Leserinnen laut, die sich mit der Protagonistin identifizierten.

Der Erfolg dieses und anderer Romane der Neuen Sachlichkeit, so Barndts in einem zweiten Teil ausführlich begründete These, sei nicht, wie oft angenommen "allein in deren sachlichen, typisierenden, anti-psychologischen und 'kalten' analytischen Textelementen begründet", sondern auch dem weithin vernachlässigten "melodramatischen Impulse der Neuen Sachlichkeit" zuzuschreiben, der insbesondere in den "existentiellen Entscheidungssituationen" begründet liege, denen sich die Protagonistinnen etlicher Erzählungen der Neuen Sachlichkeit stellen müssen.

Ebenfalls hervorzuheben sind die Beiträge von Sabine Becker von Barbara Descher. Während Descher in ihrem Beitrag anhand von Vicki Baums "stud. Chem. Helene Willfüer", Anita Brücks "Hinter der Schreibmaschine" und Irmgard Keuns "Gilgi" das "Emanzipationspotential" der dort vorgestellten neuen Weiblichkeit und der zur "kulturellen Ikone" aufgestiegenen Neuen Frau aufzeigt, wartet Becker in ihrem Aufsatz zu Autorinnen der Neuen Sachlichkeit zunächst mit der überraschenden These auf, "dass es in den Zwanziger Jahren eine Affinität zwischen der neusachlichen Programmatik und einer spezifisch weiblichen Ästhetik gab" und entwickelt im folgenden die zweite These, dass die"literarische Neusachlichkeit" von einer "neusachlichen Kultur" zu unterscheiden ist, zu der auch der eingangs angesprochene Typus des Girls gehört. Wie die Autorin zeigt, repräsentieren die Protagonistinnen neusachlicher Autorinnen einen "emanzipierten Frauentypus", der wenig mit der "Girlkultur" der zwanziger Jahre gemein hat, sondern am "Diskurs um das Thema 'Neue Frau'" partizipierte. Ausnahmen bilden Keuns "Gilgi" und "Das kunstseidene Mädchen".

Argumentiert Becker auch weitgehend plausibel, so bleiben doch einige Fragen offen. So ist etwa nicht nachzuvollziehen, wieso sie Gabriele Reuter ohne weiteres den "konservativen Schriftstellerinnen" zurechnet, deren Werke "die Werte Natur und Natürlichkeit" "aktualisieren" und "mit den Kategorien Familie, Religiosität, Mütterlichkeit, Ehedasein, Verpflichtung gegenüber der Nation verbinden".

Titelbild

Walter Fähnders / Helga Karrenbrock (Hg.): Autorinnen der Weimarer Republik.
Aisthesis Verlag, Bielefeld 2003.
297 Seiten, 15,50 EUR.
ISBN-10: 3895283835

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