Problemfall Vater und Tochter

Alexa Hennig von Langes Roman "Woher ich komme"

Von Peter MohrRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Mohr

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das sogenante "Fräuleinwunder" hat uns vor einigen Jahren viele neue Namen auf der literarischen Bühne präsentiert. Die gerade einmal 30-jährige Alexa Hennig von Lange gehört zu deren Protagonistinnen der ersten Stunde. Ihr Debütroman "Relax" löste 1997 ein beachtliches Medienecho aus.

Die Probleme mit dem Erwachsenwerden, Eltern-Kinder-Konflikte und die Familie als prägender Sozialisationsfaktor stehen im Zentrum des neuen schmalen Romans "Woher ich komme". Eine junge Frau (keineswegs zufällig so alt wie die Autorin selbst) erinnert sich an ihre Kindheit und dabei vor allem an die Ferien am Meer. Eine Musterfamilie, so glaubt man nach den ersten Seiten, doch hinter dieser Fassade verbergen sich - je tiefer man in den Text eindringt - gewaltige Mauern des Schweigens. Tochter und Mutter, Vater und Sohn bilden funktionierende Paare; außerhalb dieser Beziehungen gibt es seltsame Berührungsängste, spießig-antiquierte Verklemmtheiten wie aus einer grauen Vergangenheit.

"Die Gefühle und die Bilder habe ich ganz klar selbst erlebt. Die Geschichte allerdings nicht", ließ die in Berlin lebende Autorin in einem Interview wissen. Alexa Hennig von Lange erzählt ihre "Story", als hätte sie stets eine Träne im Augenwinkel. Eine matte Traurigkeit hüllt ihre Protagonistin ein, und die stakkatohaften kurzen Hauptsätze komplettieren die beklemmende Atmosphäre.

Siebzehn Jahre sind vergangen, seit Mutter und Sohn bei einem Badeunfall ums Leben kamen und sich Vater und Tochter als Hinterbliebene in neuen Rollen arrangieren mussten. Doch die junge Frau hat nicht nur diesen Schicksalsschlag aufzuarbeiten, sondern auch ihr gestörtes Verhältnis zum anderen Geschlecht - auch zu ihrem eigenen Vater. "Ein Vierteljahrhundert später sitzen mein Vater und ich auf zwei Sesseln vor einem Kamin und schweigen."

Da gibt es traumatische Erinnerungen an einen gewissen Wallbrecht, der es während der Ferien auf kleine Mädchen abgesehen hatte und der sich an Valerie, einer Freundin der Protagonistin, vergangen hatte. Ob auch die Ich-Erzählerin zu Wallbrechts Opfern zählte, hält Alexa Henning von Lange bewusst in der Schwebe. Die junge Frau arbeitet in jedem Fall heftig gegen dieses Trauma an, ihr Vater (ein gebrochener Mann) kann ihr dabei keine Hilfe sein. Ohnmächtiges Schweigen dominiert die Szenerie, emotionale Kühle als Resultat der Ratlosigkeit. "Mit jedem Tag nehmen die Erinnerungen zu", heißt es zum Ende der Handlung.

Die Urgewalt des Meeres hat die Familie zerstört und eine emotionale Ebbe hinterlassen. Wie einsame Wanderer, die im Watt nicht zueinander finden, entlässt Alexa Henning von Lange Tochter und Vater aus der Handlung.

Titelbild

Alexa Hennig von Lange: Woher ich komme. Roman.
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2003.
128 Seiten, 16,90 EUR.
ISBN-10: 3871344591

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