Eine kleine Geschichte über die Liebe

Sue Gee hat mit dem Roman "Samstag in Camden" ein feines, wenn auch romantisches Buch über die vielen Arten der Liebe geschrieben

Von Anette MüllerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Anette Müller

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Am Ende seines Lebens ist William nicht viel geblieben: ein leeres Haus, das er nur noch mit dem Dackel seiner verstorbenen Frau teilt, ein zur Routine gewordener Tagesablauf und wöchentliche Trips zum Flohmarkt im Londoner Stadtteil Camden Town, wo er mit einer Freundin antikes Porzellan verkauft. Vom Leben erhofft er sich nur noch die Erfüllung zweier Wünsche: dass er seinen geisteskranken Sohn Matthew nach Hause holen darf und dass sich sein unerklärbar stark unterkühltes Verhältnis zu seiner Tochter Claire erwärmt. William weiß um die offensichtliche Unmöglichkeit der Realisierung dieser Wünsche und füllt seine Tage mit kleinen Ritualen: spazieren gehen mit Dackel Danny, gewissenhaft Zeitung lesen, klassische Musik hören, Matthew besuchen und auf Besserung hoffen - was nicht einfach ist für einen Mann, der ein Leben lang glaubte, dass er jedes Problem zu lösen im Stande ist und dass am Ende alles gut wird.

Allein durch das große, leere Haus wandernd, muss William sich eingestehen, dass wenig gut geworden ist: Seine Frau starb an Krebs, seine Tochter bleibt trotz aller Bemühungen abweisend und Matthew hat sich in seine kleine sprachlose Welt zurückgezogen, in die nichts von der Außenwelt eindringt.

Mitten in Williams stilles, menschenverlassenes Leben platzt schließlich, wenn auch nur brieflich, Williams entfernte Verwandtschaft, die eher schlecht als recht auf dem Land lebt und ein sehr skurriles Hundemuseum betreibt. Williams altjüngferliche, verschrobene Cousinen bitten den weltgewandten Liebhaber der schönen Künste, die junge Janice, die die zahllosen Hunde der beiden Cousinen ausführt und in einem Café jobbt, bei sich aufzunehmen, bis sie Fuß in London gefasst hat. Trotz seiner Bedenken, einen wildfremden jungen Menschen bei sich wohnen zu lassen, gibt William schließlich nach und überlässt Janice nicht nur Claires altes Zimmer, sondern räumt ihr auch einen Platz in seinem Leben ein. Im Gegenzug führt ihn die junge Frau unbewusst ins Leben zurück.

"Samstage in Camden" ist eine wunderbar leise erzählter Roman über die Liebe und die tausend verschiedenen Formen, in denen sie sich äußert - William begreift langsam, dass es auch nach dem Tod seiner Frau in Ordnung ist, für jemand anderen Liebe zu empfinden, auch wenn diese Liebe nicht so verzehrend sein mag wie die alte Liebe, und entdeckt in der treuen Freundin Buffy schließlich eine wunderbare Partnerin. Und er begreift auch, dass es nichts mit Liebe zu tun hat, sich an die Vergangenheit zu klammern. Langsam lernt William, der seinen Sohn um jeden Preis geheilt sehen wollte, dass er Matthew loslassen und seine Krankheit akzeptieren muss, wenn er ihn liebt.

Es ist aber nicht nur die romantische Liebe, die Sue Gee thematisiert, sondern auch die dunkle Seite der Liebe, die Matthews Krankheit ausgelöst hat. Man mag der englischen Autorin Sue Gee stellenweise einen etwas zu großzügigen Griff in die Romantikkiste vorwerfen, aber dennoch ist es ihr gelungen, den Roman über das Thema der romantischen Liebe hinauswachsen zu lassen, erzählt sie doch von der Liebe zwischen Freunden und innerhalb von Familien. Dabei macht sie deutlich, wie nachhaltig diese Beziehungen auf das Leben einwirken - sowohl William als auch seine Kinder und seine Cousinen sind allesamt Produkte gescheiterter, versagter oder verlorener Liebe. Dabei bleibt die Erzählweise immer leicht, ohne trivial zu werden, und komisch, ohne lächerlich zu sein.

Williams Cousinen Mary und Sophie in Shropshire sind herrlich skurril und allein schon durch ihre Berufswahl - sie leiten das wohl einzige Hundemuseum der Welt und geben Dutzenden herrenlosen Hunden ein Zuhause - absolut unverwechselbar, aber Gee verleiht ihrer Komik stets einen bitteren Beigeschmack, ist doch die extreme Eigenwilligkeit der Schwestern das Ergebnis versagter Liebe.

"Samstage in Camden" ist ein fein gewobener, sehr souverän erzählter Roman, der die Geschichte einer ganzen Familie erzählt, nicht nur die Geschichte Williams, der eine neue, wenn auch andere Liebe findet, und nicht nur die von Janice, die sich heillos in Matthew verliebt. Hier hat jeder einzelne seinen Kampf mit den verschiedensten Arten der Liebe zu kämpfen und nicht immer die Aussicht auf den Sieg.

Titelbild

Sue Gee: Samstage in Camden. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Anne Ruth Frank-Strauss.
Piper Verlag, München 2003.
344 Seiten, 14,00 EUR.
ISBN-10: 3492270530

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