Sind Festschriften patriarchalisch?

Ingrid Bennewitz' mediävistische Studien "Lektüren der Differenz"

Von Ines HeiserRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ines Heiser

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Ingvild Birkhan gewidmete Band "Lektüren der Differenz" wird auf die Frage nach der Patriarchalität oder Nicht-Patriarchalität des Mediums der Festschrift keine abschließende Antwort geben können und es steht zu vermuten, dass Ingrid Bennewitz' dahingehende Bemerkungen in dem dazugehörigen Vorwort wohl eher als ironische Überspitzung zu verstehen sein dürften. Während die Analyse, ob Festschriften einem bestimmten Geschlecht oder einer speziellen Ideologie zuzuordnen seien nicht einfach ist - das Genre der Festschrift ist zwar historisch betrachtet in einem als durchaus patriarchal zu charakterisierenden Umfeld entstanden, doch sind ihre Absicht als "akademisches Geschenk" und ihr Wesen als Ehrung für ein erfolgreiches wissenschaftliches Lebenswerk wohl nicht als per se patriarchalisch einzustufen - ist eine andere ihrer Eigenschaften überdeutlich und nicht von der Hand zu weisen: Festschriften sind heterogen. Sie enthalten Beiträge verschiedenster Autoren, vereint durch die Absicht, den Jubilar bzw. die Jubilarin mit einem wissenschaftlichen Beitrag ehren zu wollen. Eine thematische und qualitative Einheit der Beiträge ergibt sich unter diesen Voraussetzungen nicht zwingenderweise.

Die Aufsätze in dem vorliegenden Band lassen sich alle unter dem weiten Oberbegriff der ,gender studies' fassen, sind also durch einen ähnlichen wissenschaftstheoretischen Hintergrund verbunden, obwohl sie aus durchaus unterschiedlichen Fachgebieten wie der mediävistischen Philologie, der Kunstgeschichte und der Philosophie stammen.

Dabei zeigen die Texte in ihrer Gesamtheit auf anschauliche Art und Weise wo Grenzen, Vor- und Nachteile der wissenschaftlichen Gender- und Geschlechterforschung liegen: Ihre Fragestellungen sollen dazu führen, dass sich Lücken im Wissenschaftsgebäude füllen, dass ein "richtigeres", komplexeres Bild der Sachverhalte entsteht und diese nicht mehr durch "einseitig männliche" Perspektiven verzerrt werden. Sie können jedoch auch selbst zu einer solchen unerwünschten Perspektivenverzerrung beitragen, wenn sie den jeweiligen Forschungsgegenstand in seinen Gegebenheiten und vor allem in seiner Zeitgebundenheit nicht ernst nehmen.

Das Entstehen positiver Effekte durch die Bearbeitung von Frauen- und Geschlechterfragen prägt mehrere der hier zusammengestellten Aufsätze. So ergibt sich aus Klaus Duewels Untersuchung über runenkundige Frauen im Frühmittelalter eine Neueinschätzung und -beschreibung der Schriftkultur im Frühmittelalter. Diese präsentiert sich entgegen älterer Forschungsmeinungen gerade nicht als reine Männerdomäne, sondern zeigt sich stark von Frauen bestimmt, denen Duewels Ergebnissen zufolge eine äußerst aktive Rolle innerhalb der merowingischen Runenkultur zugeschrieben werden muss.

Ähnliches gilt für Hartmut Kuglers Beitrag "Emanzipation im Negativ. Etude über Novellenheldinnen und Zähmungsversuche". Seine Untersuchung über die Entwicklung der Novellistik während des Übergangs vom Mittelalter zur Frühen Neuzeit zeigt, dass sich auch in den Novellen die gesellschaftlichen Änderungen, die sich in Bezug auf das Frauenbild während dieser Epoche ergeben, deutlich abzeichnen. Wünschenswert wäre hier eine Überprüfung seiner Thesen an weiteren Texten, da Kugler die von ihm vermutete Entwicklung hin zu einer immer größer werdenden Dominanz der Männer und zunehmender Geringschätzung den Frauen gegenüber an nur drei Novellen beispielhaft darlegt; eine erschöpfende Behandlung des Themas, die gleichzeitig einen Überblick über alle relevanten Novellen böte ist jedoch in dem hier gegebenen Rahmen kaum zu leisten.

Der Beitrag von Melitta Weiss-Adamson zum Thema "Male Pregnancy in German Literature" bietet ebenfalls einige interessante Aspekte: Das Schwankmotiv des schwangeren Mannes wird in seinen medizinhistorischen und religiös-moralischen Implikationen umfassend ausgeleuchtet und ermöglicht wichtige Schlussfolgerungen in Hinblick auf Mentalität und Geschlechterbeziehungen im Mittelalter und der Frühen Neuzeit.

Nicht alle Aufsätze in dem vorliegenden Band können jedoch für sich beanspruchen, in dieser Art gelungen und informativ zu sein. Deutlich negativ fällt auf Dietmar Peschel-Rentschs Beitrag "Ein schönes Spiel mit dem schönen Ich, oder ,Ne je ne soi se je oi pere'. Renaut de Beaujeu: Le Bel Inconnu". Bei seinem Aufsatz handelt es sich trotz des beeindruckenden Titels um wenig mehr als eine abkürzende Nacherzählung des "Bel Inconnu", die anstelle von wissenschaftlichen Erläuterungen mit ironischen Zwischenbemerkungen versehen ist. Zwar mag es einiges geben, was aus heutiger Sicht an mittelalterlichen Artusromanen unverständlich oder - nach Peschel-Rentschs Überzeugung - lächerlich wirkt; dennoch muss hier die Frage gestellt werden, inwieweit eine solche Perspektive der wissenschaftlichen Erkenntnis dienen kann. Sicherlich ist es möglich, Fragen der Geschlechterforschung an einen höfischen mittelalterlichen Text heranzutragen und ihn damit als Quelle fruchtbar zu machen - man sollte dabei jedoch nicht Genrekonventionen und historischen Hintergrund völlig außer Acht lassen. Einem Artusroman, dessen Vorlage französische Feenerzählungen sind, mangelnde Logik vorzuwerfen, weil er sich nicht an die tiefenpsychologischen Muster anpassen lässt, die Peschel-Rentsch hier gern hineininterpretieren würde und ihm des weiteren fehlende Originalität anzukreiden, eben weil er den Genrekonventionen entsprechend konstruiert wurde und damit natürlich auch Bekanntes wiederholt und variiert, ist wenig sinnvoll.

Wenn sich damit vor dem Hintergrund dieser großen Heterogenität ein Gesamtfazit für die vorliegende Festschrift ziehen lässt, so ist dies wohl die grundsätzliche Ambivalenz von Medien und Methoden: So wenig sich das Medium der Festschrift an sich als patriarchalisch oder nicht patriarchalisch charakterisieren lässt, so wenig sagt die Anwendung eines aktuellen Forschungsansatzes über die Qualität einer Forschungsarbeit. Konventionelle akademische Praktiken - wie etwa die Herausgabe von Festschriften - können ebenso dazu dienen, eine der Befürworterinnen der genderorientierten Forschung zu ehren, wie sie dazu eingesetzt werden können, patriarchalische Verhältnisse an den Universitäten aufrechtzuerhalten; ,gender studies' können wichtigen Wissenszuwachs erbringen, können aber auch eine dem Forschungsgegenstand angemessene Auseinandersetzung durch unpassende und unangemessene Polemik verhindern.

Titelbild

Ingrid Bennewitz (Hg.): Lektüren der Differenz. Studien aus Mediävistik und Geschlechtergeschichte Gewidmet Invild Birkhan.
Peter Lang Verlag, Frankfurt a. M. 2002.
246 Seiten, 31,70 EUR.
ISBN-10: 3906767485

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