Verunglückter Querpass

Der Band "Querpässe” versammelt Beiträge zur "Literatur-, Kultur- und Mediengeschichte des Fußballs”

Von H.-Georg LützenkirchenRSS-Newsfeed neuer Artikel von H.-Georg Lützenkirchen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Beiträge im vorliegenden Sammelband "Querpässe" gehen zurück auf eine internationale Konferenz, die vor der letzten Fußball-Weltmeisterschaft 2002 in Japan und Korea vom Goethe-Institut in Seoul veranstaltet wurde. Sie beschäftigen sich mit dem "kulturwissenschaftlichen Gegenstand ,Fußball'" als Objekt "nationaler Kodierungen" sowie seinen "symbolischen Inszenierungen im gesamten Spektrum der Medien, von Fernsehen über Zeitung bis hin zur institutionalisierten Kunstliteratur."

"Fußball, kulturwissenschaftlich!" fordert forsch der einführende Titel, doch werden diesem Anspruch nur wenige Beiträge dieses Bandes gerecht. Es zeigt sich einmal mehr, dass der Fußball als Objekt wissenschaftlicher Erkundungen höchst sperrig ist. Was nicht zuletzt die im Abschnitt "Literatur" zitierten Schriftsteller, in deren Werken der Fußball auftaucht, wissen: Immer ist da eine ironisierende Distanz spürbar. Seien es die intellektuellen Liebhabereien eines Ror Wolf oder E. Henscheid oder auch die in letzter Zeit vorherrschenden Hauruck-Satiren à la "Kotzbrocken" von Jürgen Roth (vgl. literaturkritik, 7/2003) - sie gründen letztlich in einer Leidenschaft für den Fußball. Gerade als Satire, als welche die literarischen Beiträge in einem Aufsatz des vorliegenden Bandes verstanden werden, erhalten sie ihre Kraft aus dieser Zuneigung. Zugleich vermeiden sie so eine steife Ernsthaftigkeit, die sich aus unangemessenen Überfrachtungen, wie der nachfolgenden des Schriftstellers Thomas Brussig ergibt: "Fußball", so sagt er in einem Gespräch über das subversive Moment des Fußballs in diesem Band, "ist von seinem ganzen Wesen her ein Protestsport. Wenn ich wütend bin, latsche ich gegen eine Bierbüchse, die rumliegt." Hinter solchen Aussagen verbirgt sich ein gewisser feuilletonistischer Reiz, doch können - zumindest in diesem Band - ernsthafte Belege für derartige Fußballinterpretationen nicht angeführt werden.

In den Inszenierungen des Fußballs ist die subversive Komponente erst recht nicht mehr zu finden, wenn das Fußballspiel zum "Fernsehfußballspiel" geworden ist. Dieses, so der Sportsoziologe Gunter Gebauer in seinem Beitrag "Fußball als Spiel der symbolischen Macht" schaffe ein Ereignis, das mehr sei als das eigentliche Fußballspiel: Interviews, Kommentare, Analysen gehören für den Zuschauer zum Spiel. "Das Fernsehfußballspiel ist ein Spiel mit eigenen Regeln" und "ein Spiel des Wissens und des Deutens." Doch stimmt das wirklich? Nimmt am Ende der Zuschauer das ganze mediale Drumrum nicht doch nur in Kauf bis das eigentliche Spiel beginnt, auf das sich dann sein ganzes und einziges Interesse richtet? Dann wäre das Fernsehfußballspiel tatsächlich kaum mehr als eine lästige Zeitverschwendung mit pseudoaufklärerischem Gestus. Denn hinsichtlich des Anspruchs auf "Wissen und Deuten" ist das Fernsehfußballspiel nur der Beleg für den Verlust ernsthafter Sportberichterstattung im Fernsehen.

Am Ende beschränkt sich das "Wissen und Deuten" des Fernsehens bestenfalls auf die von Ko-Kommentatoren und Experten immer wiederholte Bestätigung von Stereotypen und Klischees, wie das von den ,Fußball-arbeitenden' Deutschen und den ,Samba-tanzenden' Brasilianern. Der Literatur- und Medienwissenschaftler Rolf Parr analysiert in seinem Beitrag "Der mit dem Ball tanzt, der mit dem Bein holzt, der mit sich selbst spielt" derartige "Nationalstereotype". Nicht das "Sportspiel" Fußball erfindet solche Zuweisungen, sondern das "dazugehörige Gesellschaftsspiel mit seinen mal antizipatorischen mal nachgetragenen Narrativierungen und Diskursivierungen".

Dennoch lassen sich über derartige Stereotype nationale Identifizierungsmuster finden. Sie sind gebunden an die "nationalen Erinnerungsorte" (Gudrun Pfisterer), jene Mythen und Legenden, mit denen sich der Sport ins kollektive Gedächtnis einer Nation einprägt. So leistete "Das Wunder von Bern" 1954 einen wichtigen Beitrag zur Selbstfindung der nazi- und kriegsbelasteten Menschen in Deutschland. Dass 50 Jahre später ein gleichnamiger Film zu faszinieren weiß, bestätigt die Bedeutung des Fußballereignisses als nationaler Erinnerungsort.

Von hier ist es nicht weit bis zur nationalen Repräsentationsinstanz. In seinem Beitrag "Nationale Repräsentation durch Fußball" führt Gunter Gebauer aus, wie der Fußball in dieser Funktion an die Stelle des Theaters getreten ist. Lassen wir die Frage, ob das Theater in Deutschland jemals nationale Repräsentationsinstanz gewesen ist, außen vor, bleiben Vergleichbarkeiten. So inszeniert der Fußball eine "soziale Motorik", die als typische Eigenschaft die jeweiligen "nationalen Stile" (z. B. ,deutsche Tugenden') ausmacht. Sie werden "auf dem Rasen als Formen von Körper-Inszenierungen aufgeführt" und entfalten im zeitgeschichtlichen Kontext einen neuen Deutungskontext. Als Beispiel für einen "Stil und Mythos des Fußballs in Deutschland" führt Gebauer die Nationalmannschaft der frühen 70er-Jahre an: "Im Rückblick kann man heute die Spielweise der deutschen Mannschaft als eine körperliche Inszenierung des Schwungs und der Talente einer Jugend ansehen, die nicht mehr von der Elterngeneration gegängelt sein wollte".

Und "warum nun gerade Fußball?" Das Geheimnis besteht zum einen in der Dramatisierung des Lebens um "das Haus, das Heim" (will sagen: das Tor) und zum anderen in der Auslieferung an das Prinzip Zufall, den Fuß. Und da ist es dann wieder, das subversive Element: "Bis heute bleibt das Spiel mit dem Fuß ein stummer Protest gegen die gelehrte Kultur, die ihr ganzes Gebäude auf Begriffen, Differenzierungen und Zeichen aufbaut." Offen bleibt, ob die besseren Protestler die filigranen Techniker oder die plumpen ,Rumpelfüßler' sind ...

Titelbild

Ralf Adelmann / Rolf Parr / Thomas Schwarz (Hg.): Querpässe. Beiträge zur Literatur-, Kultur- und Mediengeschichte des Fußballs.
Synchron Wissenschaftsverlag der Autoren, Heidelberg 2003.
183 Seiten, 24,80 EUR.
ISBN-10: 3935025580

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