Texter müssen verrückt sein

Armin Reins' "Mörderfackel" oder Wie Kreative sich selbst sehen

Von Frank MüllerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Frank Müller

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wenn Armin Reins durch ein deutsches Printmagazin blättert und auf den Seiten mit der Reklame hängen bleibt, überfällt ihn gähnende Langeweile. Das liegt an der wohltuend einschläfernden Wirkung deutscher Werbung. Natürlich könnte der Mann jetzt sein Haupt auf einem der Zeitungsstapel zur Ruhe betten. Oder er macht tabula rasa und fegt das Papier gewordene Mittelmaß mit einer kräftigen Armbewegung vom Tisch. Um Platz zu schaffen für etwas Bahn brechend Neues.

Genau das hat sich der Creative Director und Gründervater der Texterschmiede Hamburg vorgenommen. In seinem Lehrbuch "Die Mörderfackel" stellt er die 30 erfolgreichsten Werbetexter in Deutschland vor die Aufgabe stellt, ganz normale Reklame zu analysieren und sie in aufregende, überraschende und unterhaltende Werbung zu verwandeln. Also Vorhang auf für das Andere, Neue, Noch-nie-Dagewesene?

Der Gähnreflex verstummt - zur Hälfte. Denn was nach den mehr oder weniger messerscharfen Analysen der Werber für schlecht befunden wurde, wird auch von Reins' schneller Einseiftruppe längst nicht in allen Fällen wirklich besser gelöst. Die angekündigten Beispiele für kraftvolle und effiziente Kommunikation überzeugen nur teilweise, die unflätige Mandel-Exhibition zwischen den Magazin-Seiten weicht allenfalls einem indignierten Hüsteln hinter vorgehaltener Hand.

Das hat durchaus auch etwas Tröstliches. Selbst hoch bezahlte Top-Kreative können beim Identifizieren der Kernbotschaft danebenliegen oder eine Bildidee verhunzen. Auch sie sind nicht davor gefeit, der Gravitation des Mittelmäßigen zu erliegen. Und, anstatt der angekündigten Kassenfeger, Entwürfe abzuliefern, die Kritiker Reins, stünden sie nicht in seinem eigenen Buch, sicher ohne mit der Wimper zu zucken überblättert hätte.

Aber das Spannende an diesem Buch ist nicht der hier ausgerufene Ideen-Wettstreit. Das Spannende sind die Interviews. Sie eröffnen einen tiefen Einblick in die Befindlichkeiten und den Seelenzustand von Kreativen.

Fast alle Werbetexter sind in ihren Beruf irgendwie hineingerutscht. Durch Zufall. Oder, weil sie damals die Leute mit den Pferdeschwänzen so sexy fanden, die sich in bequemen Stahlrohrmöbeln in Loft-Etagen lümmelten. Ihr Motto lautet "Learning by Doing und Abgucking". Die meisten Werbetexter sind nicht ausgebildete Autodidakten, die deswegen umso genauer wissen, was sie den Leuten verdanken, die sie in den Job einführten. Weil diese Mentoren die Arbeit des Texters noch dazu entscheidend mitgeprägt haben, werden die oft in den Rang von Vordenkern, Gurus, Meistern und Säulenheiligen erhoben.

Ist der Texter erst fest in einer Agentur sozialisiert, geschieht etwas Kosmisches. Er beginnt sich vom unschuldigen weißen Zwerg in ein alles verschlingendes schwarzes Loch zu verwandeln. In etwas, das ständig nach neuem Input verlangt und aufsaugt, sich einverleibt, was nicht niet- und nagelfest ist. Der Texter weiß, dass nur, was vorne reingeht, hinten wieder rauskommen kann. Seine Inspirationsquelle heißt Neugier.

