Schatten der Vergangenheit

Robert Wilsons Krimi "Tod in Lissabon

Von Nadine BoulannouarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Nadine Boulannouar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Berlin 1941: Klaus Felsen, ein erfolgreicher 32-jähriger Industrieller, wird entführt. Der aus einer Bauernfamilie stammende Schwabe begreift im Berlin der Nazizeit schnell, dass seine berufliche Zukunft nicht mehr in den eigenen Händen liegt und die Abhängigkeit von SS-Gruppenführer Oswald Lehrer immer größer wird. So beginnt das erste Kapitel von "Tod in Lissabon", dem fünften Roman des britischen Autors Robert Wilson, ausgezeichnet 2003 mit dem Deutschen Krimipreis.

Wilson pendelt zwischen zwei Zeitebenen, deren Zusammenhang erst am Ende des Romans vollständig aufgelöst wird: Zum einen fokussiert er Deutschland zur Zeit der Nazi-Diktatur. Klaus Felsen wird für ein heikles Unterfangen rekrutiert: Der für seine Fremdsprachenkenntnisse bekannte Charmeur bekommt den Auftrag, nach Lissabon zu reisen und dort die größtmögliche Menge an Wolfram - kriegswichtiges Metall für die Rüstungsindustrie der Deutschen - zu beschaffen. Zum anderen lenkt der Autor das Auge des Betrachters auf die Ermittlungen Inspektor Zé Coelhos im Portugal der 90er Jahre. Im Mittelpunkt der Untersuchungen steht dabei ein gerade einmal 15-jähriges Mädchen, das brutal vergewaltigt und anschließend ermordet wurde. In einem Abstand von vier bis fünf Kapiteln springt Wilson von den bereits weit zurück liegenden Ereignissen wieder zu den aktuellen Recherchen.

Als Ich-Erzähler schildert Kommissar Zé Coelho jenen Teil der Geschichte, der in den 90ern spielt. Coelho ist ein Eigenbrötler, der Unfalltod seiner Frau liegt erst etwa ein Jahr zurück, und das Verhältnis zu seiner nun flügge werdenden Tochter gestaltet sich zunehmend komplizierter. Die siebzehnjährige Olivia wird zwar zum Teil ein wenig altklug und überreif dargestellt - so designt sie beispielsweise in ihrem zarten Alter schon Krawatten, die von politischen und wirtschaftlichen Größen des Landes getragen werden -, aber dennoch weckt die Vater-Tochter-Beziehung das Interesse des Lesers. Auch die übrige Figurenzeichnung erweist sich als spannend und unvorhersehbar, da Wilson auf Klischees verzichtet und den Protagonisten des öfteren die eine oder andere Entscheidung offen hält.

Mit den beiden Erzählebenen gelingt Wilson die Schilderung zweier spannender Geschichten, deren komplexe Verknüpfung langsam zutage tritt. Unbeirrt nimmt sich der Autor die nötige Zeit, um das vielschichtige Gefüge aus Intrigen, Gewalt und Rache sichtbar werden zu lassen.

Obwohl man sich die Frage stellen könnte, ob die Darstellung des gesamten Nazi-Hintergrundes nicht vielleicht etwas zu detailliert geschildert sei und Wilson seine Geschichte durchaus hätte verkürzen können, sind es doch gerade diese präzisen, oftmals minutiös geschilderten Rückblenden, die das Ausmaß der Ereignisse unterstreichen und Spannung erzeugen. Auch die genauen Beschreibungen der Situation Portugals in den Kriegsjahren, die Flüchtlingsproblematik, die Schwierigkeiten der Ausreise und nicht zuletzt natürlich die weit verbreitete Armut reflektieren die aufschlussreiche Recherche des Autors. Nicht nur für Portugal- und Krimi-Fans also eine lohnenswerte Lektüre.

Titelbild

Robert Wilson: Tod in Lissabon.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Kristian Lutze.
Goldmann Verlag, München 2002.
576 Seiten, 9,90 EUR.
ISBN-10: 344245218X

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