Amerika als diabolisches Idyll

Philip Roth geht ins Detail

Von Sebastian DomschRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sebastian Domsch

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Philip Roth ist ein alter Mann. Auf mehr als zwanzig Romane kann er zurückblicken, ein ertragreiches schriftstellerisches Leben, in dem er mehr als einmal seine Leserschaft zu schockieren und in gegensätzliche Lager zu spalten vermochte. Vor allem seine frühen Bücher, etwa "Portnoys Beschwerden", provozierten so sehr, daß manche Kritiker sie als pornographische Machwerke konsumierten.

Sein neuer Roman "Amerikanisches Idyll" wird keine derartigen Reaktionen auslösen. Der angry young man ist alt geworden und wohl auch etwas ruhiger, was jedoch nicht heißt, daß er nicht mehr über beißenden Witz verfügt sowie über den Willen, dort zuzubeißen, wo es weh tut. So erzählt er uns die Geschichte der Familie Levov und ihrer Versuche, den amerikanischen Traum zu verkörpern, als unweigerliche Fahrt in den Abgrund.

Wie auch in anderen Romanen spielt Roth mit dem autobiographischen Element seines Romans, mit der Beziehung zwischen dem Autor Philip Roth, dem Erzähler-Schriftsteller Zuckerman und den Levovs. Die Geschichte der Levovs ist Teil einer komplexen Erzählsituation, in der sich der wohlbekannte Autor Nathan Zuckermann an Seymour Levov, genannt "der Schwede", erinnert, den er als Jugendlicher bewundert hat und der ihm als alter Mann wieder begegnet. Fasziniert von diesem späten Wiedersehen versucht Zuckerman, die Geschichte des Schweden zu erfahren, bis er an einen Punkt gerät, an dem er davon abläßt, über Informationen Dritter ein nachprüfbares Bild zu zeichnen, über verschiedene Möglichkeiten von Levovs Lebensweg zu reflektieren: Von diesem Augenblick an erfindet er eine dieser Möglichkeiten, beschreibt diese Lebensfiktion, als wäre sie real, und macht sie zur Wirklichkeit, die bis zum Ende nicht mehr angezweifelt werden kann.

Ohne die Attitüde des avantgardistischen Schriftstellers unterläuft Roth die Form des Romans zugunsten der literarischen Form der Idylle, die uns hier in ihrer aktualisierten Form begegnet. Gemäß der Tradition der Idyllendichtung beschreibt Roth eine bukolische Schäferszenerie, die jedoch nur in der Vorstellung des Schweden existiert: Er identifiziert sich im Bewußtsein seines größten Glückes mit der amerikanischen Legende Johnny Apleseed. Der ständige Kontrast zu diesem Landleben ist das großstädtische Newark, dessen Straßen, Häuser und Unterführungen vor allem in den Schilderungen der blutigen Rassenunruhen von 1967 dämonischen Charakter annehmen. Der eigentliche Zusammenbruch des amerikanischen Traumes allerdings wird personifiziert durch Levovs Tochter, die sich dem unbedingten Anpassungswillen ihres Vaters durch eine ebenso unbedingte Abgrenzung entgegenstellt. Diese Haltung bringt sie schließlich dazu, ein Postamt in die Luft zu jagen. Das läßt die Idylle des Vaters zusammenbrechen; zurück bleibt nur noch die Idyllenmalerei, die erstarrte Fassade der glücklichen amerikanischen Familie.

Bewundernswert ist die Detailversessenheit und die akribische Genauigkeit, mit der Roth sein Pastiche malt. Sie macht die Besessenheit des Erzählers, mit der er die faszinierende Gestalt des Schweden umkreist, eindrucksvoll und wahrhaftig. Eine Frage aber bleibt: Wieviel amerikanische Idyllenmalerei, auch wenn sie im Dienste der Demontage eben dieser Idylle steht, erträgt der nicht-amerikanische Leser? Stellenweise geht Roth zu weit - er geht zu sehr ins Detail. Wenn er sowohl Vater als auch Sohn Levov in ihrer Begeisterung für das Handschuhgewerbe beschreibt, läßt er auch uns bis in die unbedeutendsten Einzelheiten an diesem Gewerbe, seiner Geschichte und seinen Fachbegriffen teilhaben. Und von welchem anderen Roman kann man schon lernen, was ein "Schichtel" ist?

Titelbild

Philip Roth: Amerikanisches Idyll. Roman.
Carl Hanser Verlag, München 1999.
464 Seiten, 23,00 EUR.
ISBN-10: 3446195017

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