Reisen damals

Egon Schwarz erzählt in "Die japanische Mauer” ungewöhnliche Reisegeschichten

Von Markus BauerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Markus Bauer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Dass das Reisen sich dauernd verändert und heute auch nicht mehr das ist, was es einmal war, ist ein Gemeinplatz, der einem um so leichter über die Lippen geht, je mehr Bücher über die historischen Formen dieses Zeitvertreibs auf den Markt kommen. Dennoch sind die schleichenden Veränderungen der letzten Jahrzehnte kaum anschaulicher und zugleich reflektierter beschrieben worden als in Egon Schwarz' kleiner Zusammenfassung seines lebenslangen Unterwegsseins.

Er benennt das Dilemma des sogenannten Individualtouristen mit den "zwei Seelen in seiner Brust" ganz deutlich: "Auf der einen Seite fühlt er sich durch den Massenandrang der anderen in seiner Bequemlichkeit, in seinem Anspruch auf individuelle Einmaligkeit gestört. Auf der anderen Seite will er alle Bequemlichkeiten genießen, die seinen Aufenthalt im fremden Land angenehm gestalten, gute Straßen, gutes Essen, gute Bedienung, gute Unterkünfte, die eben nur geboten werden können, wenn recht viele seinesgleichen die ökonomische Unterlage dazu bilden." Auf der Grenze dieses Paradoxons hat der jetzt emeritierte Germanistikprofessor aus St. Louis mit Frau und Familie seit dem Ende des Weltkrieges alle Kontinente außer Afrika und der Antarktis bereist. Anfangs noch mit kleinstem Geldbeutel und entsprechend nah dem alltäglichen Leben der Einheimischen, den landesüblichen Fortbewegungsmitteln und Überlebensstrategien. Es wird viel gewandert und hautnah die zwiespältige Nähe und Distanz zu Bewohnern fremder Landstriche erlebt. Insbesondere in den Schilderungen Südamerikas, das Schwarz seit den 1940er Jahren sehr gut kennt, neigt sich das Pendel eher in Richtung abenteuerlicher Erkundungen bisher kaum gegangener Trails. Nicht nur hier gelingen dem Autor Schilderungen von Landschaften und Erlebnissen, die sowohl das unwiederbringlich Vergangene dieser Zeit evozieren als auch die melancholische Lust am Leben außerhalb der heimatlichen regulierten Welt erwecken.

Das liebste Fortbewegungsmittel zwischen den Kontinenten stellte für Schwarz das Schiff dar. Die Reise über die Meere an Bord einer Nussschale oder eines Frachters zog der Autor immer wenn es möglich war, dem Fliegen vor: "Nichts fördert meine Kontemplation mehr, als an der Reeling zu stehen, in den ewig gleichen, ewig wechselnden Gang der Wellen zu schauen, den Blick auf die endlose Weite des Ozeans und des Himmels richten oder dem steigenden, fallenden Horizont zu folgen." Und es ist das Wissen um das Ausgeliefertsein an die Elemente, das auch die Passagiere in einer Situation existentiellen Ausgeliefertsein eher gesprächig macht: "Sie lassen manche Konvention fallen, die sie an Land zum Schutz ihrer gefährdeten Gesellschaftsexistenz und verletzlichen Psyche aufgebaut haben." Der Kontakt mit den Menschen stellte für Schwarz meist einen entscheidenden Mehrwert auf seinen ganz unterschiedlich angelegten Reisen dar. Ebenso kontaktfreudig gestalteten sich seine unendlichen Autoreisen, von denen die erste große eine Durchquerung der USA war, Anfang der 50er Jahre mit einem alten wackligen Gefährt, nachdem zuvor bereits die gleiche Strecke per Autostopp zurückgelegt worden war. Dies war eine völlig andere Fortbewegungsart, als sie die deutschen Autobahnen dem Benutzer aufzwingen und in einem eigenen Kapitel beschreibt der Autor seine Erlebnisse mit der das Pathologische streifenden massenhafte Sucht nach Hochgeschwindigkeit. Der Gegensatz zu den auch nicht nur erholsamen Wanderungen auf Island oder in Neuseeland könnte nicht größer sein.

Das Reisen im allgemeinsten Sinne als freiwillige oder erzwungene Ortsveränderung wurde dem jungen, in Wien geborenen Autor schon früh zur Überlebensform: als Exilant trieb es ihn nach Prag, dann in die Anden, wo er mehrere Länder als Wanderarbeiter durchstreifte. Nur durch eine Reihe schier unglaublicher Zufälle wurde aus dem Flüchtling ein Germanist in den USA (genaueres ist nachzulesen in seiner Autobiographie "Keine Zeit für Eichendorff"), der das Reisen nicht aufgeben konnte oder wollte, wiewohl er jahrzehntelang einen Lehrstuhl in St. Louis innehatte.

Die reflektierte Haltung des Autors seinen Reisen und ihrem möglichen Beitrag zum Verständnis der ,condition humana' gegenüber ist dem titelgebenden Bericht über Japan zu entnehmen. Dort fühlt sich das Ehepaar wie in eine vollkommen unzugängliche Welt versetzt: Nach diversen unvermeidbaren sonderbaren Situationen und dem Gefühl, sich wie komplette Analphabeten nicht nur durch die Zeichen der Stadt, sondern durch die ebenso fremden Zeichen und Gesten der sozialen Kommunikation zu bewegen, stellen sie fest, "dass wir auf Schritt und Tritt durch unser Aussehen und Benehmen, wenn schon nicht Anstoß, so doch Aufsehen erregten." Auch dieses Dilemma des Reisenden schätzt der Autor nicht gering, was durchaus seinem phänomenologischen Zugang entgegenkommt und die verschiedenen Reiseskizzen weit über das Niveau der üblichen Reiseliteratur hinaushebt. Und dazu tragen nicht zuletzt auch die exzellent gedruckten kleinen Farbphotographien der Ehefrau und Reisebegleiterin des Autors bei.

Titelbild

Egon Schwarz: Die japanische Mauer. Ungewöhnliche Reisegeschichten.
Carl Böschen Verlag, Siegen 2002.
198 Seiten, 19,50 EUR.
ISBN-10: 3932212339

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch