"Durch den Quark und Mist der Zeit"

Zum 125. Todestag von Karl Ferdinand Gutzkow (1811-1878)

Von Stephan LandshuterRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stephan Landshuter

In der Nacht vom 15. auf den 16. Dezember 1878 erstickte der von einem Schlafmittel betäubte Schriftsteller und Journalist Karl Ferdinand Gutzkow im Alter von 67 Jahren an einer Rauchvergiftung bei einem Schwelbrand in seiner Frankfurter Wohnung. Vermutlich hatte er im Schlaf eine Lampe umgestoßen. Auf solch merkwürdige Weise endete ein fahriges Leben, das durchzogen war von Schaffensräuschen und Schreibhemmungen, Triumphen und Niederlagen.

An kaum einem Ort hielt er es lange aus, nur von 1847 bis 1861 erlebte er eine beruhigtere Phase in Dresden, in der er sich auf dem Gipfel seines Ruhms befand. Wo er sich auch befand, immerzu verfasste er manisch Texte, wie Karl Frenzel beschreibt: "Immer schreibend, redigierend, heute eine politische, morgen eine ästhetische Frage aufgreifend, an diesem Tage eine Geschichte erzählend, am nächsten ein Drama entwerfend. Beinahe so schnell wie den Ort wechselt er seine literarischen Freundschaften."

Eng verquickt mit dieser besessenen Schreibwut ist auch die vielleicht größte Schwäche dieses Autors: An vielen Stellen ist sein Stil ein wenig wirr. Wer Gutzkow sachlich einschätzen möchte, kommt nicht umhin, die verschlungenen Nebensatzknäuel, in denen sich Gutzkow oft verheddert, und die nicht seltenen Stilblüten zu erwähnen, die den Lesegenuss an so manchem Text schmälern. Dennoch können diese Fehlgriffe nicht das Lebenswerk als Ganzes herabsetzen.

Der Charakter Gutzkows soll schwierig gewesen sein. Man tut ihm gewiss kein Unrecht, ihn in Anlehnung an Spielhagens berühmten Roman eine "problematische Natur" zu nennen. "Glücksunfähig" nannte er sich selbst, und in Verbindung mit seiner fast aberwitzigen Produktivität liegt es nahe, manisch-depressive Züge auszumachen. Diese Anlagen verbanden sich mit exzessiver Streitlust und extremer Überempfindlichkeit. Wenn Gutzkow einmal eine Aversion gegen einen Dichterkollegen entwickelt hatte, was nicht selten der Fall war, dann kannte er in diesen Fehden kein Halten mehr, er stichelte in Artikeln so verletzend wie möglich. Wurde er selbst aber von einer kritischen Rezension betroffen, reagierte er mit heftiger Cholerik und dauernder Verstimmtheit.

Gutzkow hatte eine weitere, mit seiner narzisstischen Egozentrik eng verbundene Anlage: Er litt an einer ausgewachsenen Paranoia. In zwei Phasen seines Lebens kulminierte diese Veranlagung in manifest-psychotischen Störungen. Einmal im Winter 1864/65, als Gutzkow sich am 14. Januar 1865 in einem Gasthaus im hessischen Friedberg nach mehrwöchiger Irrfahrt durch Deutschland zu erdolchen versuchte, und, als man ihn halb verblutet fand, von Feinden und Verfolgern faselte, was einen einjährigen Aufenthalt in einer Klinik zur Folge hatte; ein weiteres Mal vom Sommer 1873 bis zum Frühjahr 1874, als er einen geheimen "Rachebund" zum Zwecke der Vernichtung seiner Person und Diskreditierung seines Werkes ausmachte, der nirgends als in seinem Kopf existierte. Immer sah sich Gutzkow im Zentrum der Aufmerksamkeit, ständig war er umstellt von Feinden. Wie man aber weiß, können Paranoiiker auch reale Feinde haben. Liest man martialische Sätze wie den folgenden aus der Feder des Schriftstellers Gustav Freytag und des Literaturwissenschaftlers Julian Schmidt, dann ist die Frage gerechtfertigt, ob Gutzkows Verfolgtseinsgefühle nicht auch einige ganz vernünftige Ursachen hatten. Diese beiden erklärten Gutzkow-Hasser schrieben im Jahr 1852: "Ein solcher Mann hätte verdient, bis zur Vernichtung verfolgt zu werden."

