Istanbul im Alkoholrausch

Christoph Peters Roman "Das Tuch aus Nacht"

Von Irmgard Johanna SchäferRSS-Newsfeed neuer Artikel von Irmgard Johanna Schäfer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Um ihre Beziehung zu retten, fahren Livia und Albin nach Istanbul. Livia ist Photographin, Albin Alkoholiker und Bildhauer. Albins größte Sorge ist die nach dem nächsten Schnaps. In einem ständigen Monolog ist er auf der Suche nach dem Antrieb für sein Leben. Livia: "Warum trinkst du?" Albin: "Es gibt keinen Grund nicht zu trinken." Morgens kann er nichts essen, er braucht erstmal einen Schluck aus seinem Flachmann. Eines Morgens, er will die zwei Möwen auf der Terrasse des Hotels füttern, sieht er den Diamantenhändler Jonathan Miller mit seiner Freundin Irene auf dem Balkon eines benachbarten Hotels. Mit Miller hat Albin letzte Nacht getrunken. Ohne zu sprechen, nur um nicht alleine zu trinken. Der Wind weht "Take care of you, Baby" herüber. Und ein dumpfes Sausen, ein Aufprall lässt Millers Körper vornübersacken, sein Kopf zerschlägt die Galsplatte des Tisches an dem er sitzt, Irene ist erschreckt und flüchtet auf allen Vieren.

Der betrunkene Albin sieht ein Verbrechen, aber keiner sonst hat es gesehen, seine Freundin glaubt schon lange nichts mehr von dem, was er erzählt. Albin steht alleine, er begibt sich auf die Suche nach dem Toten, nach dessen Freundin und nach Hinweisen, wer Miller war, was er vor hatte, warum er getötet wurde. Während Albin sich im Rausch durch Istanbul, Bazare und das Zigeunerviertel bewegt, immer auf der Suche nach der Wahrheit und auf der Suche nach Alkohol, verliebt sich Livia in Jan. Jan ist mit seiner Kunstklasse in Istanbul, sie wollen ein gutes Verhältnis zu ihrem Professor aufbauen und sich von dem Klischee von "1000 und einer Nacht" inspirieren lassen.

Bei seinen Nachforschungen trifft Albin auf den Portier des Hotels, Messut Yeter, in dem Miller erschossen wurde: "Hier hat kein Miller gewohnt, es wohnte auch keiner hier." Aber der alkoholisierte Albin bleibt weiterhin bei der Überzeugung einen Mord gesehen zu haben. In Messut will Albin aber einen Helfer sehen, er folgt seinen Ratschlägen, sucht nach Kontaktmännern und gerät dadurch in einen selbsterzeugten Strudel von Gewalt und Verbrechen. Er wird belauert, von einem zum anderen geschickt, ausgeraubt und keiner nimmt ihn ernst. Nur der Professor der Kunstklasse ist an ihm interessiert. Sie trinken gemeinsam. Zwei Tage vor der Abreise ist Albin verschwunden. Obwohl Livia durch Jan die Kraft gefunden hat sich von Albin zu lösen, sucht sie ihn, geht zur Polizei und fängt durch die abstrusen Wege auf denen sie Ablins Nachforschungen folgt, selbst an, eine Verschwörung, einen Mord an Miller und nun auch an Albin für möglich zu halten. Doch Albin bleibt verschwunden und Livia fliegt zurück nach Deutschland.

Aus zwei Perspektiven wird diese Geschichte erzählt, der eine Erzähler ist Olaf, einer der Kunststudenten, der andere das innere Selbstgespräch Albins. Albins strudelnder, in die Vergangenheit schweifender Ton, steht dem sachlichen Erzählduktus Olafs gegenüber. Albin schaut in seine Psyche, seine Kindheit kommt ihm immer wieder vor Augen, wie ein Träumender, der klar sieht, schwankt er durch Istanbul, auf der Suche nach Beweisen, die er nicht findet. Sein Verschwinden ist geheimnisvoll, deutet sich aber an, ein im Wasser treibender Hund, aufgedunsen, die Gedärme um ihn herum wabernd. Albin wird im letzten Kapitel des Buches ins Wasser gesogen, in eine wunderschöne Tiefe, die ihn mit seiner Vergangenheit und seinem Alkoholismus aussöhnt.

"Das Tuch aus Nacht" erzählt auf verschiedenen Ebenen eine Liebesgeschichte, einen Krimi und den Niedergang eines Alkoholikers. Nie wirkt der Roman plump, seine Figuren sind authentisch, menschlich. Albins Selbstgespräche ziehen den Leser mit in die bunte, pulsierende Stadt Istanbul, ihre Schönheiten, ihren Schmutz und ihre Laster. Die Lüge, das Klischee der verträumten Odalisken, der verführerischen Haarems wird durch die grausame Realität verwischt. Und am Ende bleibt der Leser atemlos zurück, weil das, was er gelesen hat, wahrscheinlich der Phantasie eines Süchtigen entsprungen ist, der gerne log. Und der Mord schwebt noch immer unaufgeklärt über dem Bosporus.

Titelbild

Christoph Peters: Das Tuch aus Nacht. Roman.
btb Verlag, München 2003.
335 Seiten, 21,90 EUR.
ISBN-10: 3442750903

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