Thönnigsen ist überall

Elmar Schenkel vergleicht Pfeil und Bumerang

Von Eva LeipprandRSS-Newsfeed neuer Artikel von Eva Leipprand

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Was ist der Unterschied zwischen einem Pfeil und einem Bumerang? Der Pfeil fliegt ins Weite, voran wie die Zeit. Der Bumerang kehrt an den Ursprung zurück, wobei er den Werfer ganz empfindlich treffen kann, wie die Bewohner von Thönnigsen aus eigener leidvoller Erfahrung wissen.

Im Prolog auf die Bogensehne eines Hunnen gelegt, fliegt der Pfeil, mit etwas Mystik aufgeladen, als Leitmotiv durch Elmar Schenkels Roman und durch die achthundertjährige Geschichte von Thönnigsen. Das Dorf liegt bei Soest in Westfalen, woher auch der Autor stammt; der Frisörsalon Schenkel im Nachbardorf deutet Verbindungen an. Wenn man einen Pfeil um die Welt schießt, dann kehrt auch er zum Ursprung zurück, wie ein Bumerang oder wie Jens Nieder, der Ich-Erzähler, der nach langer Abwesenheit und Reisen um die Welt nach Thönnigsen zurückkehrt, um die Erbschaft eines verstorbenen Onkels abzuholen - eine Kiste, nichts weiter, mit merkwürdigen Utensilien.

Diese Utensilien sind Wegweiser in die Dorfgeschichte, die nun langsam Gestalt annimmt, in Jens´ Erinnerungen und in den Erzählungen von Dorfbewohnern; ergänzend blättert Jens in der Dorfchronik. So kommen auch die Leute von damals zu Wort, aus der aufregenden Zeit kurz nach dem Krieg, als das Dorf unter der Anleitung des kreativen Spinners Hendryk Wilte erst der Leidenschaft des Bumerangs und dann des Bogenschießens verfiel. Es spricht der Malermeister Wilte selber, der Schwärmer mit den von Kriegserfahrungen glimmenden Augen, dazu seine geduldige Frau Gerti und der überaus praktische und ziemlich weit vom Stamm gefallene Sohn, der bei aller Liebe zum exzentrischen Vater doch lieber Versicherungskaufmann wurde. Die Thönnigser haben damals mit so viel Begeisterung das Bogenschießen trainiert, dass sie die Deutsche Meisterschaft gewannen. Beim Versuch, den Erfolg zu wiederholen, schossen sie allerdings übers Ziel hinaus und wurden disqualifiziert. Schuld daran war Lambert, ein zwielichtiger Scharlatan mit dem Geruch des Bösen, der die Bogenschützen faszinierte und hypnotisierte und dabei auf nichts anderes aus war als auf Macht, Geld und Sex. Es folgt dann noch ein Ausflug in die Reine Kunst des Japanischen Bogenschießens. Echte Japaner treffen in Thönnigsen ein und versetzen die Bewohner mit ihrer Kunst in ehrfürchtiges Staunen. Ihr Besuch war allerdings, das stellt sich später heraus, nichts weiter als ein Promotion-Trip für den japanischen Autoexport.

Das Bogenschießen ist mehr als eine Sportart, es ist eine Philosophie, eine Lebensweise. In diese Richtung gehende Leseerwartungen erfüllt der Roman durchaus, allerdings mit behutsamer Ironie, so daß der Text durchweg etwas von der Leichtigkeit des dahinschwirrenden Pfeils behält. Elmar Schenkel, Anglist in Leipzig und für seine Prosa mit mehreren Preisen ausgezeichnet, erzählt seine höchst originelle Geschichte in einer ebenmäßigen, griffigen Sprache, durchsetzt mit Auszügen aus des kauzigen Hendryk Wiltes selbstgebasteltem "Traktat über den Pfeil" und Splittern aus Eckermanns Gesprächen mit Goethe, wo es ebenfalls ums Bogenschießen geht. Nicht ganz zu begreifen ist Jens Nieders langjährige Abhängigkeit von einem Weltuntergangsguru. Dem ist er von Indien nach Amerika gefolgt, um nun festzustellen, dass er einem Scharlatan wie Lambert nicht mehr entgegenzusetzen hatte als die Thönnigser. Jetzt aber, nach seiner Reise in die Vergangenheit, will er das Richtige vom Falschen trennen. Jetzt weiß er, dass es nicht auf die große Erleuchtung ankommt, sondern "auf die kleinen Entscheidungen, die kleinen Leute, die kleinen Käfer und Insekten."

Titelbild

Elmar Schenkel: Der westfälische Bogenschütze. Roman.
Verlag Reiner Brouwer, Stuttgart 1999.
160 Seiten, 12,80 EUR.
ISBN-10: 3925286241

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