Um das Bild des Monstrums ein wenig zu relativieren: Ein reines Scheusal kann Gutzkow nicht gewesen sein. Viele Kollegen bemühten sich unablässig um seine Freundschaft. Carl Frenzel gibt einen Hinweis, dass Gutzkow auch von "einer bezaubernden Liebenswürdigkeit" war. Hier zeigt sich die andere Seite eines hypersensiblen Charakters. Das Image des Berserkers verstellte den Blick auf die guten Seiten, weshalb Gutzkows ein wenig selbstmitleidige Klage vielleicht nicht ganz unzutreffend ist: "Meine Tugenden mag keiner, nur meinen Schwächen wird aufgelauert." Dabei übersah er allerdings, dass es sehr wohl auch Kollegen gab, die ihn ganz sachlich einzuschätzen wussten. So meinte Wilhelm Raabe: "Kein Poet, aber ein großer Schriftsteller. Ein Mann, dem man immer mit Erstaunen zusah, wie er sich im Schweiße seines Angesichts durch den Quark und Mist der Zeit arbeitete. Ich bin überzeugt, im Geheimen kommt sich mancher der Lieblinge unseres Publikums selber recht klein vor gegen diesen ruhelosen, keuchenden, mit Allem, was ihm in die Hände fiel, bauenden Menschen!"

Was wird von Gutzkows ausuferndem Werk bleiben? Diese Frage lässt sich heute noch nicht definitiv beantworten, man muss die editorischen Bemühungen des internationalen "Editionsprojekts Karl Gutzkow" abwarten, das sich zum Ziel gesetzt hat, in den nächsten Jahren und Jahrzehnten die Werke Gutzkows in einer Internetedition (www.gutzkow.de) wieder aufzulegen, an die der Münsteraner Oktober Verlag angeschlossen ist, in dem die Printausgaben erscheinen. Das Hochklassige vom weniger Bedeutenden zu sondern, wird noch einige Zeit in Anspruch nehmen - eine angemessene Begutachtung dieses Œuvres hat eben erst begonnen.

Von unbestreitbarer Wichtigkeit sind in jedem Fall die beiden umfangreichen und erzähltechnisch sehr interessanten Romane "Die Ritter vom Geiste" (1850/51) und "Der Zauberer von Rom" (1858-1861). Von den frühen Romanen sind der Erstling "Briefe eines Narren an eine Närrin" (1832) (in einer wunderbaren Neuausgabe soeben im Oktober Verlag erschienen), der Kurzroman "Wally, die Zweiflerin" (1835), für dessen Publikation Gutzkow ins Gefängnis wanderte, sowie die exzellent komponierte "Seraphine" (1837) hervorzuheben. Von den kürzeren Erzähltexten sind der "Sadducäer von Amsterdam" (1834) aus der jungdeutschen Phase, die "Wellenbraut" (1844), die "Selbsttaufe" (1845), sowie "Imagina Unruh" (1847) aus dem Vormärz, sowie "Die Nihilisten" (1853) und die "Diakonissin" (1855) aus dem frühen Realismus bedeutend. Nach dem Suizidversuch von 1865 hatte Gutzkow sichtlich Probleme, an die zuvor gezeigte Qualität anzuschließen. Dennoch wird man das fast völlig verschütt gegangene Spätwerk nach dem "Zauberer" erst neu betrachten müssen. Viel spricht dafür, dass "Hohenschwangau. Roman und Geschichte. 1536-1567" (1867/68) sowie der letzte vollendete Roman "Die neuen Serapionsbrüder" (1877) (ebenfalls als Neuausgabe erhältlich, vgl. die Rezension in literaturkritik.de 04/2003) unter den bislang zu Unrecht vergessenen Werken zu finden sind. Als nächster Band soll "Börne's Leben" (1840) in einer Neuedition erscheinen, die Biographie eines der bedeutendsten Publizisten der 1830er Jahre, die als eine Art Gegenmodell zu Heines umstrittener Börne-Biographie erschien und Ausgangspunkt einer lang andauernden Fehde Gutzkows und Heines war.

Portraits von Zeitgenossen wie diese eben genannte Lebensdarstellung, zusammen mit den Zeitdiagnosen und den Polemiken Gutzkows wären für Kulturwissenschaftler, als die sich heutige Literaturwissenschaftler ja zunehmend begreifen, ein Fundus erster Güte, wenn diese sich nur die Mühe machten, sich dessen zu bedienen, statt zum soundsovielten Mal über den immer gleichen abgegrasten literarischen Höhenkamm zu wandern.