Mit anderen Worten: Kreative müssen sich für Gott und die Welt interessieren. Überall sperren sie Augen und Ohren auf, sei es im Supermarkt, im Kino, in der U-Bahn, in der Kneipe oder beim Streit mit der Freundin. Vielleicht auch auf dem Elternabend in der Waldorfschule. Texter sind Alles-Bespitzeler. Um ihren ungeheuren Bedarf an Kommunikation zu decken, missbrauchen sie jeden und alles als Kreativpartner: die Brötchenfrau genauso wie den Busfahrer oder den Imbissbudenbesitzer an der Ecke.

Unverzichtbar für den Stoffwechsel der Ideen ist auch das Lesen. Es gibt zwar keine Bestseller-Liste für Texter, aber jeder Texter kann zahlreiche Bücher nennen, die ihn inspiriert haben. Dazu gehört die Bibel ebenso wie "Bild", "Titanic" oder Bücher von Douglas Adams, Mickey Mouse und Max Goldt.

Selbst die so genannte Hochliteratur wird mit werblicher Coolness umgarnt: "Wenn der Reich-Ranicki über die Greatest Hits der Literatur schreibt, dann würde ich da mal reingucken und mir einen Überblick verschaffen, wie die Jungs und Mädels denn so schreiben in der Literatur." (Kay Henkel) Überhaupt: Was sollen Texter eigentlich nicht lesen? Schließlich lassen sich auch Angler- oder Gartenzeitschriften ausbeuten. Die Antwort darauf ist schnell gefunden: Lies alles, nur keine Bücher über das Texten!

Manchmal hat dieser Beruf etwas Gespenstisches. Texter dealen mit unsichtbarer Ware. Ihre Köpfe sind Archive voller Anekdoten, Erfahrungen, Selbsterlebtem und Fremdangelesenem. Aus diesem Kaleidoskop der Welt schöpfen sie ihre Geschichten. Texter sind ruhelos, denn als Verhängnis droht ihnen das Abreißen der Assoziationsketten. Sie müssen sich auf das, was sie an Rohstoffen emotional und rational abrufen können, blind verlassen können. Und da kreative Prozesse zwar steuerbar, aber nicht planbar sind, ruft das Schreiben immer wieder Unsicherheiten auf den Plan und macht die Arbeit des Texters zu etwas Belastendem.

Der Strauß bunter Ideen, mit dem der Texter hausieren geht, seine Empfänglichkeit für völlig disparate Themen, erfordert offenbar auch ein bestimmtes psychisches Setting. "Werbung", meint Veronica Claßen, "ist ein Auffangbecken für Leute, die sich nicht auf ein Gebiet konzentrieren können."

Viele Texter stellen fest, dass es kaum mehr faktische Unterschiede zwischen den zu betextenden Produkten gibt. Unterschiede gibt's nur darin, wie viel Mut ein Kunde besitzt - dann zählt nur der emotionale Vorteil, den man besetzt. Darum heißt Texten auch integrieren können. Welche "Religion" steht hinter dem Produkt? Denn es geht nicht nur darum, was ein Artikel kann, sondern welches Heilsversprechen er transportiert. Der Texter muss das Verborgene und Unverbrauchte aus einer Tütensuppe herauskitzeln können. Oder aus einer Damenbinde. Er muss suchen, wo andere nicht suchen, etwas so ausdrücken, wie es noch nie geschrieben wurde, und das in vielleicht nur vier, fünf Worten.

Dazu Frank Dopheide: "Sie [Texter] haben Lust an Worten und Gedanken. Sie können sich stundenlang hinsetzen und an einem Satz drehen, noch mal ein Wort, noch mal ein Satzzeichen ändern. Es macht ihnen Spaß, mit Worten unterschiedliche Tonalitäten auszuprobieren, denselben Inhalt fünfmal anders zu schreiben, um dann zu entdecken, was der richtige Weg ist. Ihr größtes Talent aber ist es, dass sie Worte mit Gefühlen verbinden können."

