Dichterin, Essayistin und Philosophin

Hans Höllers Monographie über Ingeborg Bachmann

Von Mirja StöckerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Mirja Stöcker

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Jeder, der nach Rom reist oder einmal in Rom war, sollte diesen Text kennen, nein, man sollte ihn kennen, auch wenn man nie nach Rom kommen wird."

Hans Höller spricht hier über Ingeborg Bachmanns Essay "Was ich in Rom sah und hörte" (1955). Diese tiefe Verehrung und Achtung vor dem Werk und der Person Ingeborg Bachmanns zeigt sich nicht nur in dieser beinahe feierlichen Äußerung, sondern prägt seine gesamte Monographie über die österreichische Autorin.

Der österreichische Literaturwissenschaftler zeichnet das Bild einer Dichterin, Essayistin und Philosophin, für deren Schreiben ein Wahrheitsanspruch der Grundantrieb war. Er beruhte jedoch nicht darauf, "daß sie sich frei von Irrtümern wußte". Die "Erkenntnis der Irrtümer und die schmerzlichen Erfahrungen waren bei ihr vielmehr die Vorraussetzung dafür, sehend zu werden und sehend zu machen."

Die schmerzlichen Erfahrungen meinen vor allem die Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges, des Faschismus; "Das Nein-Sagen im Widerstand gegen eine mörderische Ordnung wird in ihrem Werk immer wieder neu einsetzen als Gegen-Rede, Gegen-Entwurf, Gegen-Welt." Höller betont, daß Bachmann in einer Zeit, in der über den Nationalsozialismus weitgehend geschwiegen wurde, genau diese Tabus "zum Gegenstand ihrer epischen Recherche gemacht und die verdrängte österreichische Geschichte im Ich ihrer erzählten Figuren aufgedeckt" habe. Ihre Erzählung "Unter Mördern und Irren"(1961) bezeichnet er zu Recht als das vielleicht "kritischste geschichtliche Portrait der österreichischen Kultur am Ende der unmittelbaren Nachkriegsjahre." Höller gelingt es, die Bedeutung des Krieges bei Bachmann auch in den Ungaretti-Übersetzungen oder dem Homburg-Libretto nachzuweisen.

Immer wieder macht er deutlich, daß mit den Darstellungen traumatischer Erfahrungen bei Bachmann stets auch eine "mutige Hoffnung [...] bis hin zur Utopie" einhergeht. Eine größere Hoffnung, eine Utopie jedoch, die nichts mit den zu ihrer Zeit sehr verbreiteten und beliebten Privat- oder Insel-Utopien zu tun hat, wie Höller betont. Leider verweist er jedoch an dieser Stelle nicht auf Adorno ("Es gibt kein richtiges Leben im falschen"), in dessen Denktradition diese Utopiekonzeption Bachmanns offensichtlich gehört.

Was an Hans Höllers Biographie über Ingeborg Bachmann weiterhin auffällt, ist das Bemühen, mit der männlichen Perspektive auf die Frau Ingeborg Bachmann abzuschließen. Er entlarvt die männliche Kritikerschaft, die durch "verharmlosende Lobhudelei" zentrale Inhalte ihrer Lyrik ignoriert hat, und er zeigt, was wirklich "hinter dem Lob der Zartheit und Ferne ihrer Verse stand: banale Ressentiments der schreibenden Frau gegenüber, Gleichschaltung von weiblicher Rolle und lyrischer Gattungsrolle." Die großen Herren der österreichischen Nachkriegsliteratur und Literaturkritik konnten einfach nicht akzeptieren, "daß es da jemanden gab, noch dazu eine Frau, die ihnen nicht nur literarisch, sondern auch im strategischen Kalkül überlegen war - und die im richtigen Moment dem Wiener Literaturbetrieb den Rücken kehrte und wegging, um im Ausland ihren literarischen Ruhm zu begründen." Den von den Männern so gern betonten Klischees von der hilflosen, verträumten und vom Alltag überforderten Ingeborg Bachmann setzt Höller ihre Zielstrebigkeit und Professionalität entgegen, mit der sie sich in dem von Männern beherrschten Literaturbetrieb behauptete. Jedoch gelingt es ihm selbst leider auch nicht immer, diese Klischees abzulegen. So ist er beispielsweise der Meinung, daß Bachmann das Bild von der unsicheren, ängstlichen Frau mit inszeniert habe und für sich zu nutzen wußte: in ihrer Jugend, um sich "durch Abwesenheit den Anforderungen und Zumutungen des NS-Erziehungssystems zu entziehen" und später, um "den Männern im partriarchalischen Literaturbetrieb die Rolle von Rettern und Wundertätern" zuzuweisen. Die als Beleg herangezogene Äußerung -"Hab vielen Dank für die Lebensrettung" - sprüht nur so vor Ironie. Sie zeigt jedoch nicht, daß Vorteile damit erhascht werden sollten.

Hans Höllers Monographie ist insgesamt eine gelungene Einführung in Ingeborg Bachmanns Werk, auch insofern, als er unbekanntere Texte vorstellt und sehr verschiedene Facetten des "Todesarten"-Projekts würdigt. Größte Vorsicht ist jedoch da geboten, wo Höller dazu neigt, Bachmanns Texte autobiographisch zu lesen. Hier kommt wieder das besondere Interesse an der Frau Ingeborg Bachmann zum Vorschein, und das literarische Werk wird in den Hintergrund gedrängt. In einem Interview aus dem Jahre 1971 sagt Ingeborg Bachmann über ihren Roman "Malina": "Das Buch soll und kann wohl auch nicht als eine Autobiographie verstanden werden." Das sollte für die Rezeption literarischer Texte selbstverständlich sein.

Titelbild

Hans Höller: Ingeborg Bachmann. In Selbstzeugnissen und Bilddokumenten.
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 1999.
186 Seiten, 6,60 EUR.
ISBN-10: 3499505452

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch