Wo die Gegenwart schweigt beginnt die Vergangenheit zu brüllen

Stefan Beuses neuer Roman "Meeres Stille"

Von Christian SchneiderRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christian Schneider

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es hätte alles so schön sein können. Ein entspannter Urlaub in einem idyllisch gelegenen Landhaus in Südfrankreich. Die Familie komplett beisammen - Vater, Mutter und die beiden fast erwachsenen Kinder. Victor Callner, der Familienvater, wurde soeben zum Feuilletonchef seiner Zeitung befördert und soll sich vor der neuen Herausforderung in Ruhe erholen können. Seine Frau, Helen, genießt den Stolz auf ihren erfolgreichen Mann und ihre intakte Familie. Die beiden Kinder, Frances und David, sind etwas enttäuscht angesichts der Einsamkeit und Abgeschiedenheit ihres Feriendomizils, das wenig interessante Abwechslung verspricht. Zumindest für Frances scheint es aber der ideale Ort, um ihrer Leidenschaft, dem Schreiben nachzugehen.

Der Zusammenbruch der Landhausidylle kündigt sich schleichend an. Und er kommt aus der Vergangenheit. Einer Vergangenheit, von der die Kinder nichts wissen und die die Eltern mit Sorgfalt verleugnen. Die Narben an Helens Hand rühren von einem Unfall her, daran ist nichts geheimnisvoll und nur die beflissene Art, auf die Victor jedem Fremden von dem Unfall erzählt, lässt erahnen, dass vielleicht doch nicht alles so ist wie es scheint.

Mit Sam kommt die verdrängte Erinnerung in die südfranzösische Familienidylle. Sam ist ein hilfsbereiter Mann, aber er ist auch, was zunächst niemand vermutet, ein Teil der Familiengeschichte. Und er ist in der Lage, seine eigene Geschichte zu erzählen, die sich nach und nach mit der unerzählten Geschichte der Familie verwebt. Die Erinnerung an einen verdrängten Teil der eigenen Vergangenheit wird mit Gewalt erzwungen. Am Ende sehen wir die Scherben der intakten Familie.

Stefan Beuse hat seinen neuen Roman sorgfältig komponiert und die Spannung zwischen Erzählen und Verschweigen spielt hierbei die zentrale Rolle. Die Bedrohung aus der Vergangenheit baut sich langsam auf, um schließlich in einen rasanten Showdown zu münden. Doch leider wird die Balance zwischen dem Ausloten der Tiefe der Protagonisten und dem Aufbauen einer krimihaften Spannung zu einer Gratwanderung, die nur ansatzweise gelingt. Der Einbruch der Vergangenheit in die heile Welt gewinnt an manchen Stellen an Spannung, verliert dadurch aber gleichzeitig an Glaubwürdigkeit, es kommt zum Verlust der ansatzweise aufgebauten psychologischen Tiefe zu Gunsten des Effekts. Damit verlieren leider beide - die Tiefe und die Spannung.

Titelbild

Stefan Beuse: Meeres Stille. Roman.
Piper Verlag, München 2003.
185 Seiten, 17,90 EUR.
ISBN-10: 3492045375

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