Berlin glitzert am Boden

Lesebühnen-Texte von Jochen Schmidt aus der "Chaussee der Enthusiasten"

Von Daniel BeskosRSS-Newsfeed neuer Artikel von Daniel Beskos

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Berlin, irgendwo am Prenzlauer Berg, vielleicht auch Friedrichshain. Da kann man jemand sein, der irgendwie alles und nichts tut, ein bisschen rumhängt, schreibt, trinkt, vorliest, feiert. Geld kommt immer irgendwo her, mal mehr, mal weniger, mal auch etwas später. Man wurschtelt sich halt so durch.

Das, so scheint es, ist die Welt, von der Jochen Schmidt in der Sammlung "Seine großen Erfolge" erzählt, die jetzt im Deutschen Taschenbuch Verlag erschienen ist. Schmidt, 1970 in Ostberlin geboren, ist Mitbegründer der wöchentlichen Lesebühne "Chaussee der Enthusiasten" in Berlin-Friedrichshain. "Wie ich mal mit einem Teenie-Idol beim Trommel- und Baß-Tanzabend war", "Punker sein trotz Fassonschnitt" oder auch "Britneys Revenge" heißen die kurzen Geschichten, in denen er von den unterschiedlichsten Aspekten des jungen Großstadtlebens erzählt. Viele Erinnerungen aus Schmidts Kindheit und Jugend in der DDR finden sich darin; eine seiner Textreihen heißt "Schriftsteller, die ich gerne wäre" (featuring Bernhard, Goethe, Kafka, Beckett); manchmal macht er auch einfach eine Liste, wie zum Beispiel "Wo ich schon alles gekotzt habe" (nämlich an zehn verschiedenen Orten).

Als "quietschvergnügtester Vertreter der neuen deutschen Literatur" wurde Jochen Schmidt schon einmal bezeichnet, und ohne Frage sind seine Texte lustig und unterhaltend. Und natürlich ist sein Protagonist, den Schmidt mit viel Understatement als leicht vertrottelt, leicht unsicher, leicht verliererhaft dastehen lässt, eine durchaus sympathische Figur, der manchmal eben doch der eine oder andere kleine Erfolg gelingt und der man anmerkt, dass sie - wenn auch recht unkritisch - doch mit offenen Augen durch die Welt geht. Schmidt legt Wert auf Details, wenn auch meist auf solche, die einen hohen Wiedererkennungswert fürs Lesungs-Publikum mit sich bringen und der Geschichte so den Erfolg garantieren. Leider wird man beim Lesen nie ganz das Gefühl los, dass die Figur Schmidt immer etwas naiver wirken soll, als es der Autor Schmidt in Wahrheit ist.

Man merkt, dass der eigentliche Anspruch an diese Texte nicht mehr ist, als dass sie vor Publikum funktionieren, für einen lustigen Abend sorgen und dabei durchaus auch einkalkuliert ist, dass sie bald (also in der folgenden Woche) vergessen und durch neue ersetzt werden. Pointenorientiert und vortragsabhängig sind die Geschichten, manchmal kann man sich den lesenden Autor und das gespannte Publikum um ihn herum gut vorstellen, manchmal scheint es, kann der ein oder andere Text überhaupt nur so wirken und eben nicht beim Selbstlesen. Und gerade weil Schmidt im Vorwort selbst darauf hinweist, dass er eigentlich strikt trenne zwischen Lesungstexten und Veröffentlichungstexten, bleibt beim Lesen des vorliegenden Bandes etwas Ratlosigkeit: Wozu - sieht man einmal vom Wunsch Schmidts, seine Lesungstexte endlich einmal platzsparend und gebündelt vorliegen zu haben - ist dieses Buch denn nun entstanden, wenn den Texten selbst nicht wirklich der Anspruch auf Dauerhaftigkeit innewohnt? Ein nettes Buch, ein netter Zeitvertreib, aber doch leider nicht mehr. Auf der Lesebühne aber sicher ganz groß.

Titelbild

Jochen Schmidt: Seine großen Erfolge. Erzählungen.
dtv Verlag, München 2003.
176 Seiten, 12,00 EUR.
ISBN-10: 3423243546

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