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Ein literarhistorischer Rundgang fokussiert die Bedeutung optischer Instrumente

Von Christoph Schmitt-MaaßRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christoph Schmitt-Maaß

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Sinnliche Wahrnehmung und kognitive Erkenntnis liegen nicht nur vom Gegenstand vorliegender Untersuchung her nah beieinander: Ulrich Stadler verknüpft seine Untersuchungen mit einem wissenschaftlichen Programm. Das neueste Buch des Zürcher Literaturprofessors ist an einem virtuellen Museum orientiert; mehr noch: Die inhaltliche Gliederung folgt dem Konzept eines Museumsrundgangs. Diese Idee ist ebenso originell wie passend, widmet sich die Untersuchung doch der Darstellung optischer Instrumente (von der Brille über die Camera obscura bis zum Mikroskop) in der Literatur (von Joseph Addisons "Spectator" bis Arnold Zweigs "Erziehung vor Verdun").

Stadlers Buch erhebt nicht den Anspruch eines (ab)geschlossenen wissenschaftlichen Werkes, sondern versteht sich vielmehr als Fundus, aus dem andere schöpfen sollen. Ein Fundus in zehn Kapiteln, die - laut ausdrücklicher Anweisung des Verfassers - nicht in abgedruckter Reihenfolge zu lesen seien, sondern durch "reges Hin- und Hergehen", gleichsam en passant zu lesen sind. So sind denn auch die zusammengetragenen Ausstellungsstücke Fundsachen aus einer langjährigen Lehr- und Forschungstätigkeit.

Unter diesen Prämissen ist die Vielfalt des zusammengetragenen Materials und seine motivgeschichtliche wie auch literaturhistorische Aufbereitung um so beeindruckender - und um so kurzweiliger. Gelegentlich wünscht man dem Verfasser einen etwas eloquenteren Stil, der die (beängstigende) Fülle des Materials vergessen macht und den Leser mehr unterhält denn belehrt. Die mehr oder minder ausführlichen Exkurse zu satirischen (Grimmelshausen, Swift) oder therapeutischen Momenten (Goethe, Hebel) von Literatur vermittels optischer Instrumente sind erhellend und stellen durchaus einen ernstzunehmenden Grundstock für weitere Erkundungsgänge dar. Durchgehend konsequent bleibt Stadlers Blick auf den Moment der Erkenntnis gerichtet, wie es sich - vermittelt durch optische Instrumente - in den Literaturen der Jahrhunderte darstellt. Diese inhaltliche Ausrichtung und die Anordnung und Vernetzung des Buches ermöglichen ein nonlineares, quasi räumliches Lektüreverhalten. Damit erlaubt Stadler dem Leser, mit ihm und gleichsam durch seine Augen hindurch einen Weit- und einen Fernblick auf den Gegenstand zu werfen - sowohl den mikroskopischen als auch den teleskopischen Blick zu wagen.

Titelbild

Ulrich Stadler: Der technisierte Blick. Optische Instrumente und der Status von Literatur.
Übersetzt aus dem ## von ##.
Verlag Königshausen & Neumann, Würzburg 2003.
402 Seiten, 39,00 EUR.
ISBN-10: 3826023919

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