Auch Leidensfähigkeit ist gefragt. Texten ist harte Arbeit, die oft bis an die Schmerzgrenze geht. Das kann in den schlimmsten Fällen ausarten, wie es ein berühmter Maler vorgemacht hat: "Gute Leute schneiden sich ein Ohr ab." (Andreas Grabarz) Genauso schmerzhaft wie die metaphorische Selbstverstümmelung ist das Wegwerfen einer fertigen Idee. Wer hier keinen marathonösen Durchhaltewillen besitzt und es nicht erträgt, den liebevoll zur Welt gebrachten Einfall von Kundenberatern, Marktforschern, Vertriebsleitern und Media-Experten gleich wieder zunichte gemacht zu sehen, bleibt auf der Strecke.

Das schreit nach Entlastung. Nach Techniken, durch die sich das kreative Milieu stabilisieren lässt. Die meisten Texter haben bestimmte Strategien entwickelt und nähern sich ihrem Gegenstand, indem sie Rituale pflegen. Wie zum Beispiel ein leerer Schreibtisch, gespitzte Bleistifte, Herumlaufen oder Musik hören. Und sie betonen einhellig, dass es maßgeblich zum inneren Gleichgewicht beiträgt, sich in der raren Freizeit mit Leuten zu umgeben, die nicht in der Werbung arbeiten.

Bei höchst unterschiedlichem Charakter schlummert irgendwo ein gemeinsamer Nenner der Texterpersönlichkeit, der sich meist in Sätzen wie den folgenden artikuliert: "Ich kenne bei Textern viele Wahnsinnige." - "Irgendwo sind sie alle Tiere." - "Auf eine liebenswürdige Art beknackt" - "Ein guter Texter muss einen an der Waffel haben. Er muss, so wie ein guter Psychologe oder Psychiater, bis zu 50 % bekloppt sein." Wer das romantische Klischee der Verwandtschaft von Genie und Wahn allzu ernst nimmt, befindet sich allerdings auf dem Holzweg. So sind Texter nicht, so wollen sie sich gerne sehen.

Aber lassen wir ihnen das mit peinlicher Akkuratesse gepflegte Selbstbild des "Durchgeknallten" und wenden uns lieber dem von Hubertus von Lobenstein beschriebenen Verdacht zu, die Kreativenseele leide unter einem Mangel, den sie durch die Behauptung des Gegenteils ausgleicht: "Sie [Texter] haben eine unheimliche Eitelkeit, entweder auf stille oder auf laute Art. Und sie wollen alle ganz doll geliebt werden. Die Aufzucht und Pflege von Star-Textern ist mit das Schwierigste, was es gibt. Art Directoren haben so was Durchgeistigtes. Die pflegen sich irgendwie selber. Die haben auch meist eine lange Lehre hinter sich. Eine Ausbildung. [...] Aber Texter kommen ja meist von heut auf morgen dahin."

Das kompensatorisch übersteigerte Selbstbewusstsein des Kreativen birgt allerdings die Gefahr des Zynismus: Hier die coolen Werber, da draußen die spießige Konsumentenwelt, die betrogen werden will.

"Ein guter Texter", schreibt Gregor Wöltje, "ist im Herzen auch Proll, versucht Dinge so wahrzunehmen, wie andere Menschen sie wahrnehmen." Und Reinhard Siemes und Holger Jung begrüßen allen Ernstes die Tatsache, das Deutschland wirtschaftlich und gesellschaftlich im Niedergang begriffen sei, als Hoffnungsschimmer am Firmament: Nur in solchen Zeiten entstehen schließlich kreative Werbeideen. Da möchte man zu den oben annoncierten 50 Prozent gerne noch etwas zugeben!

"Die Mörderfackel" kultiviert den Nimbus des Kreativen mit den brillanten Ideen. Das Buch stellt Spiegel auf, in denen sich die Macher nur allzu gerne darstellen. So erfährt man einiges, was man mit eingeschaltetem Entzerrer wohl nicht erfahren hätte. Liest man die Interviews selektiv, lernt man eine Menge über die Entstehung kreativer Prozesse.

Titelbild

Armin Reins: Die Mörderfackel. Das Lehrbuch der Texterschmiede Hamburg.
Verlag Hermann Schmidt, Mainz 2002.
272 Seiten, 49,80 EUR.
ISBN-10: 387439607X

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