Die katholische Verzückung

Franzobels "Vergnügungsgedichte" aus dem "Luna Park"

Von Alexander MüllerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Alexander Müller

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Österreich ist schön", heißt eines der ersten Gedichte von "Luna Park", doch man ahnt schon, dass es dem 1967 in Vöcklabruck geborenen Dichter Franzobel damit nicht ganz ernst sein kann. Zu oft hatte er in seinen Romanen und Stücken wie "Scala Santa oder Josefine Wurznbachers Höhepunkt" oder "Phettberg. Eine Hermestragödie" sexuelle Obsessionen bzw. Perversionen anhand anrüchiger Aushängeschilder Österreichs thematisiert, durchgespielt und ad absurdum geführt. Bereits das Cover seiner "Vergnügungsgedichte" könnte indirekt vor Ähnlichem warnen, es zeigt aber zugleich, warum Franzobel ein würdiger Empfänger des in Kassel verliehenen Literaturpreises für grotesken Humor war. Es zeigt eine vollbusige Mona Lisa und entstammt dem Gemälde "Wenn Leonardo nicht schwul gewesen wäre". Weniger belustigt reagieren Österreicher auf den Maler dieses Bildes, Otto Mühl, der als "Wiener Aktionist" neben Hermann Nitsch und Günter Brus mit seiner radikalen, freie Sexualität propagierenden "Aktions-Analytischen Organisation" bzw. der "Kommune Friedrichshof" in den 70er Jahren zum famosen Bürgerschreck avancierte. Dessen gescheiterte Utopie endete Anfang der 90er Jahre schließlich - und nun ist gar nichts mehr lustig - mit seiner Verurteilung zu sieben Jahren Haft wegen Kindesmissbrauchs. Gleichwohl veranschaulichen diese Fakten das Spannungsfeld, in dem sich Franzobels Texte bewegen.

Die Provokation des Katholizismus, die ausschweifende, auch gewalttätige Sexualität, der herbe Dialekt, die Zote und der Witz werden schließlich von Franzobels klangverliebter und spielerischer Wortkunst ergänzt, die nicht zuletzt vom Gesetz der Serie, von Variation, Amplifikation und Assoziation innerhalb verschiedener Texte profitiert. Denn der vor allem für seine Prosa bekannte Autor arbeitet, wenn es um die Lyrik geht, nach eigener Aussage ausschließlich schubweise und in Zyklen. Acht seiner in mehr als zehn Jahren entstandenen Zyklen werden in "Luna Park" vorgestellt. Das anspielungsreiche Textgewebe lässt sich dabei meist einem übergeordneten Thema zuordnen; die Sprache stolpert jedoch absichtlich, missverständlich und scharfsinnig in jede sich bietende Frivolität. So beginnt etwa das Gedicht "Herein" mit dem Anklopfen eines Menschen, der dich "ungeheuer" mag, dann kocht sich ein Schlüssel ein, "mischt mit, / marschiert und will sich Zugang schaffen" und im weiteren Verlauf kann sich jeder denken, was er will.

In eine ähnliche Kerbe schlägt das am wenigsten experimentelle, dafür längste und jüngste Gedicht des Bandes aus dem Zyklus "Zuckerwatte: Die Verzückung", das mir das kunstvollste zu sein scheint. Inspiriert wurde Franzobel, der am Anfang seiner Karriere zunächst selbst als bildender Künstler in Erscheinung trat, von Gian Lorenzo Berninis "Die Verzückung der heiligen Teresa von Avila". Das von diesem bedeutenden Bildhauer des Barock inszenierte Werk zeigt die in Ohnmacht fallende Heilige und einen lächelnden Engel, der sich anschickt, ihr Herz mit einem goldenen Pfeil zu durchbohren. Für Franzobel wird das "die einzig mir bekannte katholische Darstellung eines weiblichen Orgasmus". Sein Gedicht legt diese Interpretation in ständig neuen Ansätzen, durch die Integration eines vorgefundenen Textes und etliche Anspielungen nahe. Dementsprechend wird die Darstellung vom lyrischen Ich in mehrfacher Hinsicht "gelesen": "Es war der Schmerz so groß, so groß, / Daß er mir die erwähnten Seufzer verursachte, / Und die Süßigkeit, die mir diese äußerst heftigen / Schmerzen verursachte / War so übermäßig, so übermäßig, so überübermäßig, / daß man wünscht, es möge nie aufhören, niemals, / Steht in Französisch, Englisch, Deutsch, / Daß man sich in seiner Seele mit nichts anderem als nur / noch mit Gott zufrieden gibt."

Franzobel sollte allerdings an dieser Stelle nicht auf irgendeine sexuelle Obsession in seiner Lyrik reduziert werden. Auch wenn der letzte Zyklus des Bandes en détail den Motiven und Zwängen eines Triebtäters folgt, für den wohl der berühmte österreichische Frauenmörder Jack Unterweger, dem Franzobel bereits seinen "Black Jack"-Monolog gewidmet hatte, Vorbild war, so findet sich im "Luna Park" doch auch genügend reine Sprachspielerei, die ambitioniert und sinnlich das lyrische Vokabular erweitert. Lustvoll werden etwa die sportiven "Leibesübungen", die vollständig 1999 im Bochumer Vapet Verlag erschienen [vgl. Christian Heuer in literaturkritik.de, Ausgabe 6/2000], durchexerziert, damit "Turnübungen in die Syntax kommen", oder es wird gar die Odyssee im "Spiegelkabinett" in origineller Weise durchschritten. Wer sich nicht vor literarischen "Ausflügen zum Perversen" scheut - "solche Sachen haben Sie doch auch schon, / wenn auch nur als Regung, davon / will ich ausgehen, mal in sich gespürt. / Oder vielleicht nicht?" -, vor Albernheiten und neuen Perspektiven, vor unverständlichen Wortkaskaden, der wird an Franzobels "Vergnügungsgedichten" seine helle Freude haben. Die "Vollendung und die Vollstreckung von Ernst Jandl", wie Alois Brandstetter im Klappentext Franzobel apostrophiert, ist der junge Dichter zwar sicher nicht, aber sein ganz eigener, nun poetisch erweiterter Kosmos zwischen Musenpresse, Schinkensünden und Trottelkongress gereicht ihm doch zur Ehre.

Titelbild

Franzobel: Luna Park. Vergnügungsgedichte.
Paul Zsolnay Verlag, Wien 2003.
176 Seiten, 17,90 EUR.
ISBN-10: 3552052755

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