Augenweide

Das "große Album der Karl-May-Filme" glänzt in Cinemascope

Von Frank MüllerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Frank Müller

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Dem Rezensenten gehen die Augen auf. Was er da aus dem Schmuckschuber zieht, ist ein Buch, so dick, dass man es im Kino bequem als Sitzerhöhung verwenden kann. Ein Buch im Breitwandformat, genauso opulent ausgestattet wie ein Multiplex. Ein Buch, das seine Seiten, wären sie nicht Faden geheftet, wie eine Leinwand vor einem entrollen würde. Ein Buch zum Sattsehen.

Der farbenprächtige Bildband, dessen soeben erschienener erster Band den Filmen "Der Schatz im Silbersee", "Winnetou 1 und 2", "Old Shatterhand" und "Der Schut" huldigt, zeigt das Karl-May-Universum, wie es im Kino der sechziger Jahre zu bestaunen war. Sie wissen schon, als Pierre Brice und Lex Barker durch die wildromantischen Landschaften Kroatiens ritten, Mario Adorf den Verbrecher mimte und Eddi Arent als Witzfigur durch die Szenerie stolperte.

"Die Karl-May-Filme", schreibt der Herausgeber Michael Petzel, "waren damals der größte Erfolg des deutschen Kinos in der Nachkriegsära." Keine andere Filmserie in Deutschland war so reichhaltig ausgestattet, wartete mit einer so beeindruckenden Zahl namhafter Stars auf und bot so umwerfend schöne Bilder. "Der Schatz im Silbersee" erwies sich an den Kinokassen als wahre Goldgrube und löste hierzulande unter den Jugendlichen ein wahres Karl-May-Fieber aus. Bis zum Jahr 1969 wurden insgesamt siebzehn Filme nach Motiven des sächsischen Fabulierers gedreht.

Aber vernehmen wir in Petzels Album nicht zu wenig kritische Töne, zum Beispiel über die Naivität der Geschichten, das Holzschnittartige und Idealisierte der Charaktere und ihrer Moralvorstellungen? Ich meine nicht. Denn wer das rührend unbefangene Cowboy- und Indianerspiel der damaligen Darsteller heute mit den blut- und gewaltträchtigen Szenen historisch orientierter Hollywood-Spektakel vergleicht, wird vielleicht zu dem Ergebnis kommen, dass sich mit Winnetou und seinen Gefolgsleute die phantasievolleren Abenteuer erleben lassen.

Darüber hinaus kommt dem Band zugute, dass Petzels die bloße Konservierung "unverlierbarer Jugenderinnerungen" hinter sich lässt. Der Band dokumentiert zugleich einen wichtigen Abschnitt der Geschichte der Filmfotografie in Deutschland, denn es war wohl das letzte Mal, dass Filme mit so hohem technischen Aufwand arrangiert, inszeniert und fotografiert worden sind. Anschließend verlor die Fotografie ihre Funktion als wichtigstes Werbemittel für den Film und die triste Herrschaft des Kleinbildfilms begann.

Was der Leser, pardon, der Zuschauer von Petzels Film-Buch zu sehen bekommt, ist also weit mehr, als er selbst durch das Drücken der Standbildtaste am Videorecorder erreichen könnte. Die technisch brillanten, da von den originalen Großformat-Diapositiven abgezogenen Bilder zeigen immer wieder seltene Momentaufnahmen, Bilder mit Unschärfen und Publicity-Fotos. Dann wieder erfährt man hautnah, was das Medium Fotografie vom Film unterscheidet. Dergestalt 'eingefroren' offenbaren die Filmstills die ganze Künstlichkeit der Arrgangements.

Beleuchtung und Make-up wirken daran ebenso mit wie Winnetous peinlich gepflegte Lederkluft und die penibel verwahrlosten Ganoven. Und - zum Totlachen - seine Perücke.

Titelbild

Michael Petzel (Hg.): Das große Album der Karl-May-Filme. Band 1.
Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag, Berlin 2003.
288 Seiten, 99,90 EUR.
ISBN-10: 3896024698
ISBN-13: 9783896024695

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