Zu dieser Ausgabe

Es spricht für die Popularität eines Philosophen, wenn sein Werk in seinen wichtigsten Maximen Volksmund wird, 'Geflügeltes Wort' und Leitidee des eigenen Lebens. Für Immanuel Kant gilt dies zweifellos, dessen Werk und Person bis heute Gegenstand kreativer Forschung sind, und nicht nur der Forschung, sondern auch der Literatur. Die Neue Frankfurter Schule beispielsweise, von der man weiß, dass sie sich um Adorno und die Frankfurter Schule verdient gemacht hat, zählt neben Schopenhauer auch das geistige Zentrum Königsbergs, eben Kant, zu ihren Heroen: "Eines Tags geschah es Kant, /daß er keine Worte fand. // Stundenlang hielt er den Mund, / und er schwieg - nicht ohne Grund. // Ihm fiel absolut nichts ein, / drum ließ er das Sprechen sein. / Erst als man zum Essen rief, / wurd' er wieder kreativ, // und er sprach die schönen Worte: / 'Gibt es hinterher noch Torte?'" (Robert Gernhardt)

Die Kreativität, die Kants Philosophie ausgelöst hat, ist bis heute ungebrochen, und wenn Wortkunst neben die Gedankenkunst tritt, so beweist dies nur die epochale Bedeutung eines Denkers wie Kant. Wir sind Rolf Löchel daher sehr dankbar, dass er den Kant-Schwerpunkt zum 200. Todestag angeregt und betreut hat. Wie gewohnt gut vorbereitet und durchgeführt, versammelt er Kant-Lektüren erlesenster Provenienz, die deutlich machen, wie sehr unser Denken und unsere Kultur noch immer auf Kants Vorgaben gegründet sind.

Der zweite Schwerpunkt widmet sich der Werbeindustrie, die keinen besonders guten Ruf in unserem Lande genießt, und die vor allem dann in die Kritik gerät, wenn ihre Funktion, zwischen einer kulturellen und einer kommerziellen Zielsetzung zu vermitteln, allzu offensichtlich wird. Frank Müller lädt uns ein, dieses Verhältnis differenzierter zu sehen. Der von ihm angeregte, verantwortete und größtenteils erarbeitete Schwerpunkt zum Verhältnis von Werbung, Konsumverhalten und Medien ist umfassend angelegt und hat uns selber durch die Vielfalt seiner Aspekte überrascht. Werbung, so wird hier deutlich, hat sowohl einen kreativen wie einen kompensatorischen, einen künstlerischen wie einen konsumistischen Aspekt, und sie gibt Aufschluss über den Wandel unserer Gesellschaft, indem sie Geschichten erzählt und dabei in ihren ästhetischen Lösungen die ethischen Paradigmenwechsel mit abbildet. Indem Müller zeigen kann, wie sehr Werbung auf Kunst und Gesellschaft zurückwirkt, macht er uns auch bewusst, dass Werbung inzwischen sehr viel akzeptierter ist, und dass, wenn sie heutzutage unter Ideologieverdacht gerät, sehr viel profunder über sie gestritten wird.

In einem Projekt mit Schülern der 13. Klasse hat Rainer Paasch-Beeck Literaturkritiken zu deutschsprachigen Neuerscheinungen erarbeitet, die wir im dritten Schwerpunkt dieser Ausgabe vorstellen. Wir danken allen Betreuern für die wertvollen Anregungen und für die Zeit und die Kompetenz, die sie in literaturkritik.de investiert haben.

Lutz Hagestedt