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Claudia Benthien und Inge Stefan geben einen Sammelband zu kulturellen Inszenierungen von Männlichkeit heraus

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Valerie, die weibliche Hauptfigur sei "die Männerphantasie an sich" und somit "der Traum jedes ordentlichen Sexisten". Zudem handele es sich um einen Roman, den nur Sextouristen "gut finden" können. Denn da der Ich-Erzähler "unabgesichert" sei und zur "eigenen Stimme" werde, bleibe der Text stets eine "direkte Aussage des Autor-Subjekts", der die Lesenden "in die Affirmation" zwinge. Zwingend ist auch diese Kritik, die Marlene Streeruwitz in einem Fernsehinterview gegen Michel Houellebecqs Roman "Plattform" in Anschlag brachte.

Dennoch dürfte sie unter Literaturwissenschaftlern nicht auf ungeteilte Zustimmung treffen. Zu denjenigen, die Widerspruch erheben würden, dürfte vermutlich Thomas Borgstedt zählen. Diese Annahme legen zumindest seine Ausführungen über ein anderes Werk des französischen Autors nahe. In "Elementarteilchen" nämlich sieht Borgstedt nicht nur eine "Parodie auf den feministischen Diskurs", an der er offenbar Gefallen findet, sondern auch einen "kulturkritisch skandalösen Tabubruch", "provokant und 'politisch unkorrekt'". Womit er für seinen Schützling schon tief in die Kiste der Immunisierungsstrategien gegriffen hat. Bei Houellebecqs "popliterarisch[em]" Buch, so fährt er fort, handele es sich um eine "biologistisch unterfütterte ironische Affirmation" bestimmter "Geschlechterklischees" des "populär-feministischen Diskurses", die wiederum "eine kompensatorische 'Maskerade' de[s] verunsicherten Subjekt[s] durch genuin männliche Attitüden" sei. Womit er - für den Fall, dass die Immunisierungsstrategien nichts fruchten - sicherheitshalber noch auf den Mitleidseffekt für den armen Kerl setzt.

Nachlesen lässt sich Borgstedts Verteidigungsrede - die im übrigen auch Christian Kracht gilt - in dem von Claudia Benthien und Inge Stephan herausgegebenen Sammelband "Männlichkeit als Maskerade", dessen Titel auf Joan Rivieres Aufsatz "Womanliness as a Masquerade" (1929) anspielt und dessen Beiträge kulturelle Männlichkeits-Inszenierungen von der griechischen Mythologie über den Höfischen Roman und die Wiener Moderne bis hin zum "Superhelden-Genre" und der "Star Wars"-Trilogie der Gegenwart beleuchten.

In den Band, der auf eine interdisziplinäre Ringvorlesung aus dem Jahr 2003 zurückgeht, führt Inge Stephan mit einem geschichtlichen Abriss der Theoretisierung von Männlichkeit bzw. von Männlichkeitskonstruktionen ein. Ein Schwerpunkt ihrer Ausführungen bildet eine These Klaus Theweleits, der gemäß Männlichkeit "nur eine 'institutionelle Maske'" sei.

Claudia Benthien, die andere Herausgeberin, führt in einem zweiten einleitenden Beitrag in das Maskerade-Konzept ein und macht darauf aufmerksam, dass der männliche 'Idealkörper' "wesentlich normierter" ist als der weibliche, für den es immerhin ein "Repertoire verschiedener Typen" gibt. Dies, so Benthien, hängt damit zusammen, dass 'Weiblichkeit' als "Devianz des Männlichen" zwar abgewertet wird, zugleich aber "Spielräume des Andersseins" besitzt. Außerdem, so Benthien weiter, hat ein Mann, der sich "Weiblichkeit 'aneignet' und diese anschließend durch eine sekundäre Männlichkeit 'tarnt'", weniger mit einer "gewaltsamen Rivalität" von "sich bedroht fühlenden Frauen" zu rechnen - wie dies umgekehrt der Fall ist, wenn Frauen sich 'Männlichkeit' aneignen - als viel mehr eine beschämende soziale Abwertung" und zwar, wie Benthien betont, durch Männer und Frauen.

Von den sowohl historisch als auch medial weit gefächerten Beiträgen befassen sich gleich zwei mit dem Mythos des Narziss. Walter Erhard untersucht die dreifach wasserverbundene Figur der griechischen Mythologie in dreifacher Form. Jedoch nicht als Sproß einer Verbindung zwischen einem Flussgott und einer Nymphe, der in einer Quelle sein Schicksal findet, sondern als Figur der Selbsterkenntnis, der poetischen Stilisierung und des pathologischen Narzissmus, eine Trias, die - so Erhard - einen "ikonographischen Bezugspunkt" zur Geschichte der Männlichkeit bildet. Rüdiger Steinlein befasst sich hingegen mit dem Typus des Narziss als "'selbstbezügliche[m]' Mann" und als "Antitypus zu 'hegemonialer' Männlichkeit" im frühen Werk Hugo von Hofmannsthals. Dabei stellt Steinlein den "Männlichkeitstypus" des Narziss auf erhellende Weise dem des Perseus gegenüber. Beide, so Steinlein, sind mit zwei "grundlegenden Spiegelungsmodi" verknüpft. Während Perseus seinen Schild als Spiegel benutzt, um dem tödlichen Anblick der Medusa zu entgehen, sie zu besiegen und sie zu töten, dient Narziss die spiegelnde Wasserfläche der - narzisstischen - Selbstbeobachtung. Hieran ließen sich Überlegungen zur geschlechtlichen Konnotation der beiden 'Spiegel' anschließen, dem 'männlichen' Schild und dem 'weiblichen' Wasser. Steinlein tut dies nicht, sondern konzentriert sich im Weiteren ganz auf den Typus des Narziss. Denn, so stellt er fest, der "Spiegelungsmodus" des Perseus "gehört ausdrücklich nicht zum Handlungsrepertoire der jungen Männer Hofmannsthals".

Titelbild

Claudia Benthien / Inge Stephan (Hg.): Männlichkeit als Maskerade. Kulturelle Inszenierungen vom Mittelalter bis zur Gegenwart.
Böhlau Verlag, Köln 2003.
340 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 341210003X

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