Der Schatten des Schwans

Ein Krimi aus Schwaben

Von Martin GaiserRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martin Gaiser

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Der Schatten des Schwans beginnt mit der Erschiessung eines Verwundeten am 27. April 1945. Die Tatwaffe ist eine Walther - ein erster Hinweis auf den Hauptschauplatz dieses Romans: Ulm.

Der Autor Ulrich Ritzel hat mit knapp 60 ein ungewöhnliches Alter für einen Debütanten. Doch er ist beileibe kein Unerfahrener in seinem Metier: Mehr als 30 Jahre war er Reporter, zuletzt fast 14 Jahre in Ulm. Die enormen Erfahrungen aus dieser Tätigkeit, gepaart mit der Vorliebe für Hochkaräter von beispielsweise Eric Ambler, Georges Simenon oder Sjöwall/Wahlöö haben ihn den Schritt zum freien Autor wagen lassen.

Ein Toter Anfang 50, gefunden in einem Steinbruch bei Ulm. Sein Toyota trägt ein Görlitzer Nummernschild. Kommissar Berndorf, eben erst von einer Fortbildung zum Thema DNS-Analyse zurückgekehrt, und seine Kollegin Tamar Wegenast, jung und voller Tatendrang, nehmen die Ermittlungen auf. Etwa zur gleichen Zeit verlässt ein zu lebenslanger Haft Verurteilter die Anstalt Mariazell bei Ravensburg - auf zwar nicht genehmigte, aber originelle Weise. Wolfgang Thalmann heißt der Mann, der nach 17 Jahren Zwangsverwahrung wieder zur Gesellschaft gehören will. Für die Zeit in Freiheit hat er sich einige Erledigungen vorgenommen.

Ein dritter Handlungsstrang führt die Leser auf den vornehmen Michelsberg, wo ein hochbetagter, mit dem Bundesverdienstkreuz dekorierter Professor der Pharmakologie residiert, dessen Vergangenheit im Verlauf der Geschichte arg durchleuchtet wird. Auch seine feine Familie, die Tochter ist Exklusivärztin, der Schwiegersohn angesehener Wirtschaftsanwalt (und die hochnäsige Enkelin weist auf der eigenen homepage auf ihre nächsten Tennisturniere hin), hat es nicht leicht. Denn der Tumult, den der alte Herr vor langer Zeit ausgelöst hat und den man längst unter den edlen Teppich gekehrt wähnte, zieht die wohlgesittete Nachkommenschaft heftig in Mitleidenschaft.

Drei Handlungsstränge hat Ulrich Ritzel souverän verknüpft. Das Ergebnis ist ein Kriminalroman, der weder E noch U, sondern ganz einfach gelungene Literatur mit hohem Unterhaltungswert ist. Sprachlich nüchtern, geschult am Reportagestil, dennoch nicht zu knapp, springt er gekonnt von Szene zu Szene. Er verbindet, langsam an Dramatik und suspense zulegend, Orte, Personen und Zeitebenen. Die Figurenzeichnung ist gelungen: Berndorf, der Melancholiker, der gerne einen Whisky trinkt, an seine Langzeitgeliebte in den USA denkt und die "Essais" Montaignes liest, ist ein kluger, exakt denkender Kommissar und ähnelt Columbo. Er ist kein toller Held, aber ein sympathischer Grantler - mit Gefühl und ohne Bürokratendünkel. Seine Kollegin Tamar ist das Gegengewicht: Sie treibt nach vorne, will Erfolg, hält aber auch in schwieriger Zeit zu ihrem eigenwilligen Chef. Thalmann, der eiskalt planende Ausbrecher, wird in seiner Unbeholfenheit mit der 90er-Jahre-Realität gut beschrieben. Das Buch ist stimmig, die einmal geschaffene Atmosphäre bleibt erhalten. Ritzel versteht es, den Ton, die Bilder, eben die Stimmung beizubehalten.

Titelbild

Ulrich Ritzel: Der Schatten des Schwans.
Libelle Verlag, Lengwil 1999.
285 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 390908186X

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch