Der Begriff als Polemik

Ein Kommentarband zu Carl Schmitts "Begriff des Politischen"

Von Kai KöhlerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Kai Köhler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ist Carl Schmitt nächst Macciavelli die Skandalfigur unter den Theoretikern der Politik, so ist der "Begriff des Politischen" das Skandalbuch unter Schmitts Schriften. Geheime Bibel einer Neuen Rechten, gilt der Text Linken und Liberalen, bei aller mehr oder minder geheimen Faszination, als jenes präfaschistische Werk, das Feinderklärung und -vernichtung destruktiv ins Zentrum des politischen Denkens stellte. Dass der vom offiziellen akademischen Leben nach 1945 ferngehaltene Schmitt für die Neuauflage 1963 im Vorwort behauptete, es sei ihm nur um die "Encadrierung eines unermeßlichen Problems" gegangen und er habe sich eigentlich nur an den kleinen Kreis der "Kenner des jus publikum Europaeum" gewandt, war kaum glaubwürdig und verstärkte eher noch die Einschätzung, man habe es mit einem mühsam getarnten faschistischen Kriegsprogramm zu tun.

So recht der Verdacht hat, so unrecht hat er. Tatsächlich verfolgte Schmitt in der Schlussphase der Weimarer Republik ein politisches Ziel. Durch die Uminterpretation der Weimarer Verfassung wollte er deren demokratische Elemente bagatellisieren und einer Diktatur des Reichspräsidenten vorarbeiten. Das war noch kein Nazismus; Schmitt konnte noch nicht wissen, dass der Reichspräsident Hindenburg 1933 auf Hitler und die NSDAP setzen würde. Ebensowenig musste es auf Krieg zielen, wenn Schmitt das Feindverhältnis zu demjenigen Besonderen erklärte, was das Politische von anderen Lebensbereichen abgrenzt. Krieg ist bei Schmitt eine mögliche Erscheinungsform der Feindschaft, nicht aber Notwendigkeit oder gar Ziel des Politischen.

Angesichts der Gerüchte, durch die "Der Begriff des Politischen" auch fortlebt, ist eine genaue Lektüre des Textes nützlich. Reinhard Mehring, bereits Autor einer Einführung in Schmitts Denken, hat zu diesem Zweck eine Gruppe von meist einschlägig ausgewiesenen Wissenschaftlern für einen "kooperativen Kommentar" zusammengestellt. Dabei stützen sich die Autoren auf die heute erhältliche Ausgabe; sie enthält im wesentlichen die zweite Fassung von 1931/32, ergänzt durch ein Vorwort, eine Reihe von "Corollarien" und acht Seiten "Hinweise", d. h. Fußnoten und weiterführende Gedanken. Eine erste Aufsatzfassung des Werks bleibt am Rande des Kommentars, ebenso wie die nach Schmitts Wendung zum deutschen Faschismus 1933 entstandene Ausgabe.

Die Aufteilung unter den Autoren ergibt sich aus Schmitts Gliederung. Dabei werden die einzelnen Abschnitte mit durchaus unterschiedlichem Gestus vorgestellt. Zwar finden sich nirgends Zeilenkommentar und Sacherläuterungen. Das Spektrum der Herangehensweisen ist jedoch breit und reicht von Aufsätzen, die sich eng an der Abfolge von Schmitts Argumentation orientieren, bis hin zu Arbeiten, die mehr vom Gesamttext und dessen Einordnung in Schmitts Denken handeln als von der einzelnen Textpassage. Wenn überhaupt, so wäre allenfalls von einem additiven Kommentar zu sprechen als von einer Kooperation, die es offenkundig nicht gab.

Es sind hier keine Verteidiger Schmitts am Werk. Recht deutlich werden in fast allen Abschnitten die Unstimmigkeiten benannt, die Schmitt durch seine Kunst der suggestiven Formulierung zu überdecken wusste. Das betrifft vor allem den Versuch des Konservativen Schmitt, seine Position den Gegebenheiten der späten Weimarer Republik anzupassen, ohne sie im Grundsatz aufzugeben: Anders als in der Erstfassung von 1927 verabschiedet Schmitt den Staat aus seiner für das Politische konstitutiven Funktion. Dass nun "Volk" ins Zentrum rückt, bedeutet freilich keine radikale Änderung. Das Volk bei Schmitt akklamiert eine Ordnung, die schließlich dann doch durch die Führung in einen Zustand der Kriegsbereitschaft gebracht wird. Allein der Staat ist in der Lage, Krieg zu führen. Gelegentliche Verweise auf die Politizität von Bürgerkriegen, naheliegend angesichts der inneren Kämpfe in der Endphase der Weimarer Republik, bleiben randständig. Eine nicht nationale Linke, die Schmitt positiv rezipieren will, muss über Schmitts Denken hinausgehen.

Das gilt auch für Schmitts Feindbegriff, der merkwürdig unklar bleibt. Hier rächt sich, wie Schmitt einerseits in begrifflichen Wesenheiten denkt. Indem er das spezifisch Politische herauszustellen sucht, will er es von anderen Lebensbereichen unterscheiden. Daher ist sein politischer Feind nicht ökonomischer Gegner oder moralisch böse, sondern einfach "in einem besonders intensiven Sinne etwas anderes und Fremdes." Damit führt sein existentieller Ansatz zu einer eigentümlichen Beliebigkeit, was denn auf diese Weise zum Fremden oder Anderen erklärt wird. Gerade durch diese Leerstelle aber war es möglich, dass Schmitt 1933 vom Anhänger einer Präsidialdiktatur zum Parteigänger der NSDAP umschwenken konnte und gleichwohl mit Erbitterung darauf reagierte, wie man nach 1945 auf seine definitorischen Dienste offiziell verzichtete. Offiziell; denn inoffiziell übte er über seine Schüler und Bekanntschaften auch auf die Staatstheorie der Bundesrepublik bedeutenden Einfluss aus. Noch das Prinzip der "wehrhaften Demokratie", die wirkliche oder angebliche "Radikale" verfolgt, beruht auf dem Muster Schmittscher Feinderklärung.

Das wiederum zeigt, andererseits, die äußerste Flexibilität der Denkmuster Schmitts. Er selbst weist Begriffen einen "polemischen Sinn" zu; stets haben sie für ihn "eine konkrete Gegensätzlichkeit im Auge", sind sie "an eine bestimmte Situation gebunden". Offenbar war Schmitt ein politischer Taktiker, der je nach den aktuellen Erfordernissen seine Begriffe zu formen verstand. Das aber verweist auf Wert und Grenze einer immanenten Kritik an Schmitts Ansätzen. Sie zeigt die Brüchigkeit der so poliert scheinenden Definitionen und zerstört so falschen Glanz, das ist ihr Wert. Indem aber viele von Mehrungs Autoren einfach nur ideologiekritisch auf Unstimmigkeiten verweisen, entgeht ihnen das Changieren von Schmitts Denken zwischen Wesens- und Funktionsbestimmung. Indem die eigentümliche Produktivität dieses Denkens derart aus dem Blick gerät, ist die Grenze solcher Ideologiekritik markiert.

Bei aller notwendigen Distanz wäre demgegenüber auch zu fragen, ob der böse Blick heute noch etwas lehren kann. Eine solche Rettung versuchen nur Markus Llanque und Herfried Münkler in ihrer Analyse von Schmitts Vorwort zur Neuausgabe 1963. Dabei zeigen sie, dass Schmitts These, Krieg und Feindbestimmung lösten sich vom Staatlichen ab, heute sogar an Plausibilität gewonnen hat. In weiten Teilen der Welt erodiert überhaupt Staatlichkeit; für die Bewohner solcher Regionen ist Feindbestimmung nicht das Raunen eines aktionsgierigen Akademikers, sondern alltägliche Überlebenspraxis, die Schmitt als Beobachter ins Recht setzt. Weniger überzeugend ist hier freilich die Kategorisierung verschiedener Feindtypologien, die Schmitt im nämlichen Jahr 1963 in seiner "Theorie des Partisanen", einer "Zwischenbemerkung zum Begriff des Politischen", entwickelte. Sein Versuch, unter gewandelten Bedingungen den antikommunistischen Kampf von 1932 fortzuführen, erfasste schon nicht die sowjetische Politik kurz nach der Kuba-Krise, die statt entgrenzter Feinderklärung auf Friedenssicherung zielte. Erst recht widerlegten die Jahre der Entspannungspolitik Schmitts Antibolschewismus; Entgrenzter Kriegsraum sind weite Teile der Welt erst, seitdem die Sowjetunion zerfiel.

Schwach ist in Mehrings Kommentarband die Auseinandersetzung mit Schmitts Antiliberalismus. Sicher ist der Liberalismus überlebensfähiger als Schmitt 1932 suggerierte. Das freilich widerlegt seine Kritik nicht. Der deutschnationale Schmitt hasste die Westmächte, denen Deutschland die Demokratie nachäffte - so schien es ihm 1932. Man braucht den reaktionären Impetus gegen demokratische Freiheiten und Völkerbund nicht mitzuvollziehen, um zu erkennen, mit welcher Klarsicht Schmitt noch heute beliebte liberale Stategien demontiert: Das unvermittelte Nebeneinander von Pathos des ethischen Liberalismus und der Gewalt des wirtschaftichen Liberalismus, der darauf pocht, der aufgezwungene Vertrag müsse erfüllt werden, ist Kennzeichen gerade der Gegenwart. Dabei geht nicht, wie Schmitt befürchtete, das spezifisch Staatlich-Politische verloren. Zwar entzieht im Innern der Staat, indem er immer mehr Bereiche gesellschaftlich, d. h. unpolitisch regeln lässt, der demokratischen Mitwirkung der Bevölkerung den Boden; doch setzt er nach außen, wie das Beispiel Jugoslawien lehrt, jeder widerständigen Regung die historisch beispiellose Militärmacht seines Apparats entgegen.

Schmitt verkennt hier, was er polemisch erkennt. Er entlarvt die Gewalt der Völkerbund-Liberalen der zwanziger Jahre und muss verdrängen, dass hier eine spezifisch liberale Staatlichkeit ihr machtpolitisch erfolgreiches Wesen treibt. Sein Verkennen ist dem Versuch geschuldet, eine Widerstandsposition aufzubauen, die freilich dem noch viel Schlimmeren, dem deutschen Faschismus, eine Grundlage bietet, an dem, mehr noch, der Antisemit Schmitt sich beteiligte. Solche Widersprüche erlauben gültige moralische Kritik und verweisen gleichzeitig auf die Antinomien der Gegenwart. Diese zu klären, trägt Schmitts Scheitern mehr bei, als die meisten seiner Kommentatoren erkennen.

Titelbild

Reinhard Mehring (Hg.): Carl Schmitt Der Begriff des Politischen. Ein kooperativer Kommentar.
Akademie Verlag, Berlin 2002.
250 Seiten, 24,80 EUR.
ISBN-10: 3050036